Landfriedensbruch warf man dem türkischen Flüchtling vor. Es soll bei den Demonstrationen während des G8-Gipfels von heiligendamm Anfang Juni durch einen Steinwurf einen Polizisten verletzt haben. Am Ende des Prozesses waren Richter und Staatsanwältin offenbar einer Meinung, daß die Polizei durch ein Übermaß an Aggressivität die Tumulte selbst verschuldet hatte. Der Angeklagte kam mit einer symbolischen Strafe davon.
Am 11. Juli fand vor dem Amtsgericht Rostock der Prozess gegen den seit 2. Juni inhaftierten G8 Gegner Lütfü Y. statt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er sich gegen die brutalen Angriffe der Polizei auf die internationale Großdemonstration am 2. Juni in Rostock zur Wehr gesetzt hatte. Der Prozess, der etwa 3 1/2 Stunden dauerte, endete mit einer Verurteilung zu acht Monaten Haft, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurde. Während der Verhandlung sparte Amtsrichter Horstmann nicht mit Kritik an dem Polizeieinsatz während der internationalen Großdemonstration am 2. Juni in Rostock.
"Die Polizei ist auf einen bis dahin völlig friedlichen Teil - den internationalen Block der Anti-G8 Demonstration in Rostock - losgestürmt und hat dabei mit einem massiven Knüppeleinsatz wahllos auf Demonstranten eingeschlagen und mehrere von ihnen verletzt. Einen Angriff auf Polizisten hat es in dieser Situation dabei nicht gegeben. Die gab es erst in späterer Folge des Polizeieinsatzes."
Dem in den Niederlanden lebenden G8 Gegners Lütfü Y. wurde besonders schwerer Landfriedensbruch zur Last gelegt. Im Laufe der Verhandlung wurde immer deutlicher, dass der Angeklagte in einer Situation psychischer Anspannung ge handelt hatte, als Freunde von ihm durch den Polizeiangriff verletzt wurden. Der ehemalige politische Häftling, der auch Folter ertragen mußte, sei durch die "martialisch ausgerüstete Polizei" (so der Richter) an Szenen in seiner türkischen Heimat erinnert worden, da dort "in einem Polizeistaat die Polizei anders handeln darf und anders handelt, als in der Bundesrepublik", so der Richter.
Durch diese Erinnerung sei es in einer spontanen Reaktion zu einem Steinwurf in Richtung Polizei gekommen. Der Richter, der auch die unübersichtliche Situation während des Polizeieinsatzes berücksichtigte, verhängte mit acht Monaten auf Bewährung eine Strafe, die am unteren Ende des Strafrahmens liegt.
Anlass zu seiner scharfen Kritik am Polizeieinsatz war das Polizeivideo, auf dem deutlich zu sehen war, wie eine Polizeieinheit aus Bayern ohne Vorwarnung auf bis dahin friedliche Demonstranten einknüppelte. Als sie sich wieder zurückzog, lagen zwei Personen auf dem Boden. Richter Horstmann mochte den Polizisten lediglich zugute halten, dass sie vor diesem Demonstrationsblock Angst hatten, da ihnen von der Einsatzleitung offensichtlich falsche Informationen gegeben wurden. Der Richter fand es aufgrund des starken Angstgefühls nachvollziehbar, dass die Polizisten schon bei waagerecht gehaltenen Fahnenstangen der Demonstranten einen Angriff vermuten und danach losprügeln.
Selbst die Staatsanwältin Siek als Vertreterin der Anklage forderte aufgrund der vorgespielten Videos eine Strafzumessung im unteren Bereich. Auch sie titulierte den Polizeieinsatz als "Angriff auf eine bis dahin friedliche Menschenmenge, die zwar Fahnenstangen mit sich führten, diese aber erkennbar zu friedlichen Zwecken nutzen wollte." Auf einen Zuruf aus dem Publikum versicherte sie, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen von der Polizei begangene Straftaten ermittle.
Absoluter Höhepunkt der Verhandlung war das Schlußplädoyer von Staatsanwältin Siek, die zusammenfasste: "Ich nehme an, dass sie gegen den Kapitalismus, insbesondere die G8-Staaten, protestieren wollten, die dieses System ja maßgeblich aufrechterhalten ..." - worauf der Angeklagte sowie die Mehrzahl der in dem Gerichtssaal Anwesenden zustimmend nickten.
Die Rote Hilfe Rostock stellt nach diesem Prozess fest, dass das Lügenhaus der Kavala, die Polizei hätte sich am 2.6. deeskalierend verhalten, mehr und mehr einstürzt. Es kommen im Gegenteil immer mehr Straftaten von einzelnen PolizistInnen ans Licht und auch ein Konzept der Polizei, welches darauf setzte, mit falsch informierten Einsatzzügen die Gewaltspirale anzuheizen.
Die Rote Hilfe Rostock fordert, dass auch der letzte noch in Waldeck einsitzende U-Häftling vom G8 unverzüglich freigelassen wird. Die Rote Hilfe geht davon aus, dass Hunderte von AktivistInnen in den nächsten Monaten mit Anklagen bzw. Strafbefehlen rechnen müssen. Daher rufen wir dazu auf, die von staatlicher Repression Betroffenen nicht allein zu lassen.
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