Samstag, 24. Januar 2009
 
Die neuen Ziele der EU-Handelspolitik PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Autorenkollektiv/akin   
Donnerstag, 12. Oktober 2006

Mehr Einfluss für Konzerne - jetzt wächst zusammen, was zusammengehört: Der EU-Binnenmarkt und die Globalisierung. Denn geht es nach EU-Handelskommissar Peter Mandelson, dann soll die EU in Zukunft eine Handelsstrategie unter dem Titel ‚Global Europe. Competing in the world' verfolgen.

Die darin skizzierte Strategie der EU zur internationalen Handels- und Investitionspolitik liest sich wie eine Wunschliste europäischer Konzerne für neue aggressive bilaterale Handels- und Investitionsverträge. Deren konkrete Vorbereitung ist auch bereits in vollem Gange - höchste Zeit also für Zivilgesellschaft und Gewerkschaften, sich den neuen Bedrohungen ‚jenseits der WTO' zu widmen.


Seit Herbst 2005 arbeitet die EU-Kommission in Brüssel hinter verschlossenen Türen an einer neuen handelspolitischen Strategie für die Zeit nach den Doha-Verhandlungen (Anm. akin: WTO-Runde). Erste Arbeitspapiere wurden bereits in der Presse kommentiert, Handelskommissar Peter Mandelson hat in öffentlichen Reden bereits einige der neuen Ziele umrissen. Der vom 15.-16. Oktober tagende Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen (General Affairs and External Relations Council, GAERC) wird möglicherweise eine erste Diskussion auf der Ministerialebene führen; der folgende GAERC könnte bereits Beschlüsse fassen.

Das Ziel der neuen Strategie ist die Verbesserung der so genannten externen Wettbewerbsfähigkeit. Will die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit im globalen Markt behaupten, so die Quintessenz, muss sie ihre Anstrengungen für mehr Geschäftsmöglichkeiten europäischer Firmen im Ausland verstärken. Insbesondere gerät dabei das allgemeine ordnungs- und wirtschaftspolitische Umfeld in Drittländern in das Visier der Kommission. Doch auch innerhalb der EU will die Kommission eine noch unternehmerfreundlichere Umgebung schaffen.

Die EU-Kommission will nicht nur eine aggressivere, oder - mit ihren eigenen Worten - "aktivistischere" Position beziehen, sondern auch etliche der vorher selbst festgelegten Grenzen überschreiten. So schlägt sie beispielsweise stärkere Mitspracherechte des europäischen und internationalen Business bei der EU-internen Gesetzgebung vor, weiters den Zugang der Industrie zu Streitschlichtungsverfahren, so dass Unternehmen Staaten leichter verklagen können, wenn sie ein Gesetz nicht im Einklang mit Handelsabkommen sehen und sich durch Ordnungspolitik eingeschränkt fühlen. Auch plant die Kommission Einschränkungen des Zugangs zu den EU-Märkten im Bereich öffentliches Auftragswesen für solche Staaten, die nicht ihrerseits diese Märkte öffnen, sowie volle Parität in bilateralen Verhandlungen.

Handelspolitik ist längst ein Instrument, das über Zollpolitik weit hinausgeht, etwa bei der nationalen Regulierung im Bereich Dienstleistungen oder bei Rechten an geistigem Eigentum. Die EU-Kommission will diese Tendenz noch verstärken: Handelspolitik soll den Rahmen setzen für nationale Gesetzgebung. "Interne und externe Wettbewerbsfähigkeit sind untrennbar verbunden", so die Generaldirektion Handel der Kommission. Nach der Agenda der EU-Kommission sollen außerhalb wie innerhalb der EU alle Hürden abgeschafft werden, gesetzgeberische Maßnahmen im In- wie Ausland sollen den freien Handel so wenig wie möglich verzerren, was nichts anderes bedeutet, als dass das ordnungspolitische Umfeld beziehungsweise die Vorschriften für Unternehmen so weit wie möglich abgebaut werden sollen. Die Folge wäre ein verschärfter Wettbewerb durch mehr Flexibilisierung und mehr Deregulierung. Das europäische Sozialmodell wäre damit passé, abgelöst durch die nackte Realität einer globalisierten Wirtschaft ohne soziale oder ökologische Beschränkungen.

