Der Entwurf für den ersten Teil einer Reform der österreichischen Verfassung liegt auf dem Tisch. Doch über deren Qualität und Wirksamkeit klare Aussagen zu machen, gestaltet sich immer noch schwierig. Der Versuch einer Analyse.
Nun ist die Katze also aus dem Sack: Der erste Teil der Reform der österreichischen Bundesverfassung, ausbaldowert von einer sehr exklusiven Altherrenrunde unter Führung des ÖVP-Politpensionisten Andreas Khol und des SPÖ-Volksanwalts Peter Kostelka, liegt auf dem Tisch. Der erste Eindruck: Der Berg kreißte und gebar ein Mäuschen. Zwar sind die Papiere rund hundert Seiten stark, inhaltlich aber prima vista nicht sehr gehaltvoll. Die Hauptarbeit bestand wohl im Streichen alten Rechtsmülls -- irgendwelches Flickwerk zur 27.Reform irgendeines längst nicht mehr aktuellen Rechtsbestands oder Reformen, die schon vor Urzeiten in Neufassungen von Verfassungsgesetzen eingearbeitet worden.
Ein derartiger Großputz ist beileibe eine löbliche Angelegenheit. Die Frage bleibt aber bestehen, ob in diesem kaum durchdringbaren Wust nicht so die eine oder andere heikle Bestimmung mit entsorgt worden ist. Auch wenn dem Verfasser dieser Zeilen bislang nichts wirklich Bedenkliches aufgefallen ist, könnte dort noch so einiges versteckt sein -- ein erfahrener Verfassungsjurist bräuchte wohl mindestens zwei 60 Stunden-Wochen, all das auseinanderzuklamüsern.
Neben diesen Reinigungsarbeiten enthält der Entwurf gewisse Frontbegradigungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern.
Der Justizanwalt
Zentral ist aber bei diesem "Ersten Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz" vor allem die Justizreform. Besonderes Augenmerk wurde dabei bislang dem Justizanwalt zuteil, einer Institution, die die Gerichte kontrollieren soll und deswegen von Richtervereinigung und Gewerkschaft nicht sonderlich goutiert wird. Das Mißbehagen, einen Kontrollor ins Genick gesetzt zu bekommen, ist ja verständlich. Speziell das Recht, einen Richter in einem konkreten Verfahren ablehnen zu können, stößt der Präsidentin der Richtervereinigung, Barbara Helige, sauer auf, da sie eine Einmischung der Politik in die Justiz fürchtet. Zwar sind dabei verfassungsrechtliche Bedenken (Trennung der Gewalten) durchaus nicht völlig vom Tisch zu wischen, allerdings muß man dabei doch die Kirche im Dorf lassen, denn zu bestellen ist auf zwölf Jahre ein nicht wiederbestellbarer Mandatar, der den Richterberuf zumindest 20 Jahre ausgeübt hat. Bestellt wird er durch den Nationalrat in Folge eines Dreiervorschlags durch den Obersten Gerichtshof. Weder ein Interesse an Wiederbestellung kann ihm daher unterstellt werden, wodurch politischer Einfluß ausgeübt werden könnte, noch Unkenntnis richterlicher Problematiken. Abgesehen davon werden die meisten Amtsträger unter diesen Bedingungen bei Ende ihrer Amtszeit sowieso pensionsreif sein, also auch keine hochfliegende Karrierepläne mehr haben. Natürlich ist eine parteipolitische Einflußnahme auf diesen "Ombudsmann" sowie eine Amtsführung gemäß dessen politischer Präferenzen nicht ausgeschlossen, jedoch ist diese Gefahr auch bei jedem einzelnen Richter gegeben. Beispielsweise wäre in der Angelegenheit "Operation Spring" ein Justizanwalt möglicherweise eine gute Einrichtung gewesen -- ob sie das in der Praxis allerdings auch sein kann, steht auf einem andern Blatt Papier als jenes, auf den diese Verfassungsreform geschrieben ist. Denn ob gerade ein als Richter sozialisierter Mensch in der Lage ist, seine früheren Kollegen -- und zum Teil wohl auch Freunde -- vorurteilsfrei zu kritisieren, erscheint schon auch fraglich. Generell wird daher erst die Praxis erweisen, wie sich ein Justizanwalt bei diesem gesellschaftlichen Hintergund überhaupt verhalten kann, welche Möglichkeiten ihm realpolitisch eröffnet werden und wie selbstbewußt er sein Amt ausübt. Denn in der österreichischen Bundesverfassung steht viel geschrieben, das mit der Realverfassung alias ungeschriebenes Gewohnheitsrecht nichts zu tun hat.
Staatsanwaltschaft
Die Kritik der Grünen an der Reform gilt vor allem der Nichtstreichung der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft. Wohl um dem zu begegnen, soll mit dieser Reform jedoch zumindest ein ständiger Parlaments-Unterausschuß eingerichtet werden, um das Aufsichts- und Weisungsrecht des Justizministeriums kontrollieren zu können. Allerdings ist zu befürchten, daß auch dieser Ausschuß eher als Kalmierungsmittel gedacht ist, da ja auch hier -- noch dazu unter Ausschluß der Öffentlichkeit -- Feststellungen des Ausschusses durch die Mehrheit der jeweiligen Regierungsparteien gemacht werden dürften. Eine echte Kontrolle der Regierung durch den Nationalrat und seine Ausschüsse ist ja -- obwohl in der Bundesverfassung generell so vorgesehen -- bekanntermaßen eine systembedingte Unmöglichkeit.
