Samstag, 24. Januar 2009
 
Briefkastenfirma gegen Bolivien PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Hermann Klosius   
Montag, 10. März 2008

Euro Telecom Italia (ETI), eine Tochter von Telecom Italia, hat in den Niederlanden weder Büro noch MitarbeiterInnen, aber einen Briefkasten. Dieser ermöglichte es ETI, vom bilateralen Investitionsabkommen zu profitieren, das die Niederlande 1995 mit Bolivien abgeschlossen haben, und Bolivien vor ICSID, dem Schiedsgericht der Weltbank für Konflikte über Investitionen, zu klagen.


Im Jahr 1996 hatte die damalige bolivianische Regierung 50% des staatlichen Telekom-Unternehmens ENTEL an den italienischen Konzern verkauft. Doch im April 2007 forderte die Regierung von Präsident Evo Morales ETI auf, die Aktien zum Teil oder zur Gänze an den Staat zurück zu verkaufen. Sie beschuldigte das Unternehmen, die Bedingungen des Privatisierungsvertrages nicht erfüllt zu haben, indem es zu wenig in die Infrastruktur investierte, gleichzeitig aber Millionen von Dollar an Gewinnen ins Ausland transferierte. Weiters forderte die Regierung die Bezahlung eines Steuerrückstands.

ETI reagierte heftig: Dadurch dass die Regierung die Politik des Unternehmens prüfte und über einen Rückkauf zu verhandeln versuchte, habe sie ETIs Investitionen entwertet und seine Verdienstmöglichkeiten geschmälert. Dieser Erklärung zum Trotz ist ENTEL weiterhin ein profitables Unternehmen, das in Bolivien für neue Produkte und Dienstleistungen wirbt. Doch statt sich auf Verhandlungen mit der bolivianischen Regierung einzulassen, entschied sich ETI dafür, ein Schiedsgerichtsverfahren bei ICSID zu beantragen.

ICSID ist für seine unternehmensfreundlichen Entscheidungen bekannt: In 36% der bisherigen Fälle urteilte es zugunsten der Kompensationsforderungen der Unternehmen; in weiteren 34% wurde darüber außergerichtlich Einigung erzielt. Unabhängig davon, wie sich ein Konzern verhalten hat, haben Länder nicht die Möglichkeit, vor ICSID Klagen gegen Konzerne einzubringen. Gegen die Entscheidungen des Tribunals ist kein Einspruch bei einer höheren Instanz möglich; auch die nationale Souveränität schützt davor nicht. Von allen von ICSID behandelten oder dort anhängigen Fällen – bis November 2006 waren es 255, vorwiegend zu den Bereichen öffentliche Dienstleistungen und natürliche Ressourcen – richtete sich der Großteil gegen Entwicklungsländer: 74% gegen solche mit mittlerem, 19% gegen solche mit niedrigem Einkommen. In nur 1,4% der Fälle waren Mitglieder der G8 angeklagt.

Angesichts dieser unfairen Bedingungen gab Bolivien am 2. Mai 2007 offiziell seinen Rückzug aus ICSID bekannt – als weltweit erstes Land, das sich zu diesem Schritt entschloss. Laut der ICSID-Konvention aus dem Jahr 1966 tritt ein solcher Rückzug jedoch erst sechs Monate nach seiner Ankündigung in Kraft. ETI brachte seine Klage am 12. Oktober ein und am 29. Oktober – kurz vor Ablauf der sechsmonatigen Frist – nahm ICSID den Fall an. Nach dem gängigen Verfahren ist eine Entscheidung nicht vor Juli 2009 zu erwarten; wenn sich Bolivien aber weigert, die ICSID-Zuständigkeit anzuerkennen, kann es zu einem raschen Urteilsspruch kommen.

Als Reaktion auf ETIs Vorgangsweise richteten 863 zivile Gruppen aus 59 Ländern eine Petition an Weltbankpräsident Robert Zoellick; gleichzeitig appellierten 15 niederländische Organisationen an ihre Regierung, Bolivien zu unterstützen und dem Missbrauch des Investitionsvertrages der Niederlande mit Bolivien durch Konzerne nachzugehen. Der niederländische Handelsminister erklärte die Regierung als nicht zuständig, während Zoellick jede Antwort schuldig blieb.

Die Petition ist Ausdruck weltweit wachsender Besorgnis über ein System von Rechten für Investoren, die aus Sicht der NGOs Demokratie und Menschenrechte zu untergraben drohen. Sie nimmt auch Bezug auf den Fall der Fa. Bechtel, die Bolivien nach einem gescheiterten Wasserprivatisierungs-Projekt im Jahr 2001 anklagte, die Klage nach fünf Jahren intensiven Drucks der Öffentlichkeit im Jahr 2006 aber fallen ließ. Die NGOs wenden sich auch dagegen, dass ICSID den Fall aufgreift, obwohl Bolivien seinen Rückzug aus der Konvention erklärt hat. Es könne nicht angehen, dass in Zeiten zunehmender Kritik an dieser Schiedsinstanz in Investitionsfragen, wie sie u.a. auch die Regierungen von Argentinien, Ecuador, Nicaragua und Venezuela geäußert haben, an Bolivien ein Exempel statuiert wird. Auch habe die Regulierung der Telekommunikation bedeutende soziale Auswirkungen und sei daher für ein internationales Tribunal für Handelskonflikte ungeeignet.

Die Kritik Boliviens und der NGOs am ICSID-System wird von einer im April 2007 veröffentlichten Studie über bilaterale Investitionsverträge und ICSID unterstützt: „Das herrschende System internationalen Investitionsschutzes gibt globalen Unternehmen zu viel Macht. In einer wachsenden Zahl von Fällen haben mächtige Firmen diese Regeln zur Untergrabung demokratischer Prozesse auf Kosten schutzloser Gemeinschaften und der Umwelt ausgenützt.“

Ungeachtet aller dieser kritischen Stimmen kann ETI der Entscheidung des Gerichts beruhigt entgegensehen, da die Chancen sehr gut stehen, dass sie zu seinen Gunsten ausfallen wird.

Quelle: Artikel “The Story of a Dutch Letterbox which Could Cost Bolivia a Fortune”, von Susan Leubuscher, Corporate Europe Observatory, Februar 2008




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