Im Rahmen eines weltweiten Protests gegen die Errichtung des Ilisu-Staudamms in der Südosttürkei richtete FIAN (Food First Informations- und Aktionsnetzwerk), eine internationale NGO, die für das Recht auf Nahrung eintritt, ein Schreiben an den Finanzminister in Wien, den Wirtschaftsminister in Berlin und die zuständige Bundesrätin in Bern. Denn es sind österreichische, deutsche und schweizerische Unternehmen, die beim Staudammprojekt eine führende Rolle spielen und ihr unternehmerisches Risiko durch Exportkreditsicherungen der staatlichen Stellen minimieren wollen.
Das 11.000 Jahre alte Hasankeyf würde bis zur Spitze des Minaretts überflutet werden. (Foto: http://www.eca-watch.at) Das Staudammprojekt am Tigris ist ebenso alt wie umstritten. Es ist ein Teil des umfassenden Südanatolischen Entwicklungsprojektes (GAP), das in den 1970er Jahren entworfen wurde. Sein Ziel war weniger die Energiegewinnung, als die Lösung des Kurdenproblems. Denn in Ankara betrachteten sozialdemokratische wie konservative Regierungen die Rebellion in Anatolien nicht als ethnisches Problem eines unterdrückten Volkes, sondern als Entwicklungsproblem. Wären die Leute weniger arm, würden sie sich nicht von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und anderen bewaffneten Organisationen aufwiegeln lassen. Insgesamt 22 Staudämme sollten an Euphrat, Tigris und mehreren Nebenflüssen errichtet werden. Durch die Bewässerung würde sich die karge Landschaft wieder in das blühende Paradies verwandeln, das vor Tausenden Jahren Hochkulturen hervorgebracht hatte.
Ein Zeuge dieser Hochkulturen ist Hasankeyf, die älteste Stadt Anatoliens. Sie ist mit ihrem mittelalterlichen Minarett und den antiken Wohnhöhlen nicht nur Anziehungspunkt für Touristen, sondern für die Einwohner eine lebenswerte Stadt, die sie nicht gegen eine neue, anonyme Siedlung eintauschen wollen. Denn umsiedeln müssten sie, wenn die 135 Meter hohe Staumauer errichtet würde und die gesamte Stadt samt der historischen Ausgrabungsstätten im Wasser des Tigris versänke. Weitere 200 Dörfer und Städte sollen unter der Wasserfläche, die halb so groß wäre, wie der Bodensee, untergehen.
Die meisten Dörfer der Umgebung wurden bereits in den 1990er Jahren militärisch geräumt. An Entwicklungsprojekte war damals nicht zu denken. Es tobte der Guerillakrieg der PKK. Der Staudamm wurde schubladisiert. Wenn die Menschen heute von Umsiedlung hören, dann denken sie auch nicht an schöne neue Dörfer, sondern an das Schicksal, der während des Bürgerkrieges Vertriebenen, die mehrheitlich in den Slums der großen Städte untertauchten. Militarisiert ist die Gegend noch immer. Zwar hat sich die Lage seit der Gefangennahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan in Jahr 2000 entspannt, doch ist der Kurdenkonflikt keineswegs beigelegt. Dennoch scheint die türkische Regierung keinen neuen Krieg zu fürchten. Zuletzt standen nur mehr Finanzprobleme der Umsetzung des ehrgeizigen Entwicklungsplanes im Wege.
Ohne europäische Vorfinanzierung des Staudamms, könnte das Projekt nicht realisiert werden. Ein Konsortium aus der österreichischen VA-Tech Hydro und der schweizerischen Alstrom für die elektromechanische Ausrüstung, der deutsch-österreichischen Züblin und mehreren anderen, auch türkischen, Unternehmen, will das Mega-Projekt umsetzen. Allerdings trifft es auf Widerstand nicht nur seitens der betroffenen Bevölkerung. In Österreich gründete sich eine Ilisu-Kampagne, an der mehrere Umwelt-, Menschenrechts- und kurdische Organisationen beteiligt sind. Mit dem Konsortium gab es einen längeren Dialog, der allerdings im vergangenen Sommer ohne Übereinkommen endete. Auf Seiten des Konsortiums ist man überzeugt, alle Auflagen erfüllt zu haben und auch die türkische Regierung halte die internationalen Standards ein. Im Übrigen sei die Bevölkerung mit der Umsiedlung einverstanden. Schließlich würde für neue Häuser gesorgt, man schaffe Arbeitsplätze und die Bedingungen für Landwirtschaft und Tourismus würden sich verbessern.
Eine Initiative "Save Hasankeyf" hat allerdings bei einer Befragung andere Ergebnisse erzielt. 90 Prozent seien gegen das Projekt, so berichtet Corinna Milborn in einer Reportage im Südwind Magazin.
In Deutschland und der Schweiz haben sich die für Exportkreditgarantien zuständigen Stellen skeptisch gezeigt. Der österreichischen Kontrollbank liegt ein Antrag vor, das Vorhaben mit einer Exportkreditversicherung von rund 200 Mio. Euro zu unterstützen. Der erweiterte Kontrollbank-Beirat im Finanzministerium, dem neben Beamten der befassten Ministerien auch Vertreter der Sozialpartner angehören, hat das Ansuchen befürwortet, allerdings nicht einstimmig. Eine endgültige Entscheidung wurde für Ende Oktober erwartet. Einmal mehr liegen Geschäftsinteressen auf der einen und Menschenrechtsbedenken auf der anderen Waagschale.
Siehe auch: Acht Staudämme im Munzur-Nationalpark
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