Samstag, 24. Januar 2009
 
Mit Mafiaparagraph gegen Tierschützer PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Donnerstag, 11. September 2008

Eine Tierrechtaktivisten und acht Aktivisten wurden am 2. September nach 106 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt noch immer gegen sie nach dem "Mafiaparagraphen" 278a StG. Viele erheben die Stimme gegen diesen Paragraphen, mit dem die Arbeit zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen kriminalisiert werden kann.


Ein schlaksiger junger Mann lässt sich das Gesicht mit schwarzer Schuhpasta einfärben und macht ein grimmiges Gesicht. Die Schulterpartie unter seinem T-Shirt ist wie die eines amerikanischen Football-Spielers ausgestopft. Mit einer Tuba zielt er wie mit einer Schusswaffe auf die Umstehenden. WEGA steht auf seinem Hemd. WEGA, das ist die Spezialtruppe der Polizei, die bei besonders bedrohlichen Situationen zum Einsatz kommt.



Das Straßentheater vor dem Justizministerium in Wien stellt die Szene nach, wie Mitglieder mehrerer Tierschutzvereinigungen am vergangenen 21. Mai frühmorgens aus ihren Betten gerissen wurden. „Mit einem Rammbock traten sie die Tür ein und stürzten auf die Schlafenden“, erinnert sich Martin Balluch, Vorsitzender des Vereins gegen Tierfabriken (VGT). Er wurde nackt, wie er war, von einem schwarz maskierten Bewaffneten mit gezogener Pistole aus dem Bett gerissen und musste zwei Stunden lang zusehen, wie die Wohnung seines Bruders, bei dem er damals übernachtete, auf den Kopf gestellt wurde. Auch der Bruder, die Schwägerin und deren siebenjährige Tochter konnten das Geschehen nur starr vor Schreck beobachten. Etwa 20 weitere Wohnungen waren gleichzeitig Schauplatz ähnlicher Überfälle, darunter auch die Wohnung von Balluch, die seiner Lebensgefährtin und die zwei weiterer Brüder. Zwei Lastwagenladungen mit Archiven und Computern wurden insgesamt abtransportiert. Neun Männer und eine Frau landeten in Untersuchungshaft. Alle hatten sich in der einen oder anderen Form und in verschiedenen Organisationen für Tierschutz eingesetzt.

„Tierschutz in die Verfassung, nicht ins Gefängnis“, forderten die Demonstranten am 6. September vor dem Justizministerium. Der Strafrechtsparagraph 278a solle aufgehoben werden. § 278a StG wurde vor einigen Jahren erst geschaffen und soll die Verfolgung krimineller Vereinigungen erleichtern: Menschenhändler, Geldwäschesyndikate, Drogenringe, Autoschieber.


Martin Balluch alle Fotos: R. Leonhard

Martin Balluch, der 43jährige Doppeldoktor der Philosophie und Physik, ist gezeichnet von mehr als drei Monaten in Untersuchungshaft, einem dreiwöchigen Hungerstreik und der psychologischen Qual, der er ausgesetzt war. Ausgemergelt, hoch gewachsen und mit einem Zehntagebart sitzt er beim Interview. Drei Tage nach seiner Entlassung am 2. September trägt er noch immer die Hose und das T-Shirt aus dem Gefängnis. „Ich habe weder meine Wohnungsschlüssel, noch die Autoschlüssel oder mein Handy zurückbekommen“. Auch seine Kreditkarten und Sparbücher befanden sich noch im Gewahrsam der Polizei. „Wenn ich keine Freunde hätte, müsste ich irgendwo unter der Brücke schlafen“.

Erst nach und nach konnte Martin Balluch rekonstruieren, was ihm und den anderen eigentlich vorgeworfen wurde. Es waren gar keine konkreten Straftaten, wie Brandanschläge, Buttersäureattentate in Textilgeschäften oder das Zertrümmern von Auslagenscheiben, die mit der Tierschutzszene in Zusammenhang gebracht werden. Es war vielmehr die mögliche künftige wirtschaftliche Schädigung der Bekleidungsindustrie in Österreich. Konkrete Straftaten vermochte man keinem der Inhaftierten nachzuweisen. Deswegen wurde der „Mafiaparagraph“ 278a bemüht.

Balluch, der seit bald 20 Jahren streng vegan lebt, hatte zunächst Schwierigkeiten, sich in der Untersuchungshaft überhaupt zu ernähren. Überhaupt kein Verständnis aber zeigten die Wärter für sein Verlangen, Zahnpasta und Kosmetikartikel zu bekommen, die ohne Tierversuche hergestellt wurden. Die sind gar nicht leicht zu finden und es dauerte einige Tage, bis er die Genehmigung bekam, von Freunden mit den gewünschten Artikeln versorgt zu werden.

