Samstag, 24. Januar 2009
 
Letzte Chance vor dem offenen Krieg in Sri Lanka PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Montag, 23. Oktober 2006

Kurz vor einem Dialog in Genf am bevorstehenden Wochenende stehen Sri Lankas Regierung und die Tamilische Rebellenorganisation LTTE vor den Scherben des Friedensprozesses. In der ersten Oktoberhälfte floß mehr Blut als in jedem vergleichbaren Zeitabschnitt seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens im Februar 2002. Vieles spricht dafür, dass das Treffen in der Schweiz nicht der Beginn eines neuen Dialogprozesses wird, sondern das Ende des Bemühens um eine politische Lösung.

Mit einer Attacke auf die Marinebasis von Galle im äußersten Süden des Landes haben die Tamil Tigers (LTTE) letzte Woche den nicht erklärten Krieg mitten ins singhalesische Herzland und gleichzeitig in unmittelbare Nähe der Touristenstrände getragen. Die Botschaft ist klar: "Wir sind militärisch stark genug, um jederzeit überall zuschlagen zu können." Die Regierung solle sich hüten, mit Plänen zu spielen, den ethnischen Konflikt militärisch zu lösen.

Wenige Tage vorher hatte die Armee bei einer Großoffensive auf LTTE-verwaltetes Gebiet im Norden Gefechte mit dem bisher höchsten Blutzoll in diesem Jahr provoziert. Mehr als 200 Kämpfer beider Seiten wurden dabei getötet, wenn man den jeweiligen Opferbilanzen glauben darf. Kurz darauf starben über 100 Marinesoldaten bei einem Selbstmordattentat bei Habarana, im Zentrum des Landes. Dennoch halten Regierung wie Rebellen am Dialogtermin fest.

Daß beide Seiten dem Treffen zustimmten, ist der Überredungskunst und intensiven Pendeldiplomatie norwegischer und japanischer Vermittler zu verdanken. Die Tamil Tigers erhoffen sich von Genf weiteren Druck auf die Regierung, während Präsident Mahinda Rajapakse vertrauensbildende Etappen überspringen und gleich die großen Lösungen diskutieren will. Doppelt unter Druck steht jedenfalls die Regierung: die internationalen Vermittler wollen eine Gruppe von Menschenrechts-Monitoren installieren, da die Armee in letzter Zeit zunehmend unbeteiligte Zivilisten attackiert und ermordet hat. Die Luftwaffe bombardierte im August ein Waisenhaus, wo über 50 Mädchen starben. Die Armee steht im Verdacht 17 Mitarbeiter eines französischen Hilfswerks regelrecht exekutiert zu haben. Aus dem Tamilengebiet werden ständig selektive Morde gemeldet.

Gleichzeitig muß Rajapakse einen Plan vorlegen, wie er auf einen Spruch des Obersten Gerichtshofs reagieren will, der das Waffenstillstandsabkommen als Ganzes in Frage stellt. Die Höchstrichter hatten am 16. Oktober auf Antrag der extrem nationalistischen Partei JVP den administrativen Zusammenschluß der Nord- und Ostprovinzen für ungültig erklärt. Die Vereinigung des tamilisch besiedelten Gebietes ist die Grundlage für jede Autonomielösung. Sie wurde vor 18 Jahren beschlossen und sollte durch ein Referendum abgesegnet werden. Das wurde aber wegen des bewaffneten Kampfes und anhaltender Spannungen immer hinausgeschoben. Trotzdem wollte keine Regierung daran rütteln und auch die JVP hatte diese Vorleistung für ein Friedensabkommen bis vor kurzem nicht in Frage gestellt. Jetzt ist aber alles anders. Denn Rajapakse, dessen Dialogbemühungen immer wieder von den Nationalisten torpediert wurden, hat einen umstrittenen Befreiungsschlag unternommen. Er will in diesen Tagen ein Abkommen mit der UNP, der größten Oppositionspartei, unterzeichnen, das gemeinsames Agieren in Friedensprozeß und Wirtschaftspolitik vorsieht. Für die UNP steht der wirtschaftliche Aufschwung im Vordergrund. Eine Lösung des Tamilenproblems ist die Voraussetzung für Investitionen und Tourismus. Für die Befindlichkeit der singhalesisch-nationalistischen Kreise ist da kein Platz.

Rajapakse riskiert viel, denn er hat keine eigene Mehrheit im Parlament. Sollte es zu Neuwahlen kommen, würde er ohne Partner dastehen. Denn die UNP bleibt ungeachtet der Besetzung einiger Kabinettsposten in Opposition und die nationalistischen Parteien JVP und JHU fühlen sich durch den Schwenk verraten. JVP-Propagandasekretär Wimal Weerawanse hat nach dem Spruch des Obersten Gerichtshofes bereits gefordert, das Waffenstillstandsabkommen sei für illegal zu erklären und die norwegischen Vermittler des Landes zu verweisen.

Das wäre eine offene Kriegserklärung, für die die internationale Gemeinschaft, die bisher vor allem von der LTTE mehr Konzilianz gefordert hatte, wenig Verständnis hätte. In Genf geht es also um viel. Die an und für sich bescheidenen Ergebnisse des Treffens im Februar wurden nicht in die Tat umgesetzt. Die sogenannte Karuna-Gruppe, deren Entwaffnung die LTTE verlangt hatte, operiert weiterhin als paramilitärische Truppe im Schutz der Armee. Bei der jüngsten Offensive im Norden rückten erstmals reguläre Soldaten und Karuna Leute, eine Abspaltung von der LTTE, gemeinsam vor. Ein gefangener Soldat bestätigte gegenüber tamilischen Medien, dass die die Operation koordiniert gewesen sei.

Sollte der Dialogversuch scheitern oder nicht zumindest eine "Roadmap" für die weiteren Schritte hervorbringen, dann muß befürchtet werden, dass die Tamilen die Geduld verlieren und Ende November, am "Heldentag", der gleichzeitig Geburtstag von LTTE-Chef Velupillai Prabakharan ist, den unabhängigen Tamilenstaat ausrufen. Das wäre der Beginn eines langen Krieges.

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