Der Artikel 50 B-VG und die aktuelle Verfassungsreform — Versuch einer Erklärung.
Artikel 50 Bundes-Verfassungsgesetz war schon immer etwas kryptisch. Dieser Verfassungsartikel sichert die Mitwirkung des Verfassungsgesetzgebers (also primär des Nationalrats) beim Abschluß von “politischen Staatsverträgen” sowie solchen, die “gesetzändernden oder gesetzesergänzenden Inhalt haben”. Was unpolitische Staatsverträge sein könnten, war immer schon Anlaß für Spekulationen unter Juristen. Doch immerhin reichten diese Formulierungen, um effektive Verfassungsänderungen nicht autokratisch per Unterschift unter einen Staatsvertrag von der Regierung verordnen zu lassen — etwas, was speziell in Zeiten der EU-Gesetzgebung durchaus nicht irrelevant ist.
Am Mittwoch beschloß das Parlament ein “Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird” beschließen. Wieder einmal so Gesetzespaket, über das en block abgestimmt wird, wo Dinge zusammengefaßt sind, die miteinander sehr wenig zu tun haben. Dabei handelt es sich erstens um die Einrichtung des jetzt schon berüchtigten Asylgerichtshofs, der ja bekanntermaßen eine ordentliche Instanz werden soll, die man nach politischem Belieben zu einem Höchstgericht umdeuten kann; zweitens um die Entsorgung von Verfassungssondermüll wie beispielsweise Übergangsbestimmungen im Adelsaufhebungsgesetz; und drittens noch ein paar Neuformulierungen von weiteren Artikeln des Bundes-Verfassungsgesetzes, darunter eben auch Art. 50.
Die vollkommen verquaste Neuformulierung des Artikels erscheint auf den ersten Blick nur als Diversifizierung zwischen EU-Verträgen und anderen Staatsverträgen — also alles ganz harmlos. Die vom Bundeskanzleramt erstellten Erläuterungen zu dieser Novelle klingen aber anders: “Durch die vorgeschlagene Neufassung des Art. 50 B-VG soll eine generelle Ermächtigung geschaffen werden, Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, abzuschließen. Durch diese generelle Ermächtigung sollen besondere Bundesverfassungsgesetze, die bislang die Grundlage für eine Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union bildeten, entbehrlich werden.” Ob das wirklich in der Neufassung des Artikels auch so drinsteht, darüber streiten sich noch regierungskritische Kommentatoren. Denn in der Neufassung steht scheinbar unter Absatz 4 genau das Gegenteil: “Staatsverträge gemäß Abs. 1 Z 2” [das sind Staatsverträge, “durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden”] “dürfen unbeschadet des Art. 44 Abs. 3 nur mit Genehmigung des Nationalrates und mit Zustimmung des Bundesrates abgeschlossen werden. Diese Beschlüsse bedürfen jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen” — sprich einer Verfassungsmehrheit. Lediglich die Erfordernis der Form eines Gesetzes ist dabei nicht unbedingt gegeben.
Aber genau da dürfte der Haken sein. Denn der erwähnte Art. 44 Abs. 3 B-VG regelt die Verpflichtung einer Volkabstimmung bei einer Totaländerung der Verfassung und das Recht eines Drittels der Abgeordneten von Nationalrat oder Bundesrat eine Volkabstimmung zu initiieren — quasi der letzte Rettungsanker vor der totalen Ermächtigung der Regierung. Art. 44 Abs. 3 gewährt diese Rechte aber nur bei Verfassungsänderungen — wie eben einem Verfassungsermächtigungsgesetz. Die Frage, inwiefern Staatsverträge, die de facto das Verfassungsrecht ändern, auch als Verfassungsänderungen im Sinne des Art. 44 anzusehen sind, wenn es keine Verfassungsgesetzesbeschlüsse gibt, bleibt eine juristische Spitzfindigkeit, könnte aber speziell das Drittelrecht von NR und BR gefährden
Zweiter Versuch einer Erklärung
Für alle, die bis hierher gelesen haben, und immer noch nicht aufgegeben haben, derlei verstehen zu wollen, liefert die Website mehr-demokratie.at einen weiteren Versuch der Erklärung: “In den Erläuterungen der Regierungsvorlage wird zu Art. 50 Abs. 4 B-VG ausdrücklich beschrieben, dass der neue Art. 50 B-VG nicht zu Gesamtänderungen der Verfassung durch EU-Verträge ermächtigt, sondern dass für eine Gesamtänderung der Verfassung zunächst ein eigenes Ermächtigungsverfassungsgesetz erforderlich ist. Dem liegt zunächst das (fragwürdige) Verständnis zugrunde, dass eine 2/3-Mehrheit beurteilen kann, ob eine Gesamtänderung vorliegt und ob daher eine obligatorische Volksabstimmung verweigert werden kann oder abzuhalten ist. Dem liegt aber vor allem auch ein Verständnis zugrunde, dass eine verpflichtende Volksabstimmung nicht direkt über einen EU-Vertrag als solchen erfolgen würde, sondern nur auf der Grundlage eines eigens zu beschließenden Ermächtigungsverfassungsgesetzes. (...) Über die Frage, ob 1/3 der Abgeordneten eine Volksabstimmung durchsetzen können, äußern sich die Erläuterungen der Regierungsvorlage nicht ausdrücklich. Da die Erläuterungen jedoch die Auffassung vertreten, dass über einen Staatsvertrag als solchen keine Volksabstimmung abgehalten werden kann, schließt dies folglich auch eine unmittelbare Anwendbarkeit dieses parlamentarischen Minderheitenrechts auf Staatsverträge aus. Die Erläuterungen einer Regierungsvorlage sind zwar nicht der alleinige Maßstab für die Auslegung des neuen Art. 50 B-VG. Allerdings haben solche Erläuterungen im Wege der sogenannten ´historischen Interpretation´ schon ein bedeutendes Gewicht.”
Anspruch und Wirklichkeit
Wenn man bedenkt, daß der ursprüngliche österreichische Verfassungskonvent und auch die Khol-Kostelka-Altherrenrunde, der wir diese Vorlage verdanken, mit dem Anspruch angetreten waren, die Verfassung zu “bereinigen”, was naive Geister wie ich auch als Anspruch auf Verständlichkeit und Rechtssicherheit interpretieren wollen, und hernach Formulierungen enstehen, die dem Orakel von Delphi alle Ehre gemacht hätten, kann man da kaum von einem erfolgreichen Abschluß dieses ersten Teils der Verfassungsreform sprechen — selbst ohne die prinzipiell demokratiefeindliche Tendenz kritisieren zu wollen. Hier zeigt sich der selbe Geist wie beim EU-Vertrag: Bürokratische Nebelbomben, die Juristen Arbeitsplätze sichern, die einfache Bevölkerung vom Verständnis der rechtlichen Grundlagen fernhalten und selbst Abgeordnete darüber im Dunkeln zu lassen, was sie da eigentlich so beschließen — das scheint das Credo zu sein!
Ein Staat, der sich so gebiert, hat den Anspruch das Volk zu vertreten. Na, wir danken schön. |