Doha-Runde nicht genug

Bereits im Herbst 2005 schätzte die Kommission die Doha-Runde der WTO zwar als wichtigen Meilenstein ihrer Handelspolitik ein, aber als bei weitem nicht ausreichend für ihre ehrgeizigen Ziele. Auch bei einem erfolgreichen Abschluss der WTO-Verhandlungen hätte die EU auf neue bilaterale Abkommen mit wichtigen Entwicklungsländern und regionalen Märkten gedrängt. Durch das vorläufige Aussetzen der WTO-Verhandlungen im vergangenen Juli könnten diese jetzt vorgezogen werden. Dabei hat die EU-Kommission insbesondere die Schwellenländer im Visier. Sie konstatiert, dass die Position der EU in statischen Märkten stabil bleibt, dass sie mit dem Tempo in wachsenden Märkten jedoch nicht Schritt hält. Die Kommission sieht daher die Notwendigkeit, ihre Anstrengungen zu erhöhen, um "von den Möglichkeiten zu profitieren", die das hohe Wachstum in aufstrebenden Märkten bietet.

Aus Sicht der Kommission ergeben sich daraus folgende Prioritäten für die Zukunft:

- die Beseitigung der nichttarifären (Anm. akin: also nicht Zölle u.ä. betreffenden) Handelshemmnisse für EU-Exporte und -Investitionen,

- Besserer Zugang zu Rohstoffen; Hauptziel ist hier die komplette Abschaffung von Exportzöllen und anderer Exportrestriktionen, die von Handelspartnern genutzt werden, um ihre eigene Rohstoffversorgung zu sichern. Diese Praxis unterminiert der Kommission zufolge die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

- Weitere Stärkung der Präsenz von EU-Unternehmen durch die Erleichterung der ‚permanente Niederlassung', was auf eine Liberalisierung von Investitionsregeln hinausläuft.

- Die Öffnung der Märkte für öffentliches Auftragswesen. Praktiken in Partnerländern "behindern" jedoch die "faire" Beteiligung von EU-Anbietern und "...schließen [sie] von wichtigen Exportmöglichkeiten aus".

- Verbesserte Kontrolle der Anwendung von Anti-Dumping-Mechanismen durch Drittländer. Viele Handelspartner der EU missbrauchen nach Ansicht der Kommission diese Mechanismen und heben so oftmals den gewonnenen Marktzugang wieder auf.

- Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte inklusive geographischer Herkunftsangaben. Dabei geht es der Kommission sowohl um eine Ausweitung und Verschärfung bereits bestehender Gesetzgebungen in anderen Ländern als auch um deren konsequente Anwendung zur effektiven Vermeidung von Produktpiraterie.

Eine neue Generation bilateraler Abkommen

Für die Kommission ist klar, dass selbst ein weitreichendes Ergebnis der aktuellen Doha- Runde nicht ausreichend wäre, um die Wunschliste der EU-Unternehmen zu erfüllen. Nach dem Abschluss der Doha-Runde sollen alle oben genannten Themen wieder auf den Tisch kommen. Da jedoch Zweifel an der Bereitschaft der WTO-Mitglieder bestehen, eine solche Agenda anzunehmen, soll ein neues Programm weitreichender bilateraler Verhandlungen entwickelt werden.

Ein erster Schritt wäre, die Kriterien zur Auswahl der Zielländer zu definieren. Wichtige Kriterien wären aus Sicht der Kommission: Marktpotenzial (die Größe des Marktes und Wachstumsperspektiven), Ausmaß des Protektionismus gegen EU-Exportinteressen und die Anzahl bilateraler Abkommen, die Länder bereits mit anderen Ländern haben (insofern diese die EU ausschließende privilegierte Beziehungen begründen). Hinzu kämen der Zugang zu Ressourcen, das Gleichgewicht zwischen offensiven und defensiven Interessen und die Auswirkungen auf das multilaterale System.

Vor allem aber sollen die neuen bilateralen Abkommen weitreichender sein als die heutigen, insbesondere im Hinblick auf nichttarifäre Handelshemmnisse und den wirtschaftspolitischen Rahmen, wo Instrumente wie "Streitvermeidungsmechanismen" und der private Zugang der Wirtschaft zu Streitschlichtungsmechanismen eingeführt werden.

