Samstag, 24. Januar 2009
 
Demokratie: Unösterreichische Umtriebe PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Bernhard Redl   
Dienstag, 7. November 2006

Die ÖVP hat es geschafft. Dank ihrer Gesprächsverweigerung ist die Republik paralysiert. So der allgemeine Tenor. Doch kann man das Ganze auch anders sehen.

Die ÖVP will nicht akzeptieren, daß mit einer urösterreichischen Tradition gebrochen wurde - der der Packelei. Plötzlich sind erstmals in der Republik Zustände vorhanden, wie sie das politische Establishment überhaupt nicht mag, die aber dem Grundgedanken der Verfassung entsprechen: Das Parlament ist unabhängig von der Regierung und kontrolliert diese. Ministerratsbeschlüsse zur Gesetzgebung sind jetzt das, was sie sein sollen: auf Grund von ministerieller Vorarbeit gestaltete Anträge an das Parlament. Nicht nur die Hoheit über die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, sondern auch die Letztentscheidung über die Gesetzgebung liegt beim Nationalrat. Daneben haben wir eine, wenn auch nicht unbedingt unumstrittene und politisch provisorische, so doch formal ordentliche Regierung, die auf die Funktion zurückgeworfen ist, die ihr die Verfassung zuordnet: den Vollzug der Gesetze und die Führung des Beamtenapparats.

Natürlich wird dadurch das Regieren schwieriger -- aber das ist auch gut so. Der Begriff des Regierens ist ja auch ein zweischneidiger: Während in absolutistischen Zeiten der Herrscher im vollen Verständnis seiner Macht sagen konnte, er selbst sei der Staat, ist für republikanische Verhältnisse dieser Begriff komplizierter: Denn die "Regierung" soll nicht mehr "regieren" im Sinne von "herrschen", sondern lediglich als flexibles, ausführendes Organ tätig sein. Die Erstellung der Richtlinien für deren Handeln, die legislative Form der staatlichen Gewalt, liegt bei einem von der Regierung unabhängigen Organ, beim Parlament.

In der Politikwissenschaft gibt es den Begriff des "divided government" -- gemünzt vor allem auf US-amerikanische Verhältnisse im Falle eines Präsidenten, der von der einen Partei gestellt wird, und eines von der anderen Partei dominierten Kongresses. Dieser Begriff ist da schon recht nützlich. Bezeichnet "government" doch in den USA eben nicht "Regierung" im Sinne eines Regierungschefs und seines Kabinetts. Dafür gibt es das Wort "administration" -- also Verwaltung --, womit eine eindeutige Aufgabenbegrenzung der "Regierung" gemeint ist.

Heute, Dienstag, sind in den USA midterm elections -- George Bush wird aller Erwartung nach in den beiden Häusern des Parlaments seine Mehrheit verlieren. Es wird härter für ihn werden, aber er wird sich wohl nicht so aufführen wie Schüssel, denn in den USA ist das "divided government" ein ganz normaler Zustand.

Auch in Frankreich ist -- unter ganz anderen verfassungsrechtlichen Umständen -- die "cohabitation" ein akzeptierter Zustand. Dort muß eine Regierung, bestimmt durch das Parlament, zuweilen hinnehmen, daß ein Vertreter einer ganz anderen Partei den Vorsitz im Ministerrat innehat: der Präsident der Republik. Frankreich hat de facto zwei Regierungschefs, die sich mitunter zusammenraufen müssen -- die politische Klasse findet das zwar oft sehr mühsam, aber sie akzeptiert es. Und das Wahlvolk hält es dem Vernehmen nach nicht für die schlechteste Regierungsform. Wohl deswegen, weil, ähnlich wie im "divided government" US-amerikanischer Prägung, die höchsten politischen Organe sich gegenseitig kontrollieren.

