Auch in der Liga der Sozialistischen Revolution zerbricht man sich den Kopf über die Krise der Sozialdemokratie und die Möglichkeit, eine neue Linkspartei zu gründen.
Regierungskrise ist Krise des Kapitalismus...
1. Es scheint so, als wäre die Regierungskrise mit dem zwischen SPÖ und ÖVP getroffenem Übereinkommen Ende März abgewendet. Dies ist wohl richtig, wenn man unter der Regierungskrise politische Auseinandersetzungen zu gewissen Einzelthemen versteht, die nun mit dem Zugeständnis der SPÖ abgewandt worden sind, alle Verschlechterungen beizubehalten bzw. weiterhin an deren Umsetzung zu arbeiten. Wenn man jedoch darunter versteht, dass sich die bürgerliche Demokratie in einer allgemeinen Krise befindet, die ihren Ausdruck auch auf die einzelnen Klassen und weiters auch auf die einzelnen Parteien hat, so waren die Ereignisse der letzten Woche nur die Eröffnung einer krisenhaften Periode.
2. Dahinter steckt eine allgemeine Legitimationskrise der bürgerlichen Herrschaft, bei der allgemeine internationale Phänomene (Finanzkrise, Preisexplosion, von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnter erneuter neoliberaler Schlag durch den EU-Reformvertrag 2008, etc.) mit besonderen nationalen Entwicklungen zusammenprallen und sich gegenseitig verstärken.
3. International erleben wir in der Praxis, dass die neoliberalen "Wahrheiten", die uns seit Jahren immer wieder aufs Neue präsentiert wurden schlicht und einfach nicht haltbar sind. Nur die Freiheit der Finanz- und Kapitalmärkte können Wachstum sichern; die Märkte finden selbstständig ein Gleichgewicht zum Wohle aller; Risiken werden von Individuen getragen und müssen auch von ihnen beglichen werden: All diese neoliberalen Standsätze haben sich als falsch herausgestellt. Es ist heute am Finanzmarkt schon ein Erfolg, wenn man weniger Verluste als erwartet macht; das Gleichgewicht wurde offensichtlich nicht gefunden und auch die einzelnen "Akteure" im internationalen Finanzgeschäft kommen für ihre Verluste nicht selbst auf. Angeschlagene Banken werden vom Staat - d.h. von den SteuerzahlerInnen - gerettet. Das Motto lautet hier: Gewinne privatisieren jedoch Verluste sozialisieren. Die Ideologen der Reichen und Superreichen kommen immer mehr in Bedrängnis. Die Argumentationskette zur Rechtfertigung ihres Systems beginnt zu brechen.
4. Hinzu kommt, daß die EU als erstarkende Konkurrenzmacht zu den USA, ein breites Programm neoliberaler Angriffe mit Hilfe des EU-Reformvertrages durchzupeitschen versucht. Dieser Vertrag wird von der breiten Mehrheit im gesamten EU-Raum abgelehnt und bringt unter den fortschrittlichsten Teilen der Arbeiterklasse, wie auch der Mittelschicht, eine bewusste, stetig wachsende Kritik an der angeblich "demokratischen" Struktur der EU, wie auch der einzelnen nationalen Staaten, hervor. Die mehrheitliche Ablehnung der nationalen Regierungen eine Volksabstimmung zum Vertrag zuzulassen, verstärkt diesen Bewusstseinsprozess.
5. In Österreich kommen zu diesen internationalen Phänomenen noch diverse nationale Skandale, die aufzeigen, dass der bürgerliche Staatsapparat einen durch und durch undemokratischen und unkontrollierbaren Charakter hat. Dazu zählen die Skandale im Gesundheitssystem, die BAWAG-Affäre, die möglicherweise kriminellen Praktiken rund um den Eurofighter-Ankauf, die diversen Polizei-Affären und die Machenschaften des Innenministeriums. All dies erzeugt tiefgreifende Erschütterungen des kapitalistischen Herrschaftsapparates auf unterschiedlichen Ebenen (Wirtschaft, Politik, Ideologie).
