Buch: Kritik der Gewalt