Trotz Grundsatzeinigung zwischen Bundesregierung und den Landesregierungen könnte es länger dauern, bis die Mindestsicherung kommt. Ob sie etwas bringt, ist eine weitere gute Frage.
"Es gibt eine Einigung zur Mindestsicherung", hat Sozialminister Erwin Buchinger (SPÖ) vergangene Woche in einer Presseaussendung erklärt. Nach zähen Verhandlungen mit Vertretern der Landesregierungen erzielte er einen Kompromiß. Strittig war vor allem die Frage, wer für die Abwicklung der so genannten "bedarfsorientierten Mindestsicherung" zuständig sein soll. Das sollen zwei Stellen sein. Die Bezirksstellen des Arbeitsmarktservice sollen die Anträge zur Mindestsicherung entgegennehmen. Behandelt werden die Anträge von den Sozialbehörden der Bundesländer – die dem Bürger gegenüber in Form der Bezirkshauptmannschaften entgegentreten sollen. Die wickeln die weiteren Modalitäten ab, sieht der großkoalitionäre Kompromiß vor. Den Großteil der Kosten von etwa 300 Millionen Euro bestreitet die Bundesregierung, ein kleiner Teil kommt aus den Länder-Budgets. Diese etwas komplexe Einigung wird von beiden Verhandlungspartnern als Durchsetzen der jeweils eigenen Linie gefeiert und gleichzeitig mit dem Bedauern quittiert, daß man sich nicht noch mehr durchgesetzt hat. Buchinger hatte das AMS zur alleinigen Anlaufstelle machen wollen, die ÖVP-dominierten Bundesländer die Bezirkshauptmannschaften. Anspruch hat nur, wer "arbeitswillig" ist. Das macht die Mindestsicherung zu wenig mehr als zu einer Vereinheitlichung der bisherigen Sozialhilfesysteme. Laut Definition des Sozialministeriums haben etwa 400.000 Österreicherinnen und Österreicher Anspruch auf die Mindestsicherung.
Die Opposition spricht von einem "Mini-Schritt zur sozialen Absicherung" oder sie befürchtet, daß "das Sozialsystem an die Wand gefahren wird." Die Grünen befürworten die Mindestsicherung grundsätzlich. Das jetzt ausverhandelte Modell ist ihnen aber zu wenig. Und sie befürchten, daß weite Gruppen durch die komplexe Zuständigkeitsverteilung von dieser Form der sozialen Absicherung ausgegrenzt werden. FPÖ und BZÖ sind sich beinahe einig in ihrer Meinung zu dem Kompromiß. Auf der einen Seite ist es ihnen zu wenig, auf der anderen Seite befürchten sie, daß die Mindestsicherung Leute dazu bringen könnte, von der Mindestsicherung zu leben, statt zu arbeiten. Wenn jemand mehr als 700 Euro netto bekommt, warum sollte er dann um 800 Euro arbeiten, fragen die Rechtsaußenparteien. In ihren Denksystemen ist diese Form der Absicherung kritikwürdig. Als "Kardinalfehler" an diesem Modell der Grundsicherung erscheint ihnen aber, daß auch Migranten Zugang zur Mindestsicherung haben sollen. Die FPÖ wähnt eine Benachteiligung österreichischer Staatsbürger und spricht davon, daß das zuviel für das heimische Sozialsystem sein könnte. Der Obmann des Pensionistenverbandes der SPÖ, Karl Blecha, fordert nach der Einführung der Mindestsicherung einen Mindestlohn von 1.000 Euro.
Unabhängig von der politischen Einschätzung bleiben zahlreiche Fragen offen. Unklar ist etwa die Höhe der Mindestsicherung. Von 747 Euro ist da die Rede und von knapp 770. Das dürfte auch davon abhängen, wann die Mindestsicherung kommen soll. "Wir rechnen mit einer Einführung am 1. Juli 2009. Früher geht es leider nicht", sagt Buchinger. Wobei diese Einschätzung eine sehr optimistische sein dürfte. Am schnellsten dürfte es im Nationalrat gehen. Buchinger kündigt an, alle legistischen Hebel in Bewegung zu setzen. Das spricht dafür, daß nur die gesetzlichen Mindestfristen eingehalten werden sollen, bis das Gesetz beschlossen werden soll. Denkbar wäre etwa ein Entschließungsantrag durch Abgeordnete der Regierungsparteien und die Verabschiedung nach drei Lesungen im Nationalrat. Das wäre innerhalb weniger Wochen schaffbar, deutlich schneller als wenn man das Gesetz zur Begutachtung an Juristen, Sozialpartner und Hilfsorganisationen schicken würde. Eine wesentlich größere Hürde könnte die Umsetzung in den Bundesländern sein. Um die Mindestsicherung einzuführen, muß jeder Landtag das eigene Sozialhilfegesetz ändern. Das dauert. In Tirol etwa wird vor den Landtagswahlen am 8. Juni sicher nichts in dieser Richtung passieren. Dann kommt die Konstituierung, dann die Sommerpause. Und daß es auch nicht so glatt für Buchinger gehen könnte, wie vorige Woche angekündigt, haben die Verhandlungen zum Ausbau der Kinderbetreuung gezeigt. Trotz grundsätzlicher Einigung sind die Vertreter aller schwarz bzw. orange regierten Bundesländer in letzter Sekunde abgesprungen. Was die österreichweite Einführung des von SPÖ und ÖVP auf Bundesebene ausverhandelten Modells um zumindest ein Jahr verzögert. Genug Zeit, um die Vorlage zur Mindestsicherung zu beurteilen. Bis der Umsetzungsreigen in den Bundesländern beginnt, werden ja wohl alle Details bekannt sein.
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