Samstag, 24. Januar 2009
 
Wettlauf um die braune Bohne PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Jan Braunholz   
Donnerstag, 10. Mai 2007

Nestlé, Fairtrade-Organisationen und alternative Händler kämpfen um den Kaffeemarkt in Mexiko, der nach Jahren mit sehr niedrigen Preisen wieder in Bewegung gekommen ist. Ernteausfälle infolge des Klimawandels treiben die Preise insbesondere für edle Sorten in die Höhe. Doch Kleinbauern profitieren nicht davon. Weder Fairtrade-Organisationen noch Lebensmittelkonzerne wie Nestlé zahlen Preise, die das Überleben der Bauern ermöglichen. Nestlé hat zwar inzwischen einen löslichen Kaffee mit "Fairtrade"-Siegel im Angebot, doch das hat bei den Kleinbauern in Mexiko keine Zustimmung gefunden.

Auf der Webseite von Nestlé findet man wunderbare Texte zur Nachhaltigkeit. Doch die Realität sieht anders aus. Besonders im Kaffeeland Mexiko hat Nestlé Schritte eingeleitet, die insbesondere für die Kleinbauern und Kaffeekooperativen negative Konsequenzen haben.

Nestlé hat in Mexiko eine marktbeherrschende Stellung auf dem Kaffeemarkt. 80 Prozent des mexikanischen Kaffeekonsums besteht aus löslichem Kaffee. Davon besitzt die Nestlé-Marke „Nescafé“ einen Marktanteil von 80 Prozent. Den Rest teilen sich Philipp-Morris/Kraft mit einigen regionalen Marken. Für seinen Nescafé importiert Nestlé seit Jahren billigen Rohkaffee der Sorte Robusta aus Brasilien, Vietnam, Indonesien und Ecuador nach Mexiko, ca. 110.000 Sack im Jahr.

Die Importe halten die Preise in Mexiko niedrig. In Mexiko wird zwar auch Robustakaffee erzeugt. Doch Nestlé zahlt dafür sehr geringe Preise, etwa 6 bis 7 Pesos(14 Peso = 1 Euro) pro Kilo. Seit Jahren protestieren die Kleinbauern gegen die Niedrigpreise.

Doch davon ließ sich Nestlé nicht beirren und plant seit 2003 ein Großprojekt in der Region Tezonapa, im Bundesstaat Veracruz, um noch preiswerter an den begehrten Rohstoff zu kommen, nämlich durch ein eigenes Anbauprojekt für Robusta-Kaffee. Robusta schmeckt nicht so gut wie die edlere Sorte „Arabica“ und erzielt deshalb niedrigere Preise. In der Region Tezonapa wird bisher Arabica-Kaffee angebaut, denn dieser wächst in Höhen ab 800 Meter besonders gut. Robusta hingegen wächst in Gegenden zwischen 600 und 800 Meter Höhe. Nestlé erwartet also von den Bauern, dass sie ihre Arabicapflanzen vernichten und neue Robustapflanzen setzen, die aber erst in viel bis fünf Jahren beerntet werden können.

Nestlé stellte den Campesinos hohe Absatzzahlen in Aussicht und fuhr zum Projektauftakt mit vier großen LKW vor, um Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen. Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe versprach einen Schulneubau. Robusta-Setzlinge wurden in einem französischem Kaffeelabor geklont und in Tezonapa ausgebracht. Im Jahr 2019 will Nestlé dort bis zu einer Million Säcke Robustakaffee jährlich ernten, mehr als die derzeitige gesamte mexikanische Arabicakaffee-Produktion.

Doch die Landarbeiter wehren sich, weil Nestlé weder Preis- noch Absatzgarantien anbietet. Inzwischen hat die Landarbeiter-Organisation CIOAC (Central Independiente de Obreros Agricolas y Campesinos) Delegierte in den Rat der Verarbeitungsanlage entsandt. Sie wollen gegen das Nestlé-Projekt stimmen. Der lokale Berater von Nestlé wurde inzwischen abgezogen.