Mit welchem Aufwand, welcher Akribie und welchem Ziel die Tierrechtler verfolgt wurden, konnte anfangs keiner ahnen. Schon Anfang 2007 hatte das Innenministerium eine Sonderkommission von 34 Agenten ins Leben gerufen, die in den Akten wahlweise unter Soko Kleider, Soko Pelztier oder Soko Tierschutz firmiert. Sie brachte monatelang das schärfste Instrumentarium in Stellung, das der Rechtsstaat gegen mutmaßliche schwere Verbrecher vorsieht: Observation, großen Lauschangriff, Einsatz von Spitzeln. Daß sein Telefon abgehört wurde, ahnte Balluch spätestens als er und einige Kollegen ausrückten, um eine illegale Treibjagd zu stören. „Die Polizei war schon da und ließ uns gar nicht heran“. Das Gelände war mit Traktoren abgeriegelt und die Treibjagd verlegt worden. Schon vorher hatte die VGT illegale Fasanzucht gefilmt. Fasanzucht an sich ist nicht verboten. Allerdings muß gemeldet werden, wenn Zuchtfasane bei Treibjagden ausgesetzt werden. Im konkreten Fall war weder die Zucht, noch die Jagd gemeldet worden.

Daß jede seiner Bewegungen mittels Peilsender auf seinem Auto längst überwacht wurde, hätte sich Balluch allerdings nicht träumen lassen. Jeder seiner Schritte war dem Verfassungsschutz bekannt. Auch Dutzende andere Tierrechtler waren Gegenstand von Observationen. Sämtliche Computer, die Balluch und die Mitarbeiter des VGT in den vergangenen 15 Jahren benützt hatten, wurden bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmt. Balluch: „Es wurden mir e-mails vorgehalten, die ich vor elf Jahren geschrieben habe“.

Die Ermittlungen kamen ins Rollen, nachdem die Gebrüder Peter und Werner Graf, Inhaber der Textilkette Kleiderbauer, eine Sachbeschädigung an ihren Autos gemeldet hatten. Der Lack der Fahrzeuge wurde mit Säure oder Farbe beschädigt. Das war im April 2007. Statt bei der Polizei Anzeige zu erstatten, wandten sie sich direkt an den damaligen Innenminister Günther Platter, ÖVP. Ihr Modehaus, so klagten die Brüder, sei seit September des vorangegangenen Jahres Ziel einer Kampagne von Tierschutzvereinigungen, die schon bei Peek&Cloppenburg den Ausstieg aus dem Geschäft mit Naturpelzen bewirkt habe. Die Unternehmer begehrten nicht die Untersuchung und Ahndung der Sachbeschädigung, sondern Maßnahmen gegen die Tierschützer, die fast täglich – polizeilich angemeldete – Demonstrationen vor den Filialen ihrer Textilkette veranstalteten. Dabei setzten sie auch äußerst unangenehme Beschallung ein und rieten Kunden vom Einkauf ab, da Kleiderbauer noch immer echte Pelze verarbeite. Der Minister scheint die Dringlichkeit des Anliegens verstanden zu haben, denn schon zwei Tage später fand in der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, die sich mit der Verfolgung von Schwerverbrechern zu befassen hat, eine hochkarätig besetzte Sitzung statt.

Deren Verlauf und der weiterer Treffen im April und Dezember 2007 ist durch Sitzungsprotokolle belegt, die dem Grün-Abgeordneten Peter Pilz zugespielt wurden. Neben dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und dessen Stellvertreter war die stellvertretende Leiterin des Bundesamtes für Verfassungsschutz anwesend, der Zuständige für organisierte Kriminalität, der Wiener Polizeipräsident samt Stellvertreter, hohe Beamte des Innenministeriums und die Gebrüder Graf. Im Verlaufe der Diskussion, wie man den Textilunternehmern die Demonstranten vom Hals schaffen könne, wies der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit den Polizeipräsidenten an, „alle administrativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Demonstrationen vor den Filialen zu untersagen“. Das Versammlungsrecht dürfe nicht in Geschäftsblockaden ausufern „und zu einem de facto Ruin des Unternehmens führen“.

Polizeipräsident Peter Stiedl versprach, mit den Demonstranten in Verhandlungen zu treten, „dass die Demos nicht unmittelbar vor den Geschäften, sondern etwa 100, 150 Meter abseits“ abgehalten werden sollten. Hinsichtlich der Sachbeschädigungen konnte er keinen klaren Zusammenhang zu den Teilnehmern der Demonstrationen herstellen. Am Ende der Sitzung wurde die Gründung einer „Sonderkommission Tierschützer“ beschlossen.

Sieben Monate später zieht man im Bundeskriminalamt Zwischenbilanz, was der Einsatz von 32 Beamten verschiedener Dienststellen, die der Soko Tierschutz zugeordnet waren, gebracht hat. Seit ihrem Bestehen wurden zwei Sachbeschädigungen registriert, die Tierschützern zugeschrieben wurden. Die observierten Organisationen wurden in der Zwischenzeit gründlich durchleuchtet: Lebenswandel der Aktivisten, Finanzierung, internationale Verflechtungen, Verankerung in der Szene. Trotz verdeckter Ermittlungen, Telefonüberwachung, Zeugenbefragungen und Auslandsermittlungen konnten keine Hinweise auf Verwicklung von Mitgliedern der verdächtigen Organisationen in die Straftaten gefunden werden.