In Österreich ist das anders. In Österreich muß -- aufgrund seiner nicht nur in dieser Hinsicht unglücklich zusammengebastelten Verfassung -- erst ein uneindeutiges Wahlergebnis eintreten, damit Parlament und Ministerrat unabhängig voneinander agieren. Doch es ist kein unhaltbarer Zustand. Wenn jetzt gejammert wird, der Finanzminister könne kein Budget erstellen, weil die Regierungsparteien keine Mehrheit im Parlament haben, ist das Unsinn. Natürlich kann er ein Budget erstellen -- er muß das nur so machen, daß dieser Budgetvorschlag auch eine Mehrheit im Parlament findet. Genau das versteht die Verfassung unter Mitwirkung des Parlaments bei der Erstellung des Budgets. In der Verfassung steht nichts davon, daß der Finanzminister machen könne, was er wolle, und daß das Parlament das absegnen müsse. Die behauptete Unmöglichkeit der Budgeterstellung rührt lediglich von einer tradierten absolutistischen Grundhaltung der politischen Klasse her, die der Meinung ist, daß Demokratie Diktatur auf Zeit bedeute. Es ist dieselbe Grundhaltung, die auch die Abhaltung von Volksbegehren so sinnlos macht, da sie von diesen befristeten Diktatoren geflissentlich ignoriert werden und so nie zu Volksentscheiden führen.

Und diese Grundhaltung wird nicht nur von der Regierung resp. den Großparteien sondern fast von der gesamten veröffentlichten Meinung als Selbstverständlichkeit immer weiter gepredigt. Wenn Andreas Schwarz im "Kurier" der SPÖ vorwirft, ihr Verhalten wäre "chaotisch" und selbst Eva Glawischnig, deren Partei ja mit der SPÖ für die Untersuchungsausschüsse gestimmt hat, im Ö1-Mittagsjournal meint, die SPÖ solle die ÖVP nun "nicht mehr weiter provozieren", so zeigen diese beiden wilkürlich herausgeklaubten Statements als partes pro toto, welches Verständnis von Demokratie hierzulande -- und leider nicht nur hierzulande -- common sense ist. Wenn Alfred Gusenbauer hingegen von "lebendigem Parlamentarismus" spricht, ist das wohltuend, denn es kratzt an diesem common sense und ruft in der Öffentlichkeit eine alternative Form von "Regieren" als denkbare Möglichkeit hervor. Seine Position in dieser Frage ist schon sehr erstaunlich und man reibt sich die Augen vor Unglauben, daß die SPÖ drauf und dran ist, zumindest ein paar Wahlversprechen einzuhalten. Allerdings ist zu befürchten, daß es doch wieder nur leere Attitüde ist, hervorgefischt, um ein taktisches Manöver zu rechtfertigen -- denn glauben werde ich Gusenbauer diese moderne Grundhaltung erst, wenn er Bundeskanzler ist und dann immer noch so agiert und argumentiert.

In politischen Systemen, die sich dem Republikanismus (dem monarchenlosen Staat, aber auch der Politik als "res publica", also als "öffentlicher Angelegenheit") und der Demokratie (dem theoretischen Anspruch auf "Volksherrschaft") verschrieben haben, ist ein Dissens zwischen Gesetzgebung und Exekutive keine Krise. Es sollte nach dem Selbstverständnis der Republik ein ganz normaler Vorgang sein.

Eine Verfassung, die uns in getrennten Wahlen Regierungschef und Parlament wählen ließe, würde diese Demokratisierung institutionalisieren. Aber auch wenn derzeit immer noch an einer großen Verfassungsreform gebastelt wird, braucht man sich darauf gar keine Hoffnungen machen -- denn diejenigen, die es betrifft, sind auch diejenigen, die diese Verfassung neu zu schreiben hätten. Und die sind eben der Meinung, daß absolutistisches Regieren halt doch viel schöner ist. Der "lebendige Parlamentarismus" wird daher wohl nur ein kurzes Intermezzo werden.

< zurück   weiter >