Warum will Nestlé den Robusta-Anbau in Mexiko durchsetzen? Der Plan der USA für eine Freihandelszone, die ganz Lateinamerika und die Karibik mit Ausnahme Kubas umfassen soll (ALCA/Área de Libre Comercio de las Américas), lässt Nestlé hoffen, dass es zukünftig den ganzen lateinamerikanischen Markt mit billig produziertem Nescafé überschwemmen kann. Um seinen ohnehin schon riesigen Marktanteil noch zu vergrößern, kauft Nestlé auch andere Kaffeefirmen auf und schließt sie.

Dies war etwa 2003 in El Salvador der Fall, als Nestlé die alt eingesessene Firma „Café Listo“ kaufte, schloss und etwa Hundert Mitarbeiter auf die Strasse warf. Nun gibt es die Marke "Nescafé Listo" - hergestellt jedoch in Brasilien. Auch eigene Produktionsanlagen werden nicht verschont. So wurden in Argentinien und Chile Nescafé-Fabriken geschlossen – die Länder werden nun ebenfalls von Brasilien aus beliefert, wo kürzlich 33 Millionen US-Dollar investiert wurden.

Die mexikanischen Kleinbauern geraten zunehmend in die Abhängigkeit großer Nahrungsmittelkonzerne. Die Kaffeepreise sind im Keller, seit 1989 das internationale Kaffee-Abkommen zusammen brach, welches bisher Angebot und Nachfrage mit einem einigermaßen festen Preisrahmen regelte. Seither herrscht der freie Markt, d.h. die Börsen in New York und London bestimmen den Preis. Doch im Hochland von Chiapas/Mexiko ist dieses Jahr eine schlechtere Ernte aufgrund von Klimaschwankungen und den Auswirkungen der Hurrikane Wilma und Stan zu erwarten. Da die Konzerne auf die guten Arabica-Qualitäten angewiesen sind, versuchen sie, über lokale Aufkäufer an die nötigen Mengen zu kommen. Der Preis schießt deshalb kurzfristig nach oben. Der meiste Profit bleibt beim Zwischen- und Großhandel hängen, die Kleinbauern haben wenig davon.

Die mexikanischen Kaffeebauern sind zu 80 Prozent Indigene in den Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca, Chiapas, San Luis Potosí, Nayarit, Colima und Jalisco, die seit jeher zu den armen Zonen Mexikos zu rechnen sind und infolge dessen immer wieder von Aufständen und Auseinandersetzungen betroffen sind.

Ausgerechnet Konzerne wie Nestlé und Starbucks engagieren sich nun mit Kleinprojekten im Fair-Kaffee-Bereich. Nestlé hat im Oktober 2005 erstmals ein Fairtrade-Siegel für die Marke „Partner´s Blend“ bekommen, die auf dem englischen Markt vertrieben wird. Nestlé reagierte damit auf eine Öffentlichkeitskampagne von Oxfam, das den Konzern wegen seiner Einkaufspolitik und Preisdrückerei anprangerte. Die Siegelverleihung an Nestlé bleibt auch innerhalb der weltweiten Siegelorganisation "Fair Label Organisation" (FLO) umstritten.

So sei etwa die Fairhandels-Partnerorganisation „Comercio Justo Mexiko“ komplett gegen den Fairhandels-Vertrag mit Nestlé gewesen, erklärt deren Vorsitzender Jeronimo Pruijn. Die Produzenten kennen den Konzern eher als Auftraggeber von Aufkäufern, die Kooperativen unter Druck setzen: „Wir nehmen einen Container Fairtrade-Kaffee und die restlichen zehn Container zu Weltmarktbedingungen, sonst gehen wir woanders hin.“ So oder ähnlich erpressten die Einkäufer der Konzerne die Produzenten, berichtet Fernando Celis von der mexikanischen Kaffee-Kleinbauernorganisation CNOC (Coordinadora Nacional de Organizaciones Cafetaleros).