Allerdings hatten die Beamten in ihren unermüdlichen Ermittlungen eine Offensive gegen die Pelzindustrie (OGPI) entdeckt, die sie als strategischen Zusammenschluß verschiedener Tierrechtsorganisationen identifizierten. Die OGPI werde vom VGT und der Basisgruppe Tierrechte (BAT) „in ihren Kampagnenzielen unterstützt“. In dieser Sitzung vom 18. Dezember des Vorjahres wird erstmals der „Mafiaparagraph“ ins Spiel gebracht: Besonderes Augenmerk sei „in Hinblick auf §278a zu richten (Ziele, Kommunikation, Finanzierung, Planung, Arbeitsteilung, Abschottung)“.

Besonders verdächtig erscheint den Ermittlern, deren Beschattungen nicht unbemerkt bleiben konnten, dass die Tierrechtler ihren e-mail-Verkehr verschlüsselten. Im übrigen sei die internationale Vernetzung unterschätzt worden. Beides diente aber schließlich als Vorwand, den Mafiaparagraphen gegen die Tierschützer in Stellung zu bringen.

Am 21.Mai schlug die Polizei dann zu. Absurdes Detail am Rande: die Festgenommenen gehören vier verschiedenen Organisationen an, die teilweise sogar miteinander verfeindet sind. Die Leute, gegen die als „Mitglieder einer kriminellen Vereingung“ ermittelt wurde, kannten einander zum Teil gar nicht. Trotzdem wurde die U-Haft mehrmals verlängert: wegen „Tatbegehungsgefahr und Verdunkelungsgefahr“.

Martin Balluch fragte die Chefinspektorin, die ihn stundenlang verhörte: “Sind Sie der Meinung, dass ich eine der untersuchten strafbaren Handlungen gesetzt oder geplant habe?“. Das habe sie verneint. Der Vorwurf sei vielmehr, dass er und sein Verein die Basis schüfen, „dass andere das tun“.

Der Verein gegen Tierfabriken wurde 1992 als Lobbyorganisation gegen die industrielle Tierproduktion gegründet. Tierschutz galt bis dahin in erster Linie den Haus- und Versuchstieren, nicht aber den sogenannten Nutztieren. Gerade bei der Nutztierhaltung, so Balluch, finde der Tiermißbrauch besonders eklatant statt. Das Fernziel des Vereins, das auch Balluch als sehr utopisch einstuft, ist eine Welt, in der Tiere nicht mehr gegen ihren Willen genutzt werden können: „Das Wegnehmen des Kalbs zwecks Milchgewinnung kann nicht im Interesse der Kuh sein“. Als wichtigen Präzedenzfall sieht er das seit 2006 geltende Verbot in Österreich von Tierversuchen mit Gibbons.

Balluch bekennt sich dazu, dass sein Verein der Tierindustrie sehr großen Schaden zugefügt habe, allerdings mit rein legalen Mitteln. So tritt mit Jahresbeginn 2009 in Österreich ein völliges Verbot von Legebatterien in Kraft. Schon jetzt werden praktisch nur mehr Eier aus Bodenhaltung verkauft. Auch das Pelzfarmverbot von 1998 schreibt sich der VGT auf die Fahnen. „Wir haben durch Bewusstseinsbildung viel erreicht“, meint Martin Balluch, „es wäre völlig kontraproduktiv, mit illegalen Aktionen zu operieren“. Der VGT ist ein Verein mit 18.000 zahlenden Mitgliedern, keine sektiererische Aktionistengruppe. Daß er in seinem Computer sämtliche tierschutzrelevanten Ereignisse dokumentiere, darunter auch Bekennerschreiben zu Anschlägen in anderen Ländern, gehöre zu seinen Aufgaben als Vorsitzender des VGT. Strafrechtlich relevant ist das genauso wenig, wie die Aufforderung, bei bestimmten Modeketten nicht einzukaufen.

Wenn die Grünen und Justizministerin Maria Berger, SPÖ, nicht Druck gemacht hätten, würden die Tierrechtsaktivisten heute noch in U-Haft sitzen. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, der Balluch im Gefängnis besuchte, schlug den Polithäftling als Kandidaten für die bevorstehenden Nationalratswahlen vor, was ihn viel Kritik eingetragen hat. Schließlich seien die Vorwürfe nicht fallengelassen worden. Ob es allerdings jemals zur Anklage kommt, hängt davon ab, ob die Behörden ihre Vorwürfe untermauern können. Nicht nur die Grünen und Menschenrechtler, auch namhafte Juristen finden, dass der Mafiaparagraph gestrichen oder reformiert werden muß. Peter Pilz hat argumentiert, dass nach dem Wortlaut des Paragraphen nicht nur Greenpeace und andere engagierte NGOs, sondern auch die ÖVP als „kriminelle Vereinigung“ definiert werden könnten.



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