Samstag, 24. Januar 2009
 
Fremdenrecht: Watschen für den Gesetzgeber PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Bernhard Redl   
Mittwoch, 7. November 2007

Spitzfindigkeiten zu den aktuellen VfGH-Entscheiden von Bernhard Redl.

Vier Entscheidungen hat nun der Verfassungsgerichtshof zum Fremdenrecht veröffentlicht. Medial breitgetreten wurde hauptsächlich der Kriterienkatalog des VfGH zum Bleiberecht. Dieser Katalog ist allerdings formal nicht viel wert, denn er entstammt keinem Rechtsakt des VfGH, sondern stellt lediglich die Grundhaltung des Höchstgerichts in diesem Zusammenhang dar, wie er der Presse präsentiert wurde.

Tatsächlich ergingen zwei Einzelfallentscheide, wobei nur in einem Fall die Ausweisung für verfassungswidrig erklärt wurde. Dieser Entscheid wird daher nur in ähnlich gelagerten Fällen unmittelbar zitierbar sein. Was der VfGH allerdings mit seinem Katalog gemacht hat, war der Politik eine Rute ins Fenster zu stellen, daß eine Nichtbeachtung dieses Katalogs beim VfGH regelmäßig zur Behebung von Ausweisungen führen würde. Diese Unterscheidung mag eine Spitzfindigkeit sein, jedoch nicht ganz irrelevant auch angesichts der doch sehr vagen Andeutungen dieses Katalogs, der die entscheidenden Behörden sowie den Unabhängigen Bundesasylsenat lediglich zur Abwägung des “öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Privat- und Familienleben)” auffordert — eine Aufforderung, die an sich schon vor den jetzigen Entscheiden eigentlich als selbstverständlich anzusehen gewesen wäre. Und Abwägungen können nun mal so oder so ausgehen — gebunden fühlen müssen sich die Entscheidungsträger da noch lange nicht. Nur wenn die Betroffenen es schaffen, einen neuerlichen Entscheid des VfGH zu erlangen, bevor sie abgeschoben werden, sind sie damit geschützt.

Rechtlosigkeit

Die dritte Entscheidung betrifft die Rechtsstellung der Betroffenen. Und hier beginnt es interessant zu werden. Denn der Gesetzgeber sieht keinen Grund, den humanitären Aufenthalt anders denn als Gnadenakt zu vergeben. Nicht nur, daß nirgendswo ein Rechtsanspruch nach auch nur vage angegebenen Kriterien vorhanden ist, haben die Betroffenen nicht einmal ein Antragsrecht und damit auch keine Parteienstellung in diesem Verfahren. Der humanitäre Aufenthalt kann lediglich von Amts wegen beantragt werden, die Letztentscheidung darüber liegt beim Innenminister. Doch, so der VfGH, die Menschenrechtskonvention sähe vor, “dass jedermann, der eine Verletzung seiner durch die Konvention geschützten Rechte behauptet, das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz hat.” Dies sei hier nicht gegeben, so der VfGH in seiner Stellungnahme. Es handelt sich allerdings in diesem Beschluß lediglich um die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens, dem damit auch noch keine unmittelbare Rechtswirksamkeit zukommt.

Daß aber der VfGH gewillt sein dürfte, hier tatsächlich eine Gesetzesbehebung durchzuführen und nur mehr über das Ausmaß diskutiert, zeigt nicht nur der — nach dem Maßstab für Höchstrichter — ziemlich “angefressene” Ton der Stellungnahme, sondern auch der vierte, medial am wenigsten beachtete Entscheid. Denn auch hier geht es um die Rechtstellung der Betroffenen und der Entscheid ist nicht anders denn als schallende Ohrfeige für den Gesetzgeber zu verstehen. Diese Entscheidung dürfte einfach aufgrund der etwas komplexen Materie — und weil sie sich so überhaupt nicht mit der Causa Zogaj verbinden ließ — schlagzeilenlos geblieben sein, besitzt aber vielleicht die größte Bedeutung. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine rechtliche Kleinigkeit, die aber beispielhaft für eben diese vielen kleinen Rechtsstaatswidrigkeiten ist, die im Gesamten ein Willkürrecht für Nicht-EU-Angehörige ergeben. Es geht um die Abschiebeverhinderung aus gesundheitlichen oder ähnlichen Gründen.

Die bisherige Rechtslage sah folgendermassen aus: Wenn ein Nicht-EUBürger aus anderen Rechtstiteln kein Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen kann, aber aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht abgeschoben werden kann und seine Ausweisung daher eine unmenschliche Behandlung (Art. 3 EMRK) darstellen würde und diese Abschiebe- Hindernisgründe “nicht von Dauer sind, ist gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist” (Art. 10 Abs. 3 Asylgesetz).