... und Krise der SPÖ
6. Jene Partei, die traditionell eigentlich die Lohnabhängigen vertreten sollte, ist eng in diese Machenschaften verwickelt: die SPÖ. Diese Verwickelung ist kein Zufall, sondern unmittelbares Resultat des sich wandelnden Charakters der Sozialdemokratie im Laufe ihrer Geschichte. Wurde sie 1890/91 als Partei der ArbeiterInnenklasse gegründet, hat sie ihren eigentlichen Zielen (Sozialismus und Herrschaft des Proletariats) den Rücken zugekehrt und sie einer umfangreichen Revision unterzogen. Heute ist der Sozialismus nicht einmal mehr Teil des Programms der SPÖ.
7. Diese ideologische Veränderung drückt einen Wandel in der führenden Schicht innerhalb der Partei aus. Seit dem frühen 20. Jahrhundert können wir die Herausbildung einer Schicht innerhalb der ArbeiterInnenklasse beobachten, die durch zahlreiche Privilegien an das System des Kapitalismus gebunden werden, d.h. Teile der Profite der Kapitalisten werden zur Bestechung und somit zur Integration von Teilen der ArbeiterInnenklasse verwendet. Diese Schicht, die wir als ArbeiterInnenaristokratie bezeichnen, hat auch die Sozialdemokratie verändert. Durch ihren Aufstieg in die Parteibürokratie haben sie den Charakter der Partei grundlegend gewandelt.
8. In der jüngeren Vergangenheit hat ein Prozeß der Neoliberalisierung der SPÖ eingesetzt. Zunehmend werden auch direkte Vertreter des Kapitals in die Partei integriert um zu zeigen, dass man der "freien" Marktwirtschaft nicht feindlich gegenübersteht. So führt heute die Chefin von Infineon (multinationaler Konzern mit Einkommen von 523 Millionen $ im Jahr 2007), Monika Kircher-Kohl, für die SPÖ die Verhandlungen innerhalb der sogenannten Expertenkommission "Zukunft der Schule". Trotz dieser Tendenz der Neoliberalisierung der SPÖ hat sie ihre soziale Basis (auch wenn diese immer mehr weg bricht) noch immer vor allem in der organisierten Arbeiterschaft. Dieser Widerspruch ist es, weswegen die SPÖ als bürgerliche ArbeiterInnenpartei zu charakterisieren ist, d.h. als eine Partei, deren Basis bei den ArbeiterInnen liegt, deren Politik jedoch die Interessen der KapitalistInnen zum Ausdruck bringt.
9. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise des Kapitalismus muss der bürgerliche Charakter dieser Partei stärker betont werden, da die Reserven, um umfangreiche Zugeständnisse an die ArbeiterInnen zu machen, immer geringer werden. Dies hat man auch beim Zurückweichen bei der Steuerreform gesehen. Aufgrund fehlender Möglichkeiten (bzw. dem Unwillen, die Reichen und Superreichen für solche Vorhaben zahlen zu lassen) musste die SPÖ einen weitgehenden Rückzug von ihrem Vorstoß für eine Steuerreform 2009 machen. Vor diesem Hintergrund werden zahlreiche Parteimitglieder entweder aktiv (Jänner 2007) oder treten aus der Partei aus. So beschleunigt sich der Mitgliederverlust der SPÖ massiv: von 721.000 (1979), 583.000 (1990) auf 430.000 (1999). Heute dürften sich die Zahlen bei nur noch 250.000 SPÖ-Mitgliedern bewegen - ein Niedergang, der sich v.a. nach den Antiregierungsprotesten im Jänner 2007 beschleunigt hat.
10. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass es zu einer Trendumkehr in der SPÖ kommen kann und die Bürokratie versucht, ihre Basis durch eine linksreformistische bzw. keynesianische Rhetorik zurückzugewinnen. Gegenwärtig existiert innerhalb der SPÖ jedoch kein bemerkenswerter Ansatz in diese Richtung. Diverse Forderungen gegen die Parteiführung (z.B. nach einer Volksabstimmung über den EU-Vertrag vom SPÖ-OÖ-Chef Erich Haider), können nicht umgesetzt werden, da sie nicht mit einem tatsächlichen Kampf gegen die Führung auf Basis einer demokratisch kontrollierten Bewegung innerhalb der Partei vonstatten gehen. Projekte, die versuchen, die linken Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie zu vereinen, waren von Anfang an bürokratisch kontrolliert und konnten eben diesen Zweck auch nicht erfüllen. Es wäre daher völlig unsinnig, die Kräfte auf den Aufbau eines linken Flügels innerhalb der SPÖ zu verschwenden.
Für eine neue ArbeiterInnenpartei!
11. Das Zusammenspiel der verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Auswirkung auf die SPÖ ist es, was die klassenbewussten Teile der Sozialdemokratie nach links gehen lässt. Diese Bewusstseinsentwicklung hat sich bis heute noch nicht ihren organisatorischen Ausdruck verschafft und es ist anzunehmen (genaue Zahlen existieren darüber leider nicht), dass viele von diesen klassenbewussten Teilen entweder aus der SPÖ ausgetreten sind oder von linkeren Basisorganisationen innerhalb der Partei gehalten werden.
12. Nichtsdestotrotz öffnet diese Entwicklung einen Raum links von der Sozialdemokratie, den es auszufüllen gilt. Die Forderung nach der Schaffung einer neuen ArbeiterInnenpartei nimmt somit konkrete Formen an. Es ist klar, dass eine solche Partei nicht durch einen Beschluss diverser linker Kräfte gegründet werden kann, sondern nur Resultat konkreter Kämpfe im Betrieb und auf der Straße sein kann. Es ist jedoch fast unvermeidlich, dass sich solche Kämpfe entwickeln werden (insbesondere wenn der Regierungskurs des Angriffes weiter fortgesetzt wird). Eine solche neue ArbeiterInnenpartei könnte auch verhindern, dass ideologisch nicht gefestigte Teile der Sozialdemokratie aufgrund ihrer verständlichen Enttäuschung in das rechte Lager abwandern, wie dies bei der niederösterreichischen Landtagswahl zu beobachten war.
Gründung und Charakter einer neuen ArbeiterInnenpartei
13. Es geht hier nicht darum, ein genaues Szenario zu entwerfen, wie die Gründung einer solchen Partei vonstatten gehen könnte. Hier soll nur versucht werden, allgemeine Entwicklungslinien zu charakterisieren.
14. Zuerst muss gesagt werden, dass es nicht das von uns bevorzugte Modell ist, den Gründungsprozess einer solchen ArbeiterInnenpartei durch die Abspaltung eines sozialdemokratischen Bürokraten (siehe Oscar Lafontaine in Deutschland, der die wichtigste Figur für Die Linke ist und vorher einflussreicher SPD-Bundespolitiker war) zu beginnen. Dies birgt vielmehr die Gefahr, dass eine solche Partei unter der Führung einer solchen Person sehr schnell zu einer Miniaturausgabe der Sozialdemokratie degeneriert. Einen solchen Prozess können wir heute in Deutschland beobachten, wo die Linke gerne auch Projekte der KapitalistInnen mit trägt und aktiv unterstützt. So hat z.B. die LINKE in Dresden einen ganzen Wohnblock an einen US-Investor um über 1,2 Mrd. EUR verkauft.
15. Eine solche neue Partei muss eine Partei sein, die sich nicht vor Auseinandersetzungen mit dem Kapital scheut. Deshalb müssen die FührerInnen auch direkt aus Kämpfen heraus geschaffen werden. Es müssen jene Leute sein, in die die ArbeiterInnen ihr Vertrauen setzen und aus praktischer Erfahrung sagen können, dass sie ihre Interessen konsequent vertreten. Dies können kämpferische GewerkschafterInnen/BetriebsrätInnen aber auch ArbeiterInnen von der Basis sein. Solche RepräsentantInnen sind für den gesunden, sprich kämpferischen und proletarisch orientierten Aufbau, wertvoller als fünf Lafontaines zusammen. Ebenso wird es für eine künftige neue Arbeiterpartei/Linkspartei wichtig sein, dass sie Teile der fortschrittlichen Jugend anzieht und eine Jugendorganisation aufbaut.
