Samstag, 24. Januar 2009
 
Haider säubert weiter. Was ist zu tun? PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Klaus Ottomeyer   
Dienstag, 22. Januar 2008

Alles redet über die dummen Islam-Hetztiraden der FPÖ-Frontfrau Susanne Winter in Graz. Aber fast niemand thematisiert die Taten des Kärtner Landeshauptmanns, der Sippemhaftung und Schuldvermutung einführt, wenn es sich um Tschetscheninnen und Tschetschenen handelt.

Nachdem Jörg Haider bereits am 7.1.2008 als Reaktion auf eine Silvesterschlägerei in Villach 18 Menschen aus drei tschetschenischen Familien (samt Baby und Schulkindern) pauschal als "tschetschenische Gewalttäter" bezeichnet hatte und sie wie in einer Diktatur, unter Missachtung der Unschuldsvermutung und völlig vorbei an den laufenden polizeilichen Ermittlungen, in das Flüchtlingslager Traiskirchen abschieben ließ, wird die Situation immer unerträglicher. Wer auf Beruhigung durch "Mund halten" gesetzt hat, wird spätestens nach den neuesten Aktionen eines Besseren belehrt. Am 19.1. wurde bekannt, dass Haider die Villacher Bevölkerung – in den Worten von Bürgermeister Manzenreiter – zu einer "Menschenhatz" gegen Tschetschenen aufruft. An 45.000 Villacher Haushalte geht ein Brief mit Regierungsemblem, in welchem Haider die Bewohner aufruft, ihm Menschen aus Tschetschenien, die als Gewalttäter verdächtigt werden, umgehend zu melden, "damit ich deren sofortige Abschiebung veranlassen kann". So als ob es keine Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte gäbe. Begründet wird das Ganze mit der Behauptung, dass die Villacher Polizei nicht ordentlich arbeitet – was der Stadtpolizeidirektor schlicht mit "nicht nachvollziehbar" kommentiert. (Kleine Zeitung 19.1.2008, S.19) Die Villacher Polizei hat sich in der Tat bis auf den heutigen Tag geweigert, die Haider´sche Pauschalkriminalisierung in Bezug auf die drei bereits deportierten Familien zu übernehmen. Der Chefredakteur der "Kleinen Zeitung" Reinhold Dottolo wendet sich in ungewohnter Schärfe gegen den "selbst ernannten Sheriff".

Haider behandelt die Tschetschenen in unserem Land wie Menschen anderer Klasse, für welche die Unschuldsvermutung nicht gilt, für die stattdessen Kollektivstrafe und Sippenhaftung angebracht sind. Man stelle sich zum Vergleich einmal folgendes Szenario vor: In einem Wiener Lokal verprügelt ein BZÖ-Leibwächter einen unliebsamen politischen Gegner. Noch vor jeder polizeilichen Untersuchung und Gerichtsverhandlung lässt der Landeshauptmann von Wien (in diesem Fall Bürgermeister Häupl) 18 Personen aus BZÖ-Familien, von denen vielleicht ein oder zwei Personen in der Nähe der Schlägerei waren, in Busse verfrachten und in ein Zwischenlager ein paar hundert Kilometer weit weg von Wien bringen. Unter den "Gewalttätern" sind Babys und Schulkinder. Eine solche Behandlung von Österreichern würden wir alle für grotesk halten.

Als Psychotherapeut bei der Einrichtung "Aspis" habe ich durch die Haider-Aktion einen meiner sanftmütigsten und nachdenklichsten Patienten verloren. Herr B. ist ein besorgter Familienvater und war in Tschetschenien ein Menschenrechtsaktvist gewesen, bevor man ihn selbst zur Folter holte. Die Folter hinterließ bleibende Spuren am Körper. Er war oft sehr traurig über den Zustand der Welt. Manchmal litt er darunter, dass ihm noch der Geruch von verstümmelten Leichen in Plastiksäcken in die Nase stieg, die von russischen Einheiten irgendwo versteckt worden waren und deren Auffinden ihm ein Anliegen war.

