Wie am Freitag bekannt wurde, hat der Konzern Nestlé mehr als ein Jahr lang eine Arbeitsgruppe von Attac Schweiz überwachen lassen. Der Grund: Die Gruppe arbeitete an einem Buch über die Machenschaften Nestlés ("Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns", 2005).
Im Auftrag des Konzerns schlich sich eine Mitarbeiterin der Sicherheitsfirma Securitas unter falschem Namen in die Attac-Autorengruppe im Schweizer Kanton Waadt (Vaud) ein und spionierte diese bis Sommer 2004 aus.
Stellungnahme von Attac Österreich zu dem Skandal:
Nestlé fürchtet aufgeklärte Verbraucher
Konzern spioniert Autorengruppe von Attac Schweiz aus
Zu der Bespitzelung einer Schweizer Attac-Autorengruppe durch den Nestlé-Konzern erklärt das globalisisierungskritische Netzwerk Attac:
"Nestlé pflegt das Image eines qualitätsbewussten Unternehmens, das gute Arbeitsbedingungen bietet und mit seiner Politik den Armen dieser Welt entgegenkommt. Die Realität hinter der schönen Marketingfassade sieht jedoch anders aus. Daher fürchtet der Konzern nichts mehr als aufgeklärte Verbraucher und Recherchen über das wahre Gesicht des Konzerns", erklärt Attac Österreich Obfrau Alexandra Strickner.
Zahlreiche Beispiele aus der ganzen Welt zeigen, wie wenig sich Nestlé um Umweltschutz, Grundrechte von ArbeitnehmerInnen, korrekte Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne oder die Meinungsfreiheit kümmert. Unter den Ländern mit Nestlé-Niederlassungen oder Tochterunternehmen gibt es praktisch keines, in dem es nicht zu einer Konfrontation zwischen Geschäftsführung und ArbeiterInnen oder Bevölkerung gekommen wäre. Nestlé hat in Kolumbien mehrfach das Arbeitsgesetz, gültige Gesamtarbeitsverträge sowie auch Normen der Internationalen Arbeitsorganisation und der UNO verletzt.*
Attac hofft daher, dass der jetzt bekannt gewordene Skandal nicht nur den Imageschaden für Nestlé verschärft, sondern auch einer Diskussion über die Macht und den Machtmissbrauch von Konzernen – auch in den Medien – neue Nahrung gibt.
* Umfassende Dokumentation unter: www.woz.ch/dossier/nestle.html sowie im Buch: "Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns" von Attac Schweiz
Presseerklärung, Attac Schweiz. Freitag, 13. Juni 2008
Nestlé wird beschuldigt, Attac ausgehorcht zu haben: Anklage gegen X
Die Sendung "Temps présent", die das Westschweizer Fernsehen TSR am Donnerstag, den 12. Juni 2008, um 20.05 Uhr ausgestrahlt hat, deckt auf, dass der multinationale Konzern Nestlé die Sicherheitsfirma Securitas damit beauftragt hat, über ein Jahr eine Arbeitsgruppe von Attac Waadt auszuspionieren, während diese an einem Buch über die Machenschaften der Firma Nestlé gearbeitet hat (Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns, 2005). Es handelt sich um eine wissenschaftliche Recherche, die anhand von publizierten und verfügbaren Dokumenten geführt worden ist. Sie hatte zum Ziel, das Funktionieren dieses multinationalen Konzerns und seine weltweite Unternehmensniederlassung zu untersuchen. Diese Bespitzelung fand während mindestens einem Jahr statt.