16. Dies bringt uns zu folgender Schlussfolgerung: Eine neue ArbeiterInnenpartei kann nur dann Erfolg haben, wenn sie das bisher bestehende Konzept von Parteienstrukturen radikal verändert und über den Haufen wirft. Statt Parteien unter starrer bürokratischer Kontrolle muss dies eine Partei werden, die von unten kontrolliert werden kann, d.h. deren VertreterInnen auch jederzeit wieder abwählbar sind. Statt Topgagen für FunktionärInnen soll es einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn geben.
17. Doch nicht nur auf die Struktur, auch und insbesondere auf das Programm kommt es an. Dieses Programm, d.h. die ideologische Perspektive einer neuen ArbeiterInnenpartei, muss über die Grenzen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hinausgehen. Sollte sich demnach eine solche Partei gründen, wird die Liga der Sozialistischen Revolution für ein revolutionäres Programm von Übergangsforderungen eintreten, das den Kampf für konkrete Reformen mit dem Kampf für den Sturz der bestehenden Herrschaftsordnung und mit der Losung für eine sozialistische Gesellschaft verbindet. Gleichzeitig machen wir jedoch ein solches Programm nicht zur Bedingung für unsere Teilnahme und Mitarbeit an einem solchen Projekt, wenngleich wir es auch nicht ausschließen ab einem gewissen Zeitpunkt ein solches Projekt auch wieder zu verlassen oder zu versuchen, jene Teile, die mit uns übereinstimmen, in einer Fraktion innerhalb dieser Partei zu organisieren und einen ideologischen Kampf um die Führung dieses Projektes führen.
18. Denn eines ist klar: Was wir nicht brauchen, ist eine kleinere Abbildung der SPÖ (also auch keine KPÖ, die linksreformistische Politik mit einigen (halb)-marxistischen Phrasen tarnt oder eine SLP, die sich als kleine Propagandagruppe schon als Partei versteht). Wir brauchen eine Partei, die konsequent die Interessen der ArbeiterInnen und Jugendlichen in Österreich und international vertritt und deshalb auch eine starke Verankerung innerhalb der Klasse (d.h. in den Betrieben, Schulen, Universitäten, etc.) anstreben muss. Um dies zu gewährleisten, muss eine ArbeiterInnenpartei auch einen konsequent anti-kapitalistischen und internationalistischen Charakter haben und zu Methoden des Klassenkampfes zurückgreifen, um die Interessen der Lohnabhängigen durchzusetzen.
19. In diesem Sinne wird sich die LSR an den Diskussionen über den Aufbau einer neuen Partei der ArbeiterInnen und Jugendlichen beteiligen. Wir sehen solche Diskussionen jedoch nicht als intellektuelle Gymnastik, sondern als Teil eines politischen und organisatorischen Bestrebens, Möglichkeiten zum Aufbau einer solchen neuen Partei voranzutreiben und aktiv einzugreifen. Unser Verständnis von Politik beinhaltet, dass wir nicht passiv abseits stehen und kommentieren und auf das Entstehen einer neuen ArbeiterInnenpartei warten, sondern selbst konkrete Schritte in Richtung Vorbereitung und Aufbau einer solchen Partei setzen bzw. mit anderen Kräften gemeinsam mittragen. In diesem Sinne wollen wir ein solches Projekt angehen und einerseits jene Kräfte ansprechen, die in der jüngeren Vergangenheit aktiv an Protestbewegungen teilgenommen haben. (sei es im Rahmen der Plattform Volxabstimmung, Antikriegsbewegung, antirassistische Mobilisierungen, linke SozialdemokratInnen, die an den Protesten im Jänner 2007 teilnahmen usw.) Andererseits gilt es, neue, bislang in keiner Partei organisierte ArbeiterInnen und Jugendliche anzusprechen. In diesem Sinne werden wir am "Linken Ratschlag" Anfang Juli teilnehmen.
19. April 2008
Politisches Büro der Liga der Sozialistischen Revolution
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