Haider lädt die Bevölkerung auf gefährliche Weise zu einer Teilnahme an seinen Aktionen zur ethnischen Säuberung ein. Der parallel ablaufende BZÖ-Wahlkampf in Graz war bereits ganz auf die Idee einer ethnischen Säuberung ausgerichtet. (Das ist in der Aufregung über die unsäglichen Äußerungen der FPÖ-Kandidatin Winter übersehen worden.) Unter dem großen Motto "Wir säubern Graz" wurden Besen verteilt. BZÖ-Bundeschef Westenthaler und Spitzenkandidat Grosz präsentierten sich als lachendes Reinigungspersonal. Es gibt Bilder von einem Afrikaner, von einem Bettler und von einer als Kinderschänder bezeichneten Person mit der pseudo-witzigen Unterschrift: "Wählen Sie nicht BZÖ, damit wir weiter ungestört unseren Geschäften nachgehen können." Man kann diese Bilder auch als eine Art Postkarten an Freunde weiterschicken. "Viel Spaß!" heißt es dazu. Und auf einer im ORF dokumentierten Wahlversammlung, bei der Haider und sein Gehilfe Petzner waren, traten lustig tanzende Besenschwingerinnen auf. Die Begleitmusik zum Tanz war die Erkennungsmelodie aus dem Western "Spiel mir das Lied vom Tod".

In der Geschichte des Rassismus finden wir regelmäßig den demagogischen Appell an einen Säuberungskomplex, der in unserem Unbewussten schlummert. Die Gegner sollen wie Dreck "weggeschafft" werden. Das Wegschaffen kann von der Deportation bis hin zur Ermordung gehen. Wer in Phantasie oder Realität an der Reinigungsaktion teilnimmt, kann sich nicht nur als etwas wunderbar Reines und Sauberes fühlen. Sondern er kann mit Erlaubnis von oben auch seine kindlichen Allmachtwünsche ("Endlich einmal Hilfssheriff!") sowie sadistische Regungen befriedigen. Ein solcher Lustaspekt schimmert im Grazer BZÖ-Wahlkampf klar durch. Ist man erst einmal auf diesem Niveau angekommen, kann geradezu eine unbewusste Freude an der Ungerechtigkeit ("Wozu brauchen wir eine Unschuldsvermutung?!") und eine Bereitschaft zum Quälen von Hilflosen entstehen. Durch die bildhafte Gleichsetzung des Gegners mit etwas Schmutzigem wird die Hemmschwelle des Gewissens, die wir gegenüber menschlichen Wesen normalerweise haben, außer Kraft gesetzt. So hat man es 1994 in Ruanda mit den Tutsi gemacht (Säuberung des Landes von "Kakerlaken"), so hat man es mit den Juden gemacht (Säuberung von Schädlingen am Volkskörper, "Parasiten" usw.), so ist es bei den ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien geschehen. In Villach war es nach 1938 unter anderem die Sinti-Bevölkerung, die pauschal mit Kriminalität in Verbindung gebracht und dann wie Dreck weggeschafft wurde. "Damals die Sinti, heute die Tschetschenen – und morgen wir?" hieß es zu Recht auf einem Plakat zu einer Mahnwache am 19.1. auf dem Villacher Hauptplatz.

Spätestens nach dem Auftreten von Säuberungsdemagogie und nach der Ankündigung eines Aufräumens, das "keine Gnade" kennt (Originalton des Haider-Briefs) sollten bei allen Demokraten die Alarmglocken schrillen.

Die Unrechtshandlungen haben schon begonnen, sie werden weitergehen. Wer sie mitträgt oder in verantwortlicher Position auch nur duldet, wird mitschuldig. Wir sollten nicht in eine Klage über unsere Ohnmacht verfallen (wie es viele aus unserer Elterngeneration gemacht haben). Bitte prüfen Sie, was Sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen die schrittweise Zerstörung unserer Demokratie tun können.

Klagenfurt/Celovec am 20.1.2008
O. Univ. Prof. Dr. Klaus Ottomeyer
Leiter der Abteilung für Sozialpsychologie,
Ethnopsychoanalyse und Psychotraumatologie
Institut für Psychologie
Alpen-Adria Universität Klagenfurt

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