Eine Agentin hat sich unter falschem Namen erst in eine Arbeitsgruppe von Attac Waadt und dann in die Gruppe der sieben AutorInnen des Buches infiltriert. Sie hatte so direkten Zugang (insbesondere über eine vertrauliche E-Mail-Liste der AutorInnen) zu allen Kontakten, die die sieben Personen unterhielten, zu ihren Recherchen und ihren Quellen – in der Schweiz sowie auch im Ausland. Dies im Rahmen der Arbeit am Nestlé-Buch als auch im Rahmen der Kampagne zur Lancierung des Buches. Im Besonderen betroffen war davon das Nestlé-Forum in Vevey am 12. Juni 2004. Die Securitas-Agentin begab sich auch regelmäßig in die Wohnungen der sieben AutorInnen, in denen die Arbeitstreffen stattfanden. Das Buch befasst sich mit Nestlés Einstellung zu genmanipulierten Organismen und der Privatisierung von Trinkwasser, behandelt aber auch empfindliche Themen wie die Arbeitskämpfe, die GewerkschafterInnen und AktivistInnen in verschiedenen Ländern gegen Nestlé führen, in denen die Menschenrechte nicht respektiert werden, wie beispielsweise in Kolumbien.
Das G8-Gipfeltreffen fand vom 1. bis zum 3. Juni 2003 statt. Die Verfassung des Buches über Nestlé und die Treffen der engeren Autorengruppe, in die sich die Securitasagentin infiltriert hat, haben jedoch erst im Herbst 2003 begonnen, also einiges nach dem G8-Gipfeltreffen, und die Agentin hat die Gruppe bis im Sommer 2004 bespitzelt. Demzufolge hat Nestlé diese Überwachung nicht beauftragt, um seine Gebäude zu schützen, sondern um sich über die laufenden Buchrecherchen und deren VerfasserInnen zu informieren.
Die Agentin hat Securitas regelmäßig Berichte unterbreitet, die auch dessen Klientin, Nestlé, weitergereicht wurden. Gemäß der Nachforschungen von Temps présent hat sich die Agentin mindestens einmal mit Verantwortlichen von Securitas in den Hauptsitz von Nestlé begeben, wo sie den Verantwortlichen für die Sicherheit und einen Verantwortlichen für die Kommunikation getroffen, und ihnen ausführlich über die Treffen der Arbeitsgruppe von Attac berichtet hat. Die Waadtländer Polizei war ebenfalls über diese Infiltration und die so gesammelten Informationen unterrichtet. Sie war also über dieses unlautere Vorgehen in Kenntnis, hat es jedoch nicht als ihre Aufgabe erachtet, die betroffenen Personen davon zu informieren.
Wir erachten dieses Vorgehen, das die Prinzipien der Redefreiheit und demokratischen Basisrechten mit den Füßen tritt, als empörend. Wir erachten, dass unsere Persönlichkeitsrechte missachtet worden sind und wir sind im Besonderen darüber schockiert, dass diese Spionagentätigkeit unter dem Mitwissen der Waadtländer Kantonspolizei stattgefunden hat.
Diese hat es nicht für notwendig gehalten, uns darüber in Kenntnis zu setzen, dass wir die Zielgruppe dieser Infiltration waren. Es versteht sich von selbst, dass die Angestellten dieses großen Multinationalen Konzerns in keiner Weise in Frage gestellt werden und nicht über diese Tätigkeiten ihrer Direktion in Kenntnis waren. Nestlé hat sich dafür entschieden, es einer Bürgergruppe nicht zu erlauben, ohne ihre Kontrolle eine wissenschaftliche Studie über ihre Aktivitäten zu führen. Ausgeübte Kontrolle und gesammelte Informationen durch Infiltration und Spionage. Schließlich verurteilen wir die Rolle von Securitas. Diese private Sicherheitsfirma, deren traditionelle Dienstleistungen in den Bereichen der Bewachung von Gebäuden und Parkplätzen bestehen, hat einen Spionageauftrag einer Gruppe von Personen akzeptiert, die in keinem Fall auch nur irgendeine Bedrohung oder Gefahr darstellten, außerhalb der Tatsache, dass die Recherchenergebnisse nicht direkt von dem multinationalen Konzern Nestlé kontrolliert werden konnten.
Aus diesen Gründen haben die BuchautorInnen entschieden, Strafanzeige gegen X zur erstatten.
Für Rückfragen und Interviews mit Vertreterinnen von Attac Schweiz können Sie sich an Florence Proton oder Béatrice Schmid wenden. Beide sprechen Deutsch.