Warum greifen Intellektuelle, kaum sind sie in der vordersten Front der Politik angelangt, in die unterste Schublade - fragt sich Bernhard Redl.
"Vielleicht sollten Sie noch wissen, ich gehe seit einem Jahr in einem Park im 6. Bezirk spazieren. Seit Ihre Wahlkampagne begonnen hat, steht dort auf jeder Parkbank »Ausländer raus« und auf einigen das Hakenkreuz. Herzlichen Dank." (ORF, 10.11.1991)
"Nur für den, der zu Hause faul herumliegt, nichts macht und reiche Eltern hat, für den sind dann die Gebühren auch da." (Die Presse, 19.1.2007)
Zwischen diesen beiden Zitaten von Josef Broukal (das erste zu Jörg Haider, das zweite über die Studiengebühren) liegen etwas mehr mehr als 15 Jahre. Was ist da passiert? Ist das noch derselbe Mensch, für den wir damals Solidaritätsaktionen organisiert haben? Ist das derselbe, der damals ein großes Plakat geschenkt bekam, auf dem geschrieben stand "BRAVO BROUKAL", und der dann mit diesem Plakat trotzig-stolz für das "profil" posierte? Ist das aber auch derselbe, der noch vor Wochen vehement und prinzipiell gegen Studiengebühren gewettert hat? Ist das der, den viele Linke innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie noch für einen der wenigen Intellektuellen und aufrechten Antifaschisten gehalten haben? Und jetzt diese Lieslgehreriade?
Der Sager von Broukal ist viel schlimmer, als man im ersten Augenblick denken mag. Denn die neuen Regelungen zu den Studiengebühren sind so ziemlich das Perfideste, was wir in den letzten Jahren so an Regierungsplänen vernommen haben. Zwar war Vieles von Schwarzblauorange schlimmer. Neoliberaler Rollback und erzkonservative Atavismen allerorten, sicher. Aber, einmal abgesehen von den durchwegs amüsanten Vorschlägen á la "Blasmusik statt Nachhilfe", ist das jetzt vorgeschlagene Modell äußerst hinterhältig. Denn dieses Sozialdienstangebot wird kaum jemand annehmen, da der rechnerische Stundenlohn von 6 Euro unter dem Lohn so ziemlich jeden Studentenjobs liegt. Das wird wiederum dazu führen, daß der Stammtisch nach der Nichtannahme dieses "Angebots" sagen wird: "Die Studenten sind eh gstopft und nur faul, die sollen nur brennen, wenns nix hackeln wollen". Gerade weil Josef Broukal eben kein FPÖ-Mandatar aus der dritten Reihe ist, sondern der SPÖ-Wissenschaftssprecher, wirkt dieser Sager so besonders stark. Wenn sogar der das sagt, dann bestätigt das ja nur "das gesunde Volksempfinden". Anti-Intellektualismus von einem Intellektuellen ist einfach besonders glaubwürdig. Gerade in dieser Kombination aus Regierungsvereinbarung und Broukal-Zitat entsteht das Bild, daß sich diese, die ganze Zeit auf der faulen Haut resp. ihren Eltern auf der Tasche liegenden, Studierenden die Gebühren sowieso locker leisten können.
Ich halte Josef Broukal immer noch für einen ehrenwerten Menschen. Aber was passieren kann, wenn Intellektuelle an die vorderste Front der Regierungspolitik treten, ist doch immer wieder erschreckend. Auch Gusenbauers hanebüchenes Angebot, jede Woche zwei Stunden Nachhilfe zu geben, ein Angebot, das bei seinem Hauptjob wohl kaum auf die Dauer durchzuhalten sein wird, und nur als Populismus tiefster Schublade zu qualifizieren ist, hätte man einem gebildeten Menschen wie ihm doch eigentlich nicht zutrauen wollen. Auf der anderen Seite fällt mir da aber auch ein Erhard Busek ein, dessen politische Meinung ich zwar noch weniger teile, der aber bis zu seiner Zeit als Vizekanzler durchwegs als Liberaler hätte durchgehen können, dann aber in der ersten Reihe ausländerfeindliche Töne von sich gab, daß mir die Spucke wegblieb. Solche Leute schieben dann Meldungen, an die sie eine Stunde später wohl selbst nicht mehr erinnert werden wollen. Warum tun sie das? Weil es sie innerlich viel stärker als andere schmerzt, daß politisches Denken und politisches Handeln so gar nicht in Einklang sind, und sie deswegen in ihrer Not zu starken Worten greifen müssen, um sich zu betäuben?
Was weiß ich... Laienpsycholgische Erklärungen kann man immer finden. Aber stellt sich vielmehr nicht auch die Frage, wie schlimm es um die politische Sphäre bestellt sein muß, wenn Menschen, die gebildet sind und gewohnt, die Welt mit Hilfe ihres Intellekts zu deuten, plötzlich derart hilflose Ausflüchte zu suchen beginnen? Was ist das für eine Gesellschaft, in der Menschen dazu getrieben werden, krampfhaft bemüht, das Gesicht nicht zu verlieren, deftige Sprüche von sich zu geben, wodurch sie dieses eben erst recht verlieren? Ist Politik nur etwas für Menschen mit Bauernschläue und Saumagen, aber nicht für Intellektuelle? Muß das so sein?
Wenn durch Broukals Sager über diese Fragen eine öffentliche Debatte angeregt würde, dann könnte man ihm doch noch erneut "Bravo!" zurufen. Aber als gelernte Österreicher wissen wir: Die Chancen stehen dafür nicht gut.
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