Die Bösartigkeit dieser Bestimmung ist auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen. Denn die Interpretation durch die Behörden besagte, daß bei einem solchen Ausweisungshindernis auf alle Fälle zuerst einmal eine Ausweisung auszusprechen ist, bevor eine Durchführungsaufschiebung überhaupt machbar ist. Was logisch erscheint, denn man kann nicht etwas aufschieben, was noch nicht beschlossen ist. In der Praxis wurde Folgendes gemacht: Man sprach die Ausweisung aus, setzte deren Durchführung aber bis zu einem vorbestimmten Datum aus, um dann ohne Verzug abschieben zu können. Faktisch hat der Betroffene keinerlei Rechtsmöglichkeit, eine neuerliche Überprüfung seines Gesundheitszustandes zu veranlassen und damit eine weitere Aufschiebung zu initiieren. Tatsächlich wurde diese Bestimmung auch beispielsweise auf Traumatisierungsopfer angewendet — einem Krankheitsbild, das nicht wie ein Beinbruch nach sechs Wochen als abgeheilt vorherzusagen ist.

Verzweiflungstat

Was der VfGH nun machte, kann nur als ein Verzweiflungsakt angesehen werden. Die Höchstrichter erkannten offensichtlich, daß bei dieser Rechtslage Feuer am Dach ist und verweigerte “angesichts der Schwere des verfassungswidrigen Eingriffes” dem Gesetzgeber die Reparaturfrist. Der VfGH kann aber auch in einem solchen Akutfall eines Normprüfungsverfahrens lediglich Bestimmungen aufheben, nicht aber neu schreiben und verlegte sich auf das Kürzen obiger Bestimmung, so das Art. 10, Abs 3 des Asylgesetzes nun lautet wie folgt: “Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.”

Wie oben dargestellt, wird damit die Durchführung von etwas aufgeschoben, was noch gar nicht existiert. Der Verfassungsgerichtshof erreichte damit zweierlei: Erstens wird dieses temporäre Bleiberecht damit nicht an die Ausweisungsverfügung geknüpft und zweitens bleibt ein rechtslogischer Torso über, der den Gesetzgeber erst recht wieder zu einer Reparatur des Gesetzes zwingt. Wirklich ein salomonisches Urteil ist das aber nicht zu nennen, denn die Rechtsstellung des Betroffenen bezüglich einer neuerlichen Überprüfung seines Gesundheitszustandes wurde damit nicht verbessert, sondern der VfGH ließ es diesbezüglich bei einer rechtlich nicht wirklich bindenden Rüge bewenden — in der Hoffnung auf bessere Einsicht des Gesetzgebers.

Konsequenzen

Dennoch zeigen diese Entscheide in ihrer Gesamtsicht, aber auch das kürzliche ORFInterview mit dem VfGH-Präsidenten, wie sehr das Höchstgericht über die im Fremdenrecht stattfindende Korrosion des Rechtsstaats empört ist. Dabei geht es meistens gar nicht um humanitäre Beweggründe des VfGH oder gar eine tolerantere Auslegung des Bleiberechts. Das Höchstgericht möchte hier weniger Politik machen, als vielmehr die Verletzungen vor allem der Rechtszugangsmöglichkeiten rügen. Der Gerichtshof ist nicht die Caritas und nicht “Asyl in Not”. Schließlich entschied er jetzt auch einmal gegen das Bleiberecht. Aber die Gemeinheiten des Fremdenrechtspakets 2005 liegen gerade in den vielen kleinen Nadelstichen gegen den Kern der Bundesverfassung. Sowas mögen Verfassungsrichter nicht, da fühlen sie ihr Metier beschmutzt und sich “papierlt”. Da kann man ansetzen. Jenen Hilfsorganisationen, die es bislang noch nicht getan haben, ist daher dringend zu empfehlen, jeden auch nur irgendwie relevanten Einzelfall vor den VfGH zu bringen. Das lohnt sich nicht nur im Einzelfall, sondern gibt man dem Höchstgericht nur die Chance, wird es aus dem Fremdenrechtspaket Schweizer Käse machen.

Damit wird man zwar nicht diese von FPÖ und BZÖ intendierte Politik beenden, denn die politische Arbeit gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus werden uns Höchstrichter wohl kaum abnehmen. Aber man kann vielleicht ein paar Menschen vor der Abschiebung bewahren.


Entscheidungen und Presseaussenungen des VfGH: http://www.vfgh.gv.at/

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