Samstag, 24. Januar 2009
 
Integrations-Piraten PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Elvier Kühlraum/SOS Mitmensch   
Freitag, 12. Oktober 2007

Der unabhängigen Migrationsforschung fehlt das Geld. Indessen rüstet das ÖVP-Innenministerium den Integrationsfonds zum ideologisch genehmen Think Tank auf.

Was mich wundert“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Helga Werner, „ist, dass alle zuschauen, wie wir ForscherInnen sukzessive ausgehungert werden.“ Sie selbst zeigt sich ratlos: „Weiß denn keiner zu schätzen, was wir für die Integrationspolitik leisten?“

Frau Werner möchte ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Sie zählt zu jener kleinen Gruppe an ForscherInnen, die in Österreich in einer unabhängigen Institution zum Thema Migration und Integration arbeiten. Derzeit noch. Dass sich die Dinge rasant ändern, hat Werner in den vergangenen Jahren selbst miterlebt.

Vorfeldorganisation

Zur Zeit wird der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) mit Hochdruck ausgebaut. Brisant daran: die Einrichtung befindet sich in direktem Einfluss der Österreichischen Volkspartei, der nachgesagt wird, auch auf diese Weise die Hoheit über den Integrationsdiskurs erlangen zu wollen. Beobachter sprechen davon, dass sehr gründlich vorgegangen werde, und zwar nicht nur finanziell.

Während also die Migrationsforschung an den Universitäten und privaten Einrichtungen des Landes statistisch nachweisbar über die Jahre ausgetrocknet wurde, soll der ÖIF zur Wissensagentur mit eigener Forschungsabteilung hochgerüstet werden. „Wer immer künftig wissenschaftliche Informationen zum Thema Zuwanderung erhalten möchte“, fürchtet Andreas Lepschi, Integrationsexperte der Grünen, „wird diese wohl vom ÖIF beziehen.“ Problematisch daran, so Lepschi: „Der ÖIF ist eine Vorfeldorganisation der ÖVP.“.

Details streng geheim

Gegründet wurde der ÖIF 1960 vom Innenministerium und dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. 180.000 Ungarnflüchtlinge, die in Österreich Asyl erhielten, sollten integriert werden. Im Jahr 2002 kam die große Zäsur. Die schwarz-blaue Bundesregierung beauftragte den ÖIF mit der Durchführung der so genannten „Integrationsvereinbarung“. Sukzessive wurde der Fonds aufgestockt und mit allgemeinen Integrationsagenden auch für MigrantInnen ausgestattet.

Zuletzt sorgte der Fonds unter der verstorbenen Innenministerin Liese Prokop für Aufregung: eine Studie kam zum Ergebnis, dass 45 Prozent der MuslimInnen in Österreich integrationsunwillig sind. Der ÖIF hatte die Studie gemeinsam mit der Sicherheitsakademie des Innenministeriums (SIAK) ausgearbeitet. Seit Sommer 2007 findet nun der Aufbau einer eigenen Forschungsabteilung statt. Details sind streng geheim, bekannt ist nur, dass Alexander Schahbasi diese Arbeit leitet. Schahbasi ist ein ehemaliger Mitarbeiter der SIAK.

Ideologische Schlagseite

Zuletzt ein Liese Prokop-Integrationswohnheim und ein Liese-Prokop-Integrationsstipendium. Für die tagtäglich mit den Auswirkungen des Fremdenrechts konfrontierte Flüchtlingshelferin Ute Bock wirkt das „ein bisserl wie die nachträgliche Heiligsprechung“ der Innenministerin.

Wissen zerschlagen

Mittlerweile arbeiten über hundert MitarbeiterInnen für den ÖIF. Derzeit ist nur ein Bruchteil davon mit Forschungsagenden betraut. Falls die Integrationsplattform des Innenministers aber tatsächlich wie angekündigt auf empirisches Material zurückgreifen soll, muss dieses erst einmal produziert werden.

Was liegt also näher, als den ÖIF selbst damit zu betrauen, hat er sich doch bei der Integrationsstudie bereits bewährt. Vorbei sind die Zeiten, als 1995 ÖVP-Wissenschaftsminister Erhard Busek einen Forschungsschwerpunkt „Fremdenfeindlichkeit“ initiierte und reichlich dotierte. „Diese Budgetlinie ermöglichte es rund fünfzig WissenschafterInnen, intensiv zum Thema Integration zu arbeiten“, erinnert sich die Forscherin Helga Werner. Ein Erkenntnisschub war die Folge.

Die Forschungs-Community von damals ist mittlerweile aber versprengt, das gesammelte Wissen „ins Nichts verpufft“. Für Werner, angesichts von Migration als Schlüsselthema unserer Gesellschaft, ein „völlig unverständlicher Zustand“. Die Bestätigung für diesen Zustand liefert das Ministerium für Unterricht und Forschung fast selbst. Auf Anfrage, was denn im Bereich Migrationsforschung an Budgets vorhanden sei, verweist die Sprecherin von Minister Gio Hahn etwas hilflos auf die Autonomie der Universitäten.

Um dann doch noch ein hauseigenes Projekt hervorzuheben. Die Kinder-Uni. Ein Tag der offenen Tür für Knirpse solle künftig auch „Kindern aus bildungsfernen Haushalten“ zugute kommen. Gemeint sind wohl MigrantInnen-Kinder.

NGOs schweigen lieber

Bleibt die Frage, warum diese Entwicklung kaum jemanden stört. Die SPÖ lässt ausrichten, „keine Priorität“, dabei hatte sich SPÖ-Sicherheitssprecher Rudolf Parnigoni noch im Jahr 2002 bitter über die „Umfärbeaktionen“ im ÖIF beklagt. Heute hat das Migrationsthema bei der SPÖ offenbar eine andere Gewichtung, nämlich gar keine. „Die Parteizentrale glaubt, dass wir bei dem Thema nichts zu gewinnen haben“, beklagt ein Parlamentsmitarbeiter. Eine Einschätzung, mit der sich die SPÖ-Strategen durch das Nationalratswahlergebnis vor einem Jahr bestätigt sehen dürften.

Immerhin hatte die SPÖ ein halbes Jahr zuvor selbst das Fremdenrechtspaket mitbeschlossen. Aber auch im NGO-Bereich herrschen verhaltene Reaktionen. Freilich mit „guter“ Begründung: Weil der ÖIF eine gewichtige Rolle bei der Verteilung der Mittel des europäischen Flüchtlingsfonds spielt, sind die Flüchtlingsbetreuungen gewissermaßen abhängig von dessen Gunst. Offiziell ist der ÖIF zwar nur für die Evaluierung der Projekte zuständig, und die Entscheidungen trifft eine Kommission im Innenministerium. Sie stützt sich dafür aber auf „Zusammenfassungen“ des ÖIF.

Die sehen so aus: Von den fingerdicken Projekteinreichungen fertigt der Fonds eine zweiseitige Zusammenfassung, versieht sie mit einer Punktewertung und bringt sie in Reihung. Selten, dass sich ein Mitglied der Kommission – durchwegs VertreterInnen anderer Ministerien – hervortut, um diese Reihung in Frage zu stellen.

Quelle: http://moment.sosmitmensch.at/stories/1659

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