Schnellkochtopf mit Explosionsgefahr in Oaxaca |
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Geschrieben von Gerold Schmidt
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Dienstag, 22. Mai 2007 |
Vor genau einem Jahr, am 22. Mai 2006, begann im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca mit einem breit angelegten Streik der örtlichen Lehrergewerkschaft für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen der Aufstand gegen die Willkürherrschaft des Gouverneurs Ulises Ruiz. Mit Unterstützung der Bundesregierung ist der Gouverneur nach wie vor im Amt. Im Innenministerium in Mexiko-Stadt wird der soziale Konflikt inzwischen trotz zahlreicher ungelöster Morde an Mitgliedern der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung und immer noch mehr als 40 inhaftierten Gegnern von Ruiz als "gelöst" angesehen. Nicht wenige verweigern sich dieser Sichtweise jedoch.
Ein Indiz sind die permanenten kleinen Protestaktionen der Volksversammlung der Bevölkerung Oaxacas (APPO). Diese Aktionen haben nach dem massiven Einsatz von mehr als 4.500 Bundespolizisten im Oktober und November 2006 die früheren Großdemonstrationen und Barrikadenbauten in der gleichnamigen Hauptstadt des Bundesstaates abgelöst. Die APPO hatte sich kurz nach Beginn des Lehrerstreiks gegründet, als der Gouverneur mit Gewalt gegen die Proteste der Pädagogen vorging. Innerhalb weniger Wochen entstand ein Zusammenschluß von etwa 350 linken und indigenen Organisationen, der über Monate eine Art Parallelregierung bildete. In ihrer Grundstruktur ist die APPO intakt geblieben. Über ein mehrstufiges System von "Volksversammlungen" reicht ihr Einfluß nach wie vor auch in entlegene Gemeinden Oaxacas.
Gleichzeitig scheint sich die Lehrergewerkschaft wieder zu radikalisieren. Die von der regierungsnahen Führung der Dachgewerkschaft geförderte Gründung einer Konkurrenzorganisation im Bundesstaat hatte die Lehrerbewegung vorübergehend ebenso geschwächt wie der Rückzug ihres örtlichen Vorsitzenden. Nun gibt sie sich wieder kämpferisch. Erst am vergangenen Wochenende beschloss sie, wie im Vorjahr eines der wichtigsten von Oaxacas Regierung veranstalteten "Volksfeste" aktiv zu boykottieren und eine Gegenveranstaltung zu organisieren. Im Rahmen landesweiter Proteste gegen die jüngst verabschiedete Reform des Sozialversicherungsgesetzes für die Staatsbeschäftigten befindet sich seit gestern ein Zehntel der Lehrer Oaxacas im Ausstand.
Gouverneur Ruiz veranstaltet unterdessen seit Monaten eine teure Imagekampagne in den Medien. Demnach müßte sich das zu den ärmsten Bundesstaaten gehörende Oaxaca bald zum Paradies auf Erden wandeln. Von den über 20 Toten, die in den vergangenen zwölf Monaten von mit Ruiz Regierung in enge Verbindung gebrachten paramilitärischen Kommandos umgebracht wurden, ist dabei nie die Rede. Der Gouverneur gibt sich ganz zukunftsgewandt. Er arbeitet gezielt auf die lokalen Abgeordnetenwahlen im August und die Kommunalwahlen im Oktober hin. Ein desaströses Ergebnis könnte ihn politisch doch noch den Kopf kosten. Da die parteipolitisch organisierte Opposition aber schwach und in Teilen kooptiert ist, kann er sich berechtigte Hoffnungen machen.
Was sich abseits der Parteipolitik in Oaxaca ergeben wird, ist schwer vorher zu sehen. Der selber in Oaxaca lebende Intellektuelle Gustavo Esteva verglich die Situation jüngst mit einem unter hohem Druck stehenden Schnellkochtopf, der jederzeit wieder explodieren könne. Die Erfahrungen des vergangenen Jahres hätten sich im Alltag vieler Menschen auf eine Weise niedergeschlagen, dass sie nie wieder zur vorherigen "Normalität" zurück kehren würden. Andererseits hat die Bundesregierung erst Anfang dieses Monats ein Zeichen gegeben, wie sie auf regionale Proteste mit überregionalem Potential zu reagieren bereit ist. So verurteilte ein Richter Mitglieder einer militanten Bauernorganisation aus dem Bundesstaat Mexiko zu 67 Jahren Haft wegen "Entführung", weil sie vor über einem Jahr staatliche Funktionäre mehrere Stunden festgehalten hatten.
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