Die Belegschaft eines Fahrradwerks im thüringischen Nordhausen besetzte
nach der Insolvenz die Fabrik und will kurzfristig die Produktion
selbstverwaltet wieder aufnehmen. (UPDATE 3.10.: Produktion ist fix - Aussendung im Anhang)
Die Bike Systems GmbH wurde Ende 2005 von der texanischen Investment Gesellschaft Lone Star Funds gegründet und übernahm den Geschäftsbetrieb zur Entwicklung und industriellen Fertigung von Fahrrädern der früheren Thüringer Zweiradwerke. Nach eineinhalb Jahren meldete die Firma jedoch im August Insolvenz an. Doch der als "Heuschrecke" verschriene Investor hatte nicht mit der Belegschaft gerechnet. Als sich die Insolvenz bereits abzuzeichnen begann, besetzte die Belegschaft am 10.Juli das Werk im 3-Schichtbetrieb, um eine endgültige Demontage der Produktionsmittel zu verhindern.
Und jetzt haben die 135 Kolleginnen und Kollegen beschlossen, die Produktion von Fahrrädern in Selbstverwaltung wieder aufzunehmen. Dafür müssen bis zum 2. Oktober verbindlich 1.800 Bestellungen für Fahrräder eingehen. In der Zeit der Besetzung entwickelten die Kolleginnen und Kollegen des Werkes die Idee, erst einmal für kurze Zeit die Produktion in Selbstverwaltung wieder aufzunehmen. Weil es eben nicht nur darum geht, den Abtransport der letzten Maschinen zu verhindern und auf einen neuen Investor zu warten, stieß die Idee ein eigenes »Strike-Bike« herzustellen, auf immer größere Resonanz. Und so soll zunächst einmal nur für eine Woche das Werk wieder in Produktion gehen. "Das Ganze ist zunächst ein symbolischer Akt, um unsere Entschlossenheit zu demonstrieren und zu beweisen, daß man sehr wohl wirtschaftlich arbeiten kann. Wir haben momentan aber einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten, die Produktion auf längere Sicht am Laufen zu halten." erklärte André Kegel, Vorsitzender des BesetzerInnen-Vereins "Bike in Nordhausen e. V." gegenüber der "jungen Welt". Und laut Kegel gäbe es gute Chancen, daß dieses -- selbstverständlich rotlackierte und mit der Aufschrift "Strike-Bike" versehene -- Fahrrad auch produziert werden kann. Denn das Angebot, das am Donnerstag lanciert wurde, wäre am Freitag morgen schon mit 800 Bestellungen quittiert worden. Das Strikebike soll inclusive Mehrwertsteuer und Versand innerhalb Deutschlands 275 Euro kosten.
Quellen und weitere Informationen: http://www.strike-bike.de http://www.jungewelt.de/2007/09-24/049.php http://at.indymedia.org/de/node/2950 http://www.labournet.de/branchen/sonstige/fahrzeug/bikesystems.html Kontakt zu den BesetzerInnen und Bestellungen direkt an: »Bikes in Nordhausen e.V.«, c/o. André Kegel, Bruno-Kunze-Str. 39 - 99734 Nordhausen, Telefon: 0049/3631-622 124 und 0049/3631- 403 591, Fax: 03631 - 622 170, email: fahrradwerk(ät)gmx.de
Update 3.10.: Presseaussendung Strike-Bike
Seit gestern morgen ist es vollbracht: 1800 Strike-Bikes wurden bestellt, die Kampagne wurde vorzeitig abgebrochen. Alle Räder sind verkauft.
Damit schreiben die KollegInnen aus dem Fahrradwerk in Nordhausen und die sie unterstützende anarchosyndikalistische Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) Geschichte. Noch niemals zuvor wurde in der BRD in einer besetzten Fabrik selbstverwaltet produziert.
In den nächsten Tagen werden die KollegInnen die für die Produktion benötigten Teile bestellen. Die Produktion wird am 23. Oktober aufgenommen werden und ab Anfang November werden die "Strike-Bikes" an die solidarischen BestellerInnen ausgeliefert werden.
Möglich wurde der Erfolg dieser direkten Aktion durch eine solidarische Kampagne mit ungeahnter Dynamik. Innerhalb von noch nicht einmal zwei Wochen nach der Bekanntgabe der Absicht die "Strike-Bikes" in Selbstverwaltung zu produzieren wurde die Kampagne weltweit in sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen zum Thema. Bestellungen gingen aus nahezu allen europäischen Ländern sowie aus u.a. Ägypten, den USA, Australien, Kanada, Südafrika, Israel ein.
Solidaritätsbekundungen und euphorische Resonanz fanden ihren Weg aus nahezu allen Ecken der Welt nach Nordhausen und zur FAU. Und seit spätestens zwei Tagen geht die Berichterstattung nun weit über die Alternativmedien hinaus. Gestern gab es mehrminütige Berichte auf allen wesentlichen deutschen Fernsehsendern (ARD, ZDF, SAT 1, RTL), über zweihundert deutschsprachige Zeitungen brachten Meldungen, mehr als 50 Zeitungen selbstrecherchierte Artikel. Die Nachrichtenagenturen DDP, AP und Reuters brachten gestern mehrmals aktualisierte eigene Meldungen, jeweils mit Hinweis auf die Homepage von der Kampagne. Fernsehberichte gab es außerdem in Frankreich, Holland, der Schweiz und Österreich. Ein Pressespiegel ist auf der Kampagnenseite zu finden.
In Nordhausen sind die KollegInnen immer noch überwältigt vom Ausmass der weltweiten Solidarität. Überall werden sie als wegweisende Vorbilder genannt. Und langsam wird auch den Hauptakteuren bewusst, dass sie mit ihrem Mut und ihrer Solidarität Geschichte schreiben werden. |