Vor wenigen Tagen fand in Curitiba, Brasilien, die 1. Konferenz des
Volkes zum Thema Agroenergie statt. 500 VertreterInnen bäuerlicher,
gewerkschaftlicher, sozialer, pastoraler und ökologischer
Organisationen haben das folgende Positionspapier verabschiedet und
dabei sehr klare Aussagen getroffen, die auch in der europäischen
Diskussion beachtet werden sollten.
Für eine Ernährungs- und Energiesouveränität
Positionspapier sozialer Organisationen, Bewegungen und Pastoraldienste zur Agroenergie in Brasilien, beschlossen auf der 1. Konferenz über Agroenergie in Curitiba, Brasilien, am 31. 10. 2007.
Übersetzung: Johann Kandler
Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Planet Erde unter der zerstörerischen Aktion des Kapitals leidet, das für die Erderwärmung und den Klimawandel verantwortlich ist, ebenso wie für die Privatisierung aller Formen des Lebens. Das stellt uns vor eine wichtige Entscheidung: entweder wir verändern die Paradigmen dieser Zivilisationsform oder die Menschheit und das Leben auf dem Planeten wird vernichtet.
Wir kämpfen für eine neue Zivilisation, die auf einer harmonischen Beziehung zwischen den Menschen und der Natur gründet, und in der nicht der Konsumismus und die Logik des Kapitals und des Marktes vorherrschen, die die natürlichen Ressourcen zerstören, den Reichtum und die Macht in den Händen weniger konzentrieren und Armut und soziale Ungleichheit hervorbringen. Wir kämpfen für eine Gesellschaft auf der Grundlage von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität zwischen den Völkern, und deren ethische Werte auf den Erhalt aller Formen des Lebens ausgerichtet sind.
Angesichts dessen positionieren wir uns folgendermaßen:
1. Land, Wasser, Sonne, Luft, Bodenschätze und Biodiversität sollen durch nachhaltige Nutzung erhalten werden und in erster Linie der Produktion von Lebensmitteln und der Sicherstellung von Arbeit und Lebensqualität dienen.
2. Wir bejahen die Souveränität der Völker bezüglich ihres Territoriums und der Bestimmung ihrer Zukunft. Die Ernährungs- und Energiesouveränität besteht im Recht des Volkes, die Kontrolle über die Produktion und Verteilung von Nahrung und Energie für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse auszuüben.
3. Die Produktion von Energie darf in keinem Fall die Nahrungsmittelproduktion ersetzen oder gefährden. Agroenergie darf nur diversifiziert und als Ergänzung zu Nahrungsmitteln produziert werden.
4. Die Politik bezüglich der Produktion von Agroenergie darf nicht von der Logik des Marktes bestimmt werden. Und auch nicht von den Gewinninteressen der Erdöl- und Automobilunternehmen, sowie der Agrarindustrie.
5. Jede Art von Monokultur wird von uns zurückgewiesen und bekämpft. Wir schlagen eine Größenbeschränkung für landwirtschaftlichen Grundbesitz vor, sowie eine Begrenzung der Anbauflächen für Energiepflanzen für Betriebe, Gemeinden und Regionen.
6. Wir wiederholen, dass eine Agrarreform und die Demokratisierung des Zugangs zu Grund und Boden der Weg zur Sicherstellung der Ernährungs- und Energiesouveränität sind. Das aktuelle Agrarmodell bewirkt die wachsende Konzentration des Landbesitzes.
7. Eine Ernährungs- und Energiesouveränität basiert auf Biolandwirtschaft und regionalen Wirtschaftskreisläufen. Wir bekämpfen die sozial und ökologisch nicht nachhaltige Agroindustrie, einer der wichtigsten Verursacher des Klimawandels durch die geänderte Landnutzung, die Waldzerstörung und den massiven Einsatz von Agrargiften und gentechnisch veränderten Saatgut, sowie durch die Mechanisierung und den weltweiten Gütertransport.
8. Die Produktion von Agrarkraftstoffen soll der Energiesouveränität der Völker dienen und nicht dem Export, um die reichen Länder zu versorgen und Gewinne für private transnationale Konzerne zu erwirtschaften.
9. Wir bekämpfen die Kontrolle des ausländischen Kapitals über die Wirtschaft, den Grundbesitz, die natürlichen Ressourcen und die Energiequellen Brasiliens.
10. Wir kämpfen für ein nachhaltiges und diversifiziertes Energiemodell. Agrarenergien sind nur eine Alternative neben einer Effizienzsteigerung und anderen erneuerbaren Energiequellen.
11. Wir sind für ein dezentralisiertes und Bevölkerungsorientiertes Energiemodell, das den sozialen Bedürfnissen und den lokalen und regionalen Bedingungen entspricht. Wir schlagen vor, dass die Produktion und Verwaltung durch kleine genossenschaftliche, gemeinschaftliche oder familiäre Organisationen unter der Kontrolle der Bevölkerung erfolgt.
12. Wir kämpfen für neue Transportsysteme, die unterschiedliche Formen integrieren (Wasser, Schienen, Strassen) und öffentliche Verkehrsmittel fördern, und nicht mehr das irrationale und nicht nachhaltige, vom Erdöl abhängige Modell, das den Individualverkehr privilegiert.
13. Das aktuelle Produktionsmodell für Agrotreibstoffe wird die Ökosysteme zerstören, insbesondere den Amazonas und den Cerrado, und die Rodungsfront vorantreiben. Angesichts dessen bestätigen wir die Souveränität der traditionellen Völker und Gemeinschaften über ihre Territorien. Es reicht - Schluss mit den Rodungen in allen Ökosystemen Brasiliens.
14. Die Stellung der Bauern und der familiären Landwirtschaft muss durch Souveränität und Autonomie gekennzeichnet sein. Wir sind gegen das Integrationssystem, das die Landwirte von Agroindustrien abhängig macht und nur ihre Arbeitskraft ausbeutet. Wir fordern eine Agrarpolitik, die Kredite, technische Assistenz und Rahmenbedingungen bereitstellt, damit die Bauern in kleinen Produktionseinheiten Agrarenergie produzieren können.
15. Wir fordern, dass der brasilianische Staat die Energiesouveränität mittels Förderungen, Normen und Kontrollen sicherstellt. Dafür sind die nötigen Instrumente und öffentlichen Einrichtungen unter sozialer Kontrolle mittels entsprechender Energiepolitik zu schaffen, damit der Staat über die Produktion und die Vermarktung der Agroenergie in Brasilien bestimmt.
Wir, die 500 Teilnehmer an der 1. Nationalen Konferenz über Agroenergie, unterschreiben dieses Dokument als Vertreter der Bauernorganisation Via Campesina, der Umweltverbände, der Gewerkschaften und der Pastoraldienste.
Wir unterstützen diese Vorschläge:
Leonardo Boff, Theologe,
Roberto Requão, Gouverneur des Bundesstaates Paraná,
Adriano Beyanon, Universität Brasilia,
Pfarrer Werner Fuchs,
Curitiba, Paraná, Brasilien, am 31. Oktober 2007
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