Samstag, 24. Januar 2009
 
Nicaragua: Abtreibung als Wahlkampfthema PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Dienstag, 17. Oktober 2006

Nicaraguas Präsident Enrique Bolaños Geyer von der Liberal-Konstitutionalistischen Partei (PLC) hat einen Gesetzesentwurf zur Kriminalisierung der Abtreibung an das Plenum der Nationalversammlung geleitet. Dieses Verfahren umgeht die Arbeit in der Kommission und kann für die Approbation im beschleunigten Verfahren binnen 48 sorgen. Frauenorganisationen steigen auf die Barrikaden.

Seit hundert Jahren ist in Nicaragua die „therapeutische Abtreibung“ straffrei. Fast alle Kandidaten, die zu den Präsidentschaftswahlen am 5. November antreten, unterstützen die Novelle, auch der Sandinist Daniel Ortega.

Wenn das Leben der Mutter gefährdet ist, wenn der Embryo Mißbildungen aufweist und wenn die Schwangerschaft durch Vergewaltigung hervorgerufen wurde“, das sind die Gründe die derzeit einen Schwangerschaftsabbruch in Nicaragua straffrei machen. Die katholische Kirche läuft gegen dieses Gesetz aus der Zeit des liberalen Präsidenten José Santos Zelaya, der um 1900 regierte, Sturm. Bis vor kurzem hat die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN), die 1979 bis 1990 eine revolutionäre Regierung anführte und jetzt im Parlament eine Sperrminorität hat, jedes Rütteln an der Indikationenlösung verhindert. Im Wahlkampf haben die Sandinisten plötzlich den Charme der Frömmigkeit entdeckt.

„Im Glauben finden wir Menschen den Frieden“, flötete Daniel Ortegas Ehefrau und Wahlkampfleiterin Rosario Murillo im FSLN-Sender radio Ya: „Die religiösen Werte geben uns die Kraft, die wir im täglichen Überlebenkampf brauchen….. Deswegen stimmen wir mit den Kirchen überein, dass die Abtreibung die Frauen zutiefst beschädigt. …Außerdem ist sie ein Attentat gegen den Glauben, gegen das Leben. Die Unidad Nicaragua Triunfa sagt: ‚Nein zur Abtreibung! Ja zum Leben!’“

Die „Unidad Nicaragua Triunfa“ ist die Wahlallianz Ortegas, an der auch ehemalige Anhänger des Diktators Somoza und Überreste der Konterrevolutionäre, die die Sandinistische Revolution mit CIA-Unterstützung und Geldern aus Washington ausbluteten. Ortega hat schon vor zwei Jahren seinen Frieden mit dem reaktionären Kardinal Erzbischof Miguel Obando y Bravo geschlossen, der vor jeder Wahl vor einer Stimmabgabe für die Sandinisten gewarnt hatte.

Die Autonome Frauenbewegung Nicaraguas (Movimiento Autónomo de Mujeres de Nicaragua, MAM) zeigte sich entsetzt. Sie unterzeichnete vor drei Monaten ein Abkommen mit der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (Movimiento de Renovación Sandinista, MRS), der einzigen Partei, die sich klar gegen die Kriminalisierung der therapeutischen Abtreibung ausgesprochen hat.

Das Abkommen zwischen der Frauenbewegung und der MRS stützt sich auf fünf Programmschwerpunkte, die die Feministinnen für einen demokratischen Aufbau in Nicaragua vorschlagen. Dabei wird vor allem eine Politik zugunsten der Frauen sowie der Geschlechtergleichheit favorisiert. Der Vorschlag beinhaltet auch langfristig angelegte, institutionelle Veränderungen: eine ausgeglichene Machtverteilung, ein Gesetz zur Informationsfreiheit, die Säkularisierung des Staates mit festgelegter Trennung zwischen Kirche und Staat inklusive einer säkularen Volksbildung und das Verbot der öffentlichen Finanzierung von religiösen Aktivitäten.

Die Kirche veranstaltete am 6. Oktober einen Protestmarsch zum Parlament. Sie fordert, dass der Paragraph, der den therapeutischen Schwangerschaftsabbruch straffrei stellt, ersatzlos gestrichen wird. Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen sowie Personen, die ihn ausführen, droht demnach eine Gefängnisstrafe zwischen einem Jahr und drei Jahren. Frauenorganisationen demonstrierten gegen die Scheinheiligkeit der Politik. Auch in der Abgeordnetenfraktion der FSLN findet die fromme Kehrtwende der Parteiführung keinen ungeteilten Applaus.

In jüngsten Umfragen liegt Daniel Ortega mit 29 Prozent an der Spitze der Wählerpräferenz. Allerdings würde er in einer Stichwahl seinem engsten Rivalen, dem liberalen Dissidenten Eduardo Montealegre, unterliegen. Montealegre liegt derzeit bei 23 Prozent. Dann folgen Edmundo Jarquín von der MRS und der „offizielle“ liberale Kandidat José Rizo, mit je 14 Prozent.

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