Mariano Santis von der Kooperative OTPC (Organizacion Tzeltal Productores de Café aus San Juan Cancuc) in Chiapas sagt, dass selbst die derzeitigen Fairtrade-Mindestpreise nicht ausreichen, um eine Familie zu ernähren. Hinzu kommt die miserable Ernte, die im Erntezyklus 2006/2007 aus Klimagründen um 50 Prozent zurückgegangen ist. 1,21 US-Dollar pro Pfund plus 15 Dollarcent Aufschlag für Biokaffee kommen nicht an die derzeit relativ hohen Weltmarktpreise heran.

Auch in Chiapas regt sich Widerstand, aber nicht gegen die Kaffeekonzerne, sondern gegen die "Fair Label Organisation" und deren deutschen Ableger Transfair. Die niedrigen Abnahmepreise und die hohen Gebühren von FLO und der Bio-Zertifizierungs-Organisation CERTIMEX (Certificadora Mexicana de Productos y Procesos Ecologicos) machen den Kooperativen zu schaffen.

Noch mehr Angst macht den Kleinbauern die Idee von FLO, auch die Großgrundbesitzer in den Fairhandel einzubeziehen. Dies und der Eindruck, dass FLO sich zunehmend Großkonzernen annähere, führt zu einem immer stärkeren Vertrauensverlust bei Produzenten und Konsumenten. Viele Kleinbauern, die bisher bei Fairtrade mitmachten, verkaufen inzwischen wieder an „Coyotes“, die Zwischenhändler der Kaffeekonzerne. Durch den 50prozentigen Ernteeinbruch sind auch diese unter Druck, denn sie brauchen die guten Arabica-Qualitäten und die Preise stiegen im Dezember und Januar kräftig an. Für die Kleinbauern, die auch Kooperativen beliefern, ist es häufig einfacher, an "Coyotes" zu verkaufen, denn sie bekommen sofort Geld auf der Hand – noch dazu zum selben Preis wie beim Fairhandelspartner.

Noch schlechter sieht es für sie aus, wenn sie ihren Kaffee als „nur-Bio“ verkaufen. Bio-Importeure zahlen keine fairen Preise. Der Bioanbau ist sehr arbeits-, d.h. kostenintensiv. Viele Kleinbauern können in der Erntezeit trotz Bedarfs keine weiteren Hilfskräfte bezahlen. Oft stehen auch gar keine Wanderarbeiter mehr zur Verfügung. Sie sind schon längst in den USA, wo der Stundenlohn fünf mal höher liegt als in Mexiko.

Der alternative Handel reagierte schnell auf den lokalen Preisanstieg. Der alternative Handel hat nicht das Transfair-Siegel und ist somit auch nicht an dessen Regeln gebunden, die er als zu marktkonform ablehnt. So zahlen zum Beispiel amerikanische und kanadische alternative Händler wie die „Cloudforest Initiative“ und „Cooperate Coffees“ bis zu 1,70 US-Dollar pro Pfund. Die Hamburger „Kaffee Libertad-Kooperative“ zahlt den zapatistischen Kaffeekooperativen in Chiapas 1,60 US-Dollar. Angesichts der schlechten Ernte und der Konkurrenz durch die „Coyotes“ sind auch die alternativen Händler zu Preisaufschlägen gezwungen. Inzwischen kaufen sogar große Kooperativen in Mexiko von kleineren Kooperativen Kaffee auf, um die eigenen Lieferverträge erfüllen zu können. Im Hochland von Chiapas hat ein Wettrennen um die wertvollen Kaffeebohnen begonnen.



Jan Braunholz ist Journalist und Mitarbeiter der Kaffeekampagne Mexiko/El Salvador im Dritte-Welt-Haus Frankfurt/Main.

www.cafe-cortadora.de

www.cafe-libertad.de

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