Samstag, 24. Januar 2009
 
Bolivien: Koka-Schlagabtausch mit Washington PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Robert Lessmann   
Samstag, 14. Oktober 2006
"Die Koka ist grün, nicht weiß wie Kokain", sagte Boliviens Präsident Evo Morales am 19. September bei der 61. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York und hielt dabei ein Kokablatt in die Höhe: "Es kann nicht angehen, dass sie für Coca Cola legal ist, aber für unseren traditionellen Konsum und medizinische Zwecke illegal."

Damit eröffnete der Kokabauer und neue Präsident des Andenlandes den angekündigten und lange erwarteten Schlagabtausch mit den USA in Sachen Koka: "Die Beschlagnahmungen von Drogen haben in meiner Amtszeit um 300% zugenommen. Doch die Regierung der Vereinigten Staaten akzeptiert den Kokaanbau nicht und stellt uns Bedingungen, dass wir unsere Normen ändern. (...) Mit allem Respekt möchte ich der Regierung der Vereinigten Staaten sagen: Wir werden gar nichts ändern! Wir brauchen keine Drohungen und keine Erpressungen! Die sogenannte Zertifizierung des Kampfes gegen den Drogenhandel ist einfach nur ein Instrument der Kolonisierung der Andenländer. Das akzeptieren wir nicht und das erlauben wir nicht."

Morales reagierte damit vor der Weltgemeinschaft auf die Drohung des Weißen Hauses, Bolivien zum 1. März 2007 diese sogenannte Certification zu entziehen. Ein entsprechender Zwischenbericht lobte Mitte September zwar die Drogenbekämpfungspolitik der neuen Regierung, warf ihr aber vor, den Kokaanbau auszuweiten. Bolivien müsse in den kommenden sechs Monaten zu einer Politik der Kokavernichtung zurückkehren und unter anderem die Erlaubnis für Kokabauern revidieren, einen Cato (das sind 1.600 Quadratmeter) Koka legal zu behalten.

Am Vortag bereits war Vizepräsident Álvaro García Linera mit leeren Händen aus Washington nach La Paz zurückgekehrt. Er hatte dort die neue bolivianische Koka- und Drogenpolitik erläutert und für die Verlängerung eines Abkommens geworben, das sogenannten drogenproduzierenden Ländern den zollfreien Export von Alternativprodukten in die USA ermöglicht. Washington möchte diese Regelung, die zum 31.12. ausläuft, durch ein allgemeines Freihandelsabkommen ersetzen, was La Paz ablehnt.

Der Kongress verpflichtete das Weiße Haus bereits Mitte der 80er Jahre, eine Liste sogenannter drogenproduzierender oder Transitländer zu definieren, die automatisch mit einer Reihe von Sanktionen überzogen werden, sofern ihnen der Präsident nicht jeweils zur Mitte des laufenden Finanzjahres (Certification am 1. März) bescheinigt, dass sie in Sachen Drogenkontrolle zufriedenstellend mit den USA kooperiert hätten. Diese Liste umfasst gegenwärtig Afghanistan, die Bahamas, Bolivien, Brasilien, Kolumbien, die Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Haiti, Indien, Jamaika, Laos, Mexiko, Myanmar, Nigeria, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru und Venezuela. Davon wurden in dem erwähnten Zwischenbericht neben Bolivien noch Myanmar und Venezuela mit Sanktionen bedroht, weil sie nicht in ausreichendem Maße mit Washington zusammenarbeiten würden, nicht dagegen Afghanistan, wo abermals eine Ausweitung des Opiumanbaus um mehr als 50% erwartet wird. Der Prozess der Certification wird von Kritikern schon seit Jahren als ungeeignetes Mittel bei der Zusammenarbeit im Kampf gegen den Drogenhandel kritisiert, mit dessen Hilfe es Washington vielmehr gelinge, unilateral und willkürlich seine Strategien und Methoden durchzusetzen, die oft gar nichts mit dem Kampf gegen den Drogenhandel zu tun hätten.