Verwaltungsgerichte
Generell ist die Forderung nach Einrichtung von Verwaltungsgerichten uralt. Bislang war es so, daß in Verwaltungsangelegenheiten in erster Instanz von einfachen Beamten entschieden wurde. Berufungsverfahren wurden von Behördenvertretern "mit richterlichem Einschlag" (Formulierung der Reformgruppe) verhandelt. Diese waren meist entweder direkt Bundes- oder Landesregierungsmandataren weisungsgebunden oder durch kurze Amtszeiten und willkürliche Wiederbestellungsmethoden leicht unter Druck zu setzen.
Die Folge: Im Verwaltungsverfahren konnte man nie ein ordentliches Gericht anrufen -- ein rechtsstaatliches Loch. Viele Fälle landeten daher beim völlig überlasteten Verwaltungsgerichtshof, der als Höchstgericht und außerordentliche Instanz eigentlich vornehmlich zur Fällung von Grundsatzentscheidungen gedacht ist.
Mit dem Ersatz von rund 70 Oberbehörden (bspw. den Unabhängigen Verwaltungssenaten oder dem Unabhängigen Bundesasylsenat) durch 9 Länderverwaltungsgerichte und ein Bundesverwaltungsgericht taucht aber das Problem auf, daß bislang Fachexperten die Entscheidungen in zweiter Instanz fällten, diese zum Teil doch sehr komplexen Materien nun aber vor ein allgemeines Gericht kommen sollen. Daher sieht der Entwurf eine Einteilung der Gerichte in Fachsenate vor, die in den entsprechenden Rechtsbereichen Urteile fällen sollen. Diese Fachsenate sollen mit Richtern besetzt werden, deren Qualifikation zumindest ein abgeschlossenes Studium zu sein hat -- allerdings nicht zwingend eines der Jurisprudenz. Man kommt also zu der etwas eigentümlich anmutenden Situation, daß statt eines einschlägig zusatzgeschulten Juristen ein Nichtjurist als ordentlicher Richter Urteile letzter ordentlicher Instanz sprechen soll. Geschuldet dürfte dies dem Umstand sein, daß für diese Gerichte kaum so bald das entsprechende juristische Personal aufzutreiben sein wird, umgekehrt die bislang richterähnlich agierenden Beamten der nun abzuschaffenden Behörden eine Beschäftigung brauchen. Womit erklärt sein dürfte, wieso von Seiten der Personalvertreter an diesen neuen Institutionen kaum Kritik laut wurde. Auch hier wird erst die Praxis erweisen, ob tatsächlich die neuen Gerichte sich über die Bürokratenmentalität erheben können oder ob nicht einfach nur das Schild an der Tür ausgewechselt wird.
Volksanwaltschaft, Verfassungsgerichtshof
Die Befugnisse der Volkanwaltschaft werden auf privatwirtschaftliche Betriebe im mindestens 50prozentigen Eigentum des Bundes oder anderer Gebietskörperschaften ausgedehnt. Dies dürfte wohl eine Anpassung an die massive Auslagerungen auch von Behörden sein, die zum Teil sogar hoheitliche Aufgaben erfüllen -- man denke nur an das Arbeitsmarktservice.
Auch der Verfassungsgerichtshof erfährt eine Reform. Dabei soll vor allem ein echtes Individualklagsrecht entstehen. Ob das praktische Bedeutung haben wird, bleibt aber abzuwarten. Bislang konnte ein Kläger ja nur über einen Antrag beim letztinstanzlichen ordentlichen Gericht dieses darum bitten, für ihn beim VfGH vorstellig zu werden. In der Praxis war dieser Zugang aber ein durchaus nicht sehr problematisch und umgekehrt wird auch in Zukunft der VfGH Klagen einfach abweisen können.
Resümee
Nach einem ersten gründlicheren Blick auf das Paket wundert man sich sehr, daß dieses von Khol/Kostelka stammt, sind die Vorschläge mit Abstrichen ja durchaus nicht ganz unvernünftig und erscheinen kaum eine autoritäre Tendenz zu haben. Vielmehr erscheinen diese Vorschläge tatsächlich durch Interesse zu mehr bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit im guten Sinn des Wortes intendiert.
Allerdings ist immer noch zu Vorsicht zu ermahnen. Denn zum Einen steckt der Hund im Detail, sprich in der Realisierung dieser Verfassungsbestimmung durch einfache Gesetze, Durchführungsverordnungen und vor allem die bekannt menschenfreundliche Art, wie Regierungspolitiker und Beamte in Österreich Vorschriften in Rechtspraxis umsetzen. Zum Anderen ist diese Reform ja erst ein erster Teil. In einem zweiten sollen die Schulbehörden und Sozialbehörden neu organisiert werden. Und dann harrt beispielsweise, auch wenn noch niemand so recht darüber reden will, im Lichte der EU-Mitgliedschaft der große Bereich der Außen- und Militärpolitik einer Bearbeitung. Aufmerksamkeit gegenüber dem Tun des eingeschworenen Reformzirkels bleibt also weiterhin Pflicht.
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