Die SpekulantInnen nehmen sich die Volkswirtschaften als Geisel. Und wenn es eng wird, werfen staatliche Zentralbanken Geld auf den Markt. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Ein Kommentar zur Krise auf den Devisenmärkten aus der Schweizer Wochenzeitung WOZ.
Kein Sommerloch im Wirtschaftsteil der Zeitungen. Man lag in der Hängematte und verfolgte gespannt die sich anbahnende Krise auf den Finanzmärkten. Am 7. August war es in der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) so weit: «Endlich ist das Gewitter ausgebrochen. Seit Monaten warten die Wall-Street-Ökonomen auf den Sturm, der nun tatsächlich eingetreten ist.» Damals kollabierten zwei Hedge Funds der US-Investmentbank Bear Stearns, und ihr Leiter musste gehen. Die Turbulenzen nahmen dramatisch zu, sodass die NZZ am 13. August diesen alles- und nichtssagenden Satz ins Blatt rücken konnte: «Das richtige Timing von Transaktionen ist im volatilen Markt einerseits entscheidend, andererseits aber fast unmöglich.» Die Börse sackte ab. Die Verluste betrugen weltweit vier Billionen US-Dollar.
Ist nur eine Spekulationsblase geplatzt? Wird in der Sphäre des Finanzkapitals Geld vernichtet, das in der Realwirtschaft sowieso nie einen Gegenwert hatte? Oder tragen die ExponentInnen des Finanzkapitals ihre Gier und ihre Risikobereitschaft in die produzierende Ökonomie? Was ist mit den Wachstumsprognosen? Mit der Beschäftigung? Dem Konsumverhalten? Den Investitionen? Wird es sein wie vor zwanzig Jahren, als die New Yorker Börse den größten Taucher aller Zeiten machte, ohne dass sich die Wirtschaft einen Schnupfen holte? Oder wird es sein wie 1929, als der Aktienmarkt zusammenbrach und dies eine lange Wirtschaftskrise auslöste?
Ideologie Eigenheim
Am Anfang der aktuellen Spekulationswelle stehen sehr reale Häuser in den USA. Millionen davon sind in den letzten Jahren neu entstanden, weil sich die Regierung davon mehr Sicherheit und weniger Kriminalität versprach. Weil viel Geld in Umlauf gesetzt wurde, ließ sich dieses ideologische Projekt auch umsetzen – oder umgekehrt. Millionen Menschen erhielten Zugang zu günstigen Hypotheken (sogenannte Subprimekredite), ohne über Vermögen und Einkommen zu verfügen.
Millionen ließen sich von diesen Angeboten verführen und gingen wohl davon aus, dass der Wert der Häuser stärker ansteigen werde als die Zinsbelastung. Sie tappten in die Falle. Sobald sie zahlungsunfähig waren, wurden sie zu einer Belastung der Hypothekarkassen, von denen die erste im Februar 2007 Konkurs ging. Die Nichtregierungsorganisation Center for Responsible Lending war bereits im Dezember 2006 zum Schluss gekommen, dass rund 2,2 Millionen SchuldnerInnen ihr Eigenheim verlieren könnten. Betroffen seien Hypotheken in der Höhe von 665 Milliarden Dollar.
Das Anfüttern von KundInnen mit Lockangeboten war nicht wirklich neu. Seit 1988 kämpft zum Beispiel die Neighborhood Assistance Corporation of America (NACA) gegen überhöhte Hypotheken und hat sich von einem kleinen Selbsthilfeprojekt zu einer nationalen Organisation entwickelt. In der aktuellen Krise offeriert sie Hilfe für Betroffene und prangert die Gier der ManagerInnen in einer «historischen Dimension» an.
Krise. Welche Krise?
Bereits in den neunziger Jahren war eine Immobilienkrise über die USA geschwappt, die etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vernichtet haben soll. Seither hat sich allerdings der Finanzmarkt massiv verändert. Damals standen SchuldnerInnen und GläubigerInnen noch in einer direkten Beziehung – heute nicht mehr unbedingt. Die kreditgebenden Banken haben die Hypothekarschulden – mit Abschlag und gegen gute Rendite – weiterverkauft. Hedge Funds haben zugegriffen, Banken aus Holland, Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Erst die nächsten Quartalszahlen werden wohl Aufschluss darüber geben, in welchen Portefeuilles sich weitere faule Eier befinden. Die Subprimekrise wirkt sich auch auf das Geschäft der Private-Equity-Firmen aus. Verschiedene mit Fremdkapital geplante Firmenübernahmen kamen in den letzten Wochen nicht zustande. So gelang es der Beteiligungsfirma Cerberus nicht, das notwendige Kapital für die Übernahme des Automobilkonzerns Chrysler zu beschaffen.
Bislang wird die Krise als Finanzkrise interpretiert. Die Auswirkungen auf die reale Wirtschaft sind unsicher. Am 8. August schrieb die NZZ: «Beim Fed (der US-Notenbank) macht man sich offenbar noch wenig Sorgen über eine mögliche Beeinträchtigung der Realwirtschaft.» Gleichzeitig wies das Blatt aber auf schlechte Marktdaten aus den USA hin, auf Arbeitsmarktzahlen oder auf die rückläufige Bautätigkeit.