Nach Angaben der Vereinten Nationen hatte Bolivien im Jahr 2005 eine Kokaanbaufläche von insgesamt 25.400 Hektar, das entspricht 16% des Kokaanbaus insgesamt (Peru 30%; Kolumbien 54%), und rein rechnerisch könnten daraus 10% der Weltkokainproduktion hergestellt werden. Die Regierung Morales hat – entgegen landläufiger Erwartungen – bisher lediglich eine Regelung vom Herbst 2004 auch auf andere Regionen ausgedehnt. Demnach ist pro eingeschriebener Kokabauernfamilie ein Cato Koka zulässig. Der Rest wird im Konsens und in Zusammenarbeit mit den Bauernorganisationen (Sindicatos) sukzessive reduziert. In einem Gesetzesentwurf zur Regelung des Kokaanbaus ist für die Zukunft ein Sanktionsmechanismus durch die Sindicatos vorgesehen. Wer die Cato-Grenze überschreite, soll demnach von seinem Sindicato zweimal verwarnt werden, bevor dann das Land eingezogen werden kann. Diese sogenannte caducación gilt im Chapare schon länger für Boden, der vom Besitzer für drei Jahre oder länger nicht genutzt wird.

Daneben will man sich für die Herstellung von Alternativprodukten (wie Zahnpasta, Sirup, Kaugummi, Shampoos) auf Kokabasis sowie eine Aufhebung des Exportverbots durch die Drogenkonvention der Vereinten Nationen einsetzen, war bisher aber in dieser Hinsicht noch nicht aktiv geworden. Nach Angaben der Vereinten Nationen war auf der Grundlage der Ein-Cato-Regelung in Bolivien zwischen 2004 und 2005 ein Rückgang der Kokaanbaufläche um 8% erreicht worden, im Chapare (der einzigen Gegend, wo diese Regelung damals schon galt) sogar um 31%. Für das laufende Jahr gibt es noch keine neuen Flächenangaben. Die Regierung Morales gibt an, bisher etwa 3.500 Hektar Koka reduziert zu haben, womit man auf das mit den USA von der Vorgängerregierung vereinbarte Jahresziel von 5.000 Hektar zusteuere – und zwar ohne Tote, ohne Konfrontationen, ohne Gewalt, wie sie die letzten beiden Jahrzehnte bestimmt hätten, meint der oberste Drogenbekämpfer Felipe Cáceres. Er stimmt mit den USA darin überein, dass der Rhythmus der Reduzierung langsamer ist als im Vorjahr, setzt aber auf die größere Nachhaltigkeit der Konsensmaßnahmen gegenüber den Zwangsvernichtungen vergangener Jahre.

Als die kolumbianische Regierung unter Präsident Ernesto Samper mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert schließlich dem Druck Washingtons nachgab und im Jahr 1995 der Besprühung von Kokafeldern mit Pflanzengift aus der Luft zustimmte, gab es dort 51.000 Hektar Koka (1995). Seither sind 930.198 Hektar besprüht worden. Im Jahr 2005 lag der Kokaanbau in Kolumbien nach Angaben der UN bei 86.000 Hektar, nach Zahlen des State Department bei 144.000!
In Bolivien hat man in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als das Dreifache dessen vernichtet, was jemals das historische Maximum war (48.600 Hektar Koka im Jahr 1996). Angesichts des relativ mäßigen Stellenwerts der bolivianischen Produktion und angesichts des Nachhaltigkeitsdesasters der bisherigen Vernichtungspolitik (nicht nur in Bolivien) scheint eine gewisse Gelassenheit der Weltgemeinschaft gegenüber dem Ansatz der neuen bolivianischen Regierung durchaus angezeigt.
(aus: Lateinamerika Anders Panorama, Nr.5)

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