Wieder Verfahren zum Ungehorsams-Aufruf |
Geschrieben von Bernhard Redl | |
Donnerstag, 10. Januar 2008 | |
Der Aufruf zum Ungehorsam gegen Militärgesetze von 1991 beschäftigt immer noch die Justiz. Aktenzeichen 274UR 34907W. "Das muss ein alter Akt sein!" Meint man bei derStaatsanwaltschaft am Wiener Straflandesgericht. Ja, das stimmt. Er ist ueber 16 Jahre alt. Es handelt sich dabei um das Verfahren gegen 255 Menschen, die beschuldigt werden, am 3.September 1991 ein Inserat in der damals noch existierenden Tageszeitung AZ geschaltet zu haben -- also um den bekannten "Aufruf zum Ungehorsam gegen Militaergesetze". "Aber der Akt ist bei uns schon abgestrichen." Soll heissen: erledigt. Eigentlich muesste die Sache auch schon seit ueber einem Jahrzehnt verjaehrt sein. Tatsaechlich gibt es aber immer noch Einvernahmen im Vorverfahren, 7 oder 8 Leute duerften derzeit noch von den Justizbehoerden belaestigt werden. Dort beruft man sich auf §412 der Strafprozessordnung, wonach ein nicht verfolgbarer Taeter auch spaeter noch von der Staatsanwaltschaft belangt werden koenne. In den jetzt wieder akut gewordenen Faellen habe man neue Aufenthaltsdaten bekommen und gehe dem jetzt nach, so die Staatsanwaltschaft. Es ist also nicht ganz auszuschliessen, dass noch Prozesse in dieser Angelegenheit stattfinden werden. Der von der "Gruppe fuer Totalverweigerung" lancierte "Aufruf zum Ungehorsam" machte in den Neunzigerjahren der Justiz schwer zu schaffen, da die 245 Unterzeichneten zur Untermauerung ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Bundesheeres diese mit dem Aufruf verbanden, ganz allgemein "Militaergesetze nicht zu befolgen", und auch noch betonten, sich im Klaren zu sein, dass dies ein Vergehen nach §281 StGB ("Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze") sei. Als Reaktion auf die ersten Strafverfahren erschienen ueber mehrere Jahre verteilt drei weitere Aufrufe mit dem gleichen Text und neuen Namen. Insgesamt setzten damit ueber 800 Menschen ihren Namen unter den Text. Etliche Dutzend von ihnen wurden zu 4 bis 6 Wochen bedingter Haft verurteilt, obwohl die einzelnen Richter sich anfangs nicht darueber einig waren, ob es sich dabei tatsaechlich um ein Delikt gehandelt hat, oder nur um die Pointierung einer Forderung. Dass nicht alle 800 verurteilt wurden, mag vielleicht auch an der Ueberlastung der Justiz und dem politischem Desinteresse an einer zu umfassenden Kriminalisierung gelegen haben, sicher aber an der Tatsache, dass weder die Originalunterschriften noch weitere eindeutige Personendaten vorlagen, sodass die Justiz bei Namensgleichheiten auf Mutmassungen ueber die zu Beschuldigenden angewiesen war. Ebenfalls verurteilt wurde damals Renate Sassmann, die von den Behoerden als Verantwortliche fuer die Veroeffentlichung der Unterschriftenliste in der akin ausgemacht worden war. Denn besonderes Augenmerk wurde damals von seiten der Justiz auf die Verfolgung der verantwortlichen Hintermaenner und -frauen gelegt. So kam es zu Hausdurchsuchungen in der TATblatt-Redaktion sowie im Buero der Arge fuer Wehrdienstverweigerung -- dort absurderweise unter anderem, um das inkriminierte Exemplar der akin zu beschlagnahmen, obwohl die akin dort nie redigiert oder gedruckt worden war. Massenmediale Beachtung fand der Aufruf allerdings lediglich durch die Unterschriften von Gruen-Mandataren und anderen Prominenten (Peter Pilz, Madeleine Petrovic, Guenther Nenning, Ostbahn-Kurti, Robert Jungk, Elfriede Jelinek etc.). Aber auch rechtswissenschaftlich war der Aufruf von Bedeutung. Der §281 war bis zu diesem Zeitpunkt beinahe totes Recht gewesen, da er so gut wie nie zur Anwendung gelangte. Die Kommentare in Rechtslehrbuechern zu diesem Paragraphen beruhen heute daher zu einem Gutteil auf der Judikatur dieser Verfahren sowie den damit angestossenen Diskussionen unter den Rechtsgelehrten. Die Redaktion der akin ( ) bittet Menschen, die jetzt in diesem Zusammenhang vorgeladen werden oder vor kurzem einvernommen worden sind, sich bei uns zu melden, um das Justizgeschehen diesbezueglich weiter ans Licht der Oeffentlichkeit zerren zu koennen. Zum Hintergrund siehe auch: akin im TATblatt-Archiv |
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