Einige Tage später – am 13. August – rapportierte die NZZ bereits in einem anderen Tonfall: «Im Finanzmarkt herrscht mittlerweile Krisenstimmung (...). Die Subprimekrise arbeitet sich mittlerweile wie ein Wurm durchs System (...). Die Angst, dass die Finanzmarktkrise ernsthafte Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat, ist da.» Tags darauf waren auch Firmen wie Microsoft und Google von den Kursverlusten betroffen. Zu diesem Zeitpunkt kam – wie in einem Hollywoodfilm – die Kavallerie angeritten. Die Fed senkte überraschend ihren Zinssatz.
Geldspritze statt Pleiten
In der Schweiz ist man sich nicht einig über die Dimension der Krise an den Finanzmärkten. Am letzten Samstag warnte Philipp Hildebrand, Mitglied des Präsidiums der Nationalbank, im «Tages-Anzeiger»: «Die Ereignisse werden nicht spurlos an der Wachstumsdynamik vorbeiziehen.» Tags darauf entgegnete sein Präsidiumskollege Jean-Pierre Roth in der «NZZ am Sonntag»: «Wir rechnen nicht mit einem Einbruch der Konjunktur.» Dass es bislang vor allem eine Finanzkrise geblieben ist, liegt am Einsatz der Zentralbanken. Diese haben Geld in den Markt reingebuttert – mindestens 450 Milliarden –, als sich die anderen Banken nicht mehr gegenseitig Geld ausleihen wollten. Die Stabilität des Finanzmarktes geht ihnen über alles, auch wenn sie mit ihrer Intervention die fahrlässigen Risiken einzelner AkteurInnen schützen.
In einer freien Marktwirtschaft nach Lehrbuch hätten in den letzten Wochen wohl einige Unternehmen den Gang zum Konkursrichter antreten müssen, etwa die deutsche IKB oder die Sächsische Landesbank. Auch die Schweizerische Nationalbank streckte den hiesigen Banken zwei Milliarden Franken vor. Irgendwie verständlich, aber irgendwie auch seltsam. Während die öffentliche Hand und die Realwirtschaft zu größter finanzieller Disziplin angehalten werden, spielt man auf dem Finanzmarkt Roulette und wird im Krisenfall von den Zentralbanken flüssig gehalten. Besonders fragwürdig war – nicht zum ersten Mal – die Rolle der Ratingagenturen, die die Bonität der Schuldner untersuchen und einschätzen. Die NZZ hielt am 17. August dazu fest: «Triple A wird Trouble A. Mit AAA bewertete Kreditderivate haben binnen eines Monats um dreissig Prozent an Wert eingebüsst.» Während die Ratingagenturen auf der einen Seite die Hüter der Kreditwürdigkeit spielten, halfen sie auf der anderen Seite bei der Entwicklung neuer Finanzinstrumente und kassierten dabei tüchtig ab. Moody's zum Beispiel machte bei einem Umsatz von zwei Milliarden Dollar einen Gewinn von 1,26 Milliarden Dollar. In anderen Zusammenhängen heißen diese Geschäftspraktiken wohl Bestechung und Betrug.
Auswirkungen auf die Schweiz
Der Finanzplatz Schweiz hat bislang Glück gehabt. Ausnahme ist die UBS: Sie hat einen Fonds mit 450 Millionen Franken Verlust schließen müssen und ihren CEO Peter Wuffli in die Wüste geschickt.
Volkswirtschaftlich könnte sich die Aufwertung des Frankens – er hat als sicherer Wert in einer See von Plagen um drei Prozent zugelegt – negativ auf die Exportindustrie auswirken. Falls sich der Aufwärtstrend verstärken sollte, sagt Daniel Lampart, der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, müsse die Nationalbank Gegensteuer geben: «Sie darf nicht einfach stur die Inflationsbekämpfung im Auge behalten – das wäre bei einer Inflationsrate von unter einem Prozent absurd.» Um allfällige negative Auswirkungen der Krise für die Exportindustrie auszugleichen, empfiehlt Lampart, die Binnenwirtschaft zu stärken – und zwar mit guten Lohnabschlüssen, die sich positiv auf den Konsum auswirken.
Der Gewerkschaftsökonom macht sich auch für eine bessere Transparenz auf dem Finanzmarkt stark. «Schönwettervehikel wie Hedge Funds und Private Equity müssen besser überwacht werden, damit man weiss, welche Risiken sie der Volkswirtschaft zumuten.» Damit steht er nicht allein. Der Wirtschaftspublizist Gian Trepp hat kürzlich in der WOZ verlangt, die Regulation des Finanzkapitalismus müsse zum zentralen Feld linker Wirtschaftspolitik werden.
Dienstagabend: Der Börsenindex SMI zuckt sich zum Tagesschlusskurs durch. Er wird rund 1000 Punkte tiefer sein als noch vor drei Monaten. Er steht wieder dort, wo er vor sechs Monaten schon mal war. Und vor fünf Jahren war er halb so hoch wie heute. Dazwischen sind einige sehr reich geworden, und andere haben ihr Haus verloren.
Quelle: WOZ vom 23.08.2007
http://www.woz.ch/artikel/newsletter/15317.html
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