Die neuen bilateralen Abkommen werden Folgendes leisten müssen:

- Den Marktzugang für praktisch jeglichen Handel mit Gütern und Dienstleistungen sichern und dabei volle Parität mit den Vorteilen anderer Staaten in deren bilateralen Abkommen anzustreben

- Nichttarifäre Handelshemmnisse angreifen und wirtschaftspolitische Konvergenz anstreben, das heißt neben den üblichen Themen wie gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen (Sanitary and Phytosanitary Measures, kurz SPS), technischen Handelshemmnisse (Technical Barriers to Trade, kurz TBT) und geistigen Eigentumsrechten (Intellectual Property Rights, kurz IPR) will die Generaldirektion Handel eine weitere Grenze sprengen. Sie erkennt nicht nur in bestimmten regulativen Maßnahmen Handelshemmnisse, sondern auch in der Art, wie diese Maßnahmen eingeführt werden: "ohne ausreichende Konsultationen". Daher werden Disziplinierungsmaßnahmen benötigt, die "Streitvermeidungsmechanismen" beinhalten. Dies geht in die Richtung der von den USA in ihren bilateralen Verhandlungen angestrebten "Verpflichtung zur vorherigen Absprache": Wenn Staaten ihre Wirtschaft und Handel betreffenden Regeln ändern möchten, müssen sie ihre Handelspartner während des Entscheidungsprozesses einbeziehen. Die EU-Kommission fordert "Konsultation, Frühwarnprozesse, Informationsaustausch und die Gelegenheit zur Stellungnahme" - wohlgemerkt der jeweils interessierten Business- Community; nicht etwa der Bevölkerung oder Zivilgesellschaft.

- Die Märkte für öffentliches Auftragswesen öffnen. Da der EU-Markt für öffentliches Auftragswesen bereits weitgehend geöffnet ist, erwägt die EU, diese Offenheit für Staaten, die nicht nachziehen, zu reduzieren, um sie so zur Verhandlung von Abkommen im Bereich öffentliches Auftragswesen zu drängen.

Die Kommission schlägt außerdem ein Prüfverfahren vor, um vor dem Verhandlungsstart sicherzustellen, dass ihre Handelspartner den gleichen Grad an Bereitschaft zu weitreichenden Vereinbarungen haben. Damit soll das Risiko blockierter Verhandlungen aufgrund unterschiedlicher (widersprüchlicher) Erwartungen verringert werden. Solche Überprüfungsverfahren haben mit Indien, ASEAN und Südkorea bereits stattgefunden oder sind derzeit im Gange.

Die innenpolitische Dimension der Außenhandelsstrategie

Interne Politik soll diese Maßnahmen zur externen Wettbewerbsfähigkeit unterstützen. Für die EU-Innenpolitik bedeutet dies nach Ansicht der Kommission, dass die externe Dimension in einem frühen Stadium der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden muss, um ordnungspolitische Konflikte mit Handelspartnern zu minimieren. Dass es in Europa auch Verlierer geben wird, sollte diese Strategie umgesetzt werden, weiß die Kommission sehr wohl. Dies würde Veränderungen bedeuten, "die für manche in der EU tiefgreifend und beunruhigend sein werden". Das, so die Kommission weiter, "unterstütze direkt die Opposition gegen Marktöffnungen". Abmildern will die EU-Kommission die Kosten für die Betroffenen mit einem "European Globalisation Adjustment Fund", der im Wesentlichen eine Unterstützung für Arbeitslose bei der Jobsuche darstellen soll.

Und die Armen im Süden?

Die Industrie dürfte mit der neuen EU-Strategie, wie sie sich nun abzeichnet, hoch zufrieden sein. Das darf nicht verwundern, spiegelt sie doch in allen Bereichen den Forderungskatalog wider, den sie seit Jahren unentwegt vorträgt. Vermutlich würden sich aber auch die EU-Bürger wünschen, gefragt zu werden, ob sie eine solche Politik samt ihren Folgen tatsächlich mittragen wollen. Unsicher ist auch, ob die Opfer dieser Strategie, nach Einschätzung der EU-Kommission vor allem "die weniger qualifizierten und verwundbaren Arbeiter", das in dem vorgeschlagenen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung enthaltene Angebot für ausreichend halten.

Und die Armen in den Zielländern der EU-Strategie? Diese erwähnt die EU-Kommission mit keinem Wort. Dabei sind die Armen im Süden von radikalen Marktöffnungen nicht weniger bedroht als die weniger Qualifizierten im Norden. Nicht nur deshalb sollte die Zivilgesellschaft nicht zögern, (wieder einmal) Transparenz und Gerechtigkeit in der europäischen Handelspolitik laut und vernehmlich einzufordern.

(Gemeinsamer Text von: Marc Maes (11.11.11, Brüssel), Michael Frein (Evangelischer Entwicklungsdienst - EED) und Peter Fuchs (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung - WEED) / leicht gekürzt)

Quelle:
http://www.attac.at/uploads/media/Neue-EU-Handelspolitik-Maes-Frein-Fuchs-1-10-06.pdf

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