"Jetzt ist Amstetten berühmt in aller Welt" |
Geschrieben von Ralf Leonhard | |
Mittwoch, 30. April 2008 | |
Hannes Fehringer, Regionalkorrespondent der Oberösterreichischen Nachrichten, spricht nur vom „Rummelplatz“, wenn er sich auf den umlagerten Tatort bezieht: „Fehlen nur mehr die Pommesbuden“. Der Mann, der sonst über die neue Beleuchtung des Hauptplatzes in der Gemeinde Haag oder den ersten Spatenstich für eine Sporthalle im Mostviertel zu berichten hat, wurde plötzlich zum Reporter eines internationalen Skandals. Ihm gelang es dank seiner Beziehungen, exklusiv ein Foto des Verdächtigen mit Ehefrau bei der Goldenen Hochzeit aufzutreiben. „Zum Kotzen“ findet er diese Art von Journalismus. In Amstetten gab es schon vorher nichts, worauf man stolz sein konnte, meint ein Freund des Gepiercten in der Dammstraße. Wie fast jeder hier kennt er jemanden, der eines der Mädchen aus der blutschänderischen Verbindung kannte. Im Stadtkern leben gerade 6000 Menschen. Wenn sich Gleichaltrige nicht aus der Schule kennen, dann vom Sportverein oder der Freiwilligen Feuerwehr. „Jetzt kann man nur mehr wegfahren“. Nach Abschluß der Lehre hat er das auch vor. „Nicht einmal ausgehen kann man hier“, pflichtet die Freundin bei. Man müsse schon nach Linz, St.Pölten oder gar Wien fahren. Die Provinzstadt, fast 120 Kilometer westlich von Wien gelegen, macht tatsächlich nicht den Eindruck, als ginge hier täglich die Post ab. Auf dem langgestreckten Hauptplatz, wo sich Bankfiliale an Bankfiliale reiht, werden abends um acht die Gehsteige hochgeklappt. Aus der Disco „Bazooka“ dringen gedämpfte Techno-Bässe. Barocke Häuserfassaden, wie sie sonst die Plätze in Provinzstädten zieren, fehlen hier völlig. Das Bombardement des strategischen Eisenbahnknotenpunkts hat hier in den letzten Kriegstagen tabula rasa gemacht. Neben dem von der Sparkasse gesponserten Brunnen mit dem Stadtwappen lädt ein Plakat der SPÖ zum Maifest am 30. April ein. Eine Festrede des Landeshauptmannstellvertreters und ein Festzug mit der Stadtmusikkapelle werden da in Aussicht gestellt. Nach dem anschließenden Maibaumsetzen geht es zum „Dämmerschoppen“ beim Stadtbrauhof. Der Stadtbrauhof ist so etwas wie der Mittelpunkt des Hauptplatzes. Neben gutbürgerlicher Küche lockt er – saisonbedingt – mit Spargelspezialitäten. Im Gastgarten vor der Tür warten zwei englische Journalisten auf ihr Bier. Allen anderen Gästen ist es draußen schon zu kühl. Die Presseleute, die zwei Tage lang alle verfügbaren Hotelzimmer in Beschlag genommen haben, werden von vielen Einheimischen mit Argwohn beobachtet. „Genieren muß man sich als Amstettner“, sagt Johann Lichtenschopf, Vizeleutnant beim Bundesheer. Wenn er am Nachhauseweg an der von der Presse belagerten Dammstrasse vorbeikommt, „komme ich mir vor wie im Fahrerlager von der Formel I“. Er hat Josef F. immer wieder beim Einkaufen gesehen – beim SPAR in der Ybbsstrasse, denn er wohnt nur wenige Häuser entfernt. Richtig gekannt hat den mutmaßlichen Gewalttäter offenbar kaum jemand. Er genoß bis zu seiner Pensionierung den Ruf eines tüchtigen Arbeiters, als Stütze seines Betriebs und Fachmann für Elektromechanik. Ohne solche Spezialkenntnisse hätte er kaum die raffinierte Geheimtür zum Verlies seiner Tochter bauen können. Lichtenschopf, der es lieber hätte, wenn die Presse käme, um die malerische Blüte der Mostbäume zu sehen, kann es noch immer nicht fassen: „Tragisch so was, als Amstettner trifft mich das“. Der letzte Mord liegt 30 Jahre zurück. Eine Jugendliche sei kurz vor Weihnachten auf einem Hügel außerhalb der Stadt ermordet aufgefunden worden, vermutlich ein Sexualdelikt. „Bildhübsch!“, sagt er immer wieder bei der Erinnerung an das Lehrmädchen aus dem Supermarkt, das wenig älter gewesen sein muß, als die mehrfach missbrauchte Elisabeth F., deren Martyrium damals gerade begann, als der Vater immer wieder in ihr Schlafzimmer schlich. Der Mörder sei wenige Tage später gefasst worden, erinnert sich der Unteroffizier, die Polizei musste ihn vor der Lynchjustiz schützen. Seither ist nur mehr ein Amstettner gewaltsam zu Tode gebracht worden. Aber das sei etwas anderes gewesen: betrunkene „Buam“ hätten bei einem Zeltfest mit Stahlschuhen zu fest zugetreten. Amstetten ist eine Eisenbahner- und Arbeiterstadt, eine der wenigen sozialdemokratisch regierten Gemeinden im tiefschwarzen Niederösterreich. Einige größere Betriebe haben ein Industrieproletariat wachsen lassen. „Aber auch alte Nazis gibt es hier viele“, sagt Franz Sieder, Betriebsseelsorger der Gemeinde. Als er vor einigen Jahren mit einer Schule Plakataktionen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit initiierte, hagelte es Beschimpfungen: „In der Schule trafen gemeinste Briefe ein“. Aber das Inzestdrama, das sich unter den arglosen Augen der Nachbarn 24 Jahre lang abspielte, „das hätte in jeder Stadt in Österreich passieren können“. Daß das so lange nicht wahrgenommen wurde, hat für ihn damit zu tun, dass „den Leuten die Nachbarn immer mehr wurscht sind“. Für ihn als Pfarrer werde durch solche Fälle sichtbar, „dass es das Böse gibt“. Aus vertraulichen Gesprächen wisse er aber, dass Inzest und sexueller Missbrauch in den Familien viel häufiger vorkomme, als man denkt. Amstetten hat aber auch ein freundliches Gesicht. 2006 wurde die Klimabündnisgemeinde bereits zum dritten Mal mit dem Prädikat „innovativste Gemeinde Österreichs“ ausgezeichnet. Das Energiekonzept Amstetten 2010+ sieht die langfristige Versorgung mit Alternativenergien vor. Wärmedämmung und Umstieg auf Fernwärme werden ebenso öffentlich gefördert wie Umweltberatung, sagt Friedrich Heigl von der Umweltberatungsstelle. Schon jetzt beziehen die Privathaushalte Strom und Heizwärme aus erneuerbaren Energiequellen. Der spießigen Enge des Provinznests versucht der Kulturverein entgegenzuwirken. Heigl hat den Eindruck, es gebe so viele Veranstaltungen, dass man gar nicht alle besuchen könne. Das Massenpublikum wird durch die populären Musicals im Sommer und gelegentliche Konzerte in der Eishalle aus den Stuben geholt. Aber auch selektivere Geister müssen nicht darben. Seit das Mozart-Kino vor einem Jahr einem Cineplex weichen musste, ist es zwar schwieriger, anspruchsvolle Filme nach Amstetten zu holen. Doch im Szene-Cafe „Zum Kuckuck“ haben die Intellektuellen einen Zufluchtsort gefunden, wo Diskussionsrunden aber auch Filmvorführungen erwünscht sind. Die mexikanische Produktion „Amores perros“ steht demnächst auf dem Programm. Natürlich kommt auch im „Kuckuck“ die Rede immer wieder auf das Thema Nummer eins. Lokalreporter Fehringer, von Freunden McGyver gerufen, setzte im Rathaus Nachforschungen in Gang, ob es für das Verlies im Garten eine Baugenehmigung gab. In den 1980er Jahren, am letzten Höhepunkt des Kalten Krieges, sei ja die Anlage von unterirdischen Schutzbunkern mit öffentlichen Geldern gefördert worden. Ein anderer ist sich sicher, dass der tyrannische Vater seine missbrauchte Tochter und deren selbst gezeugte Kinder geliebt haben müsse, „sonst hätte er sie ja umgebracht. Das wäre unkomplizierter gewesen“. Und ein Dritter fragt sich, warum der Mann bei der Schändung der Tochter keine Verhütungsmittel eingesetzt habe: „Das muß der Einfluß der Katholischen Kirche sein“. In der Dammstraße bauen inzwischen die Networks ihre mobilen Sendestationen ab. Schaulustige aus Nachbargemeinden, die sich vor den norwegischen oder ungarischen Kameras als Nachbarn ausgaben, um ins Fernsehen zu kommen, haben sich verlaufen. Bald sind nur mehr die Polizisten da, die dafür zu sorgen haben, dass kein Neugieriger auf das Gelände eindringt. Amstettens fünf Minuten im Scheinwerferlicht der Welt sind vorbei. Aber der Name der Stadt wird wohl wie Erfurt oder Bhopal für lange Zeit mit einem unfassbaren Verbrechen assoziiert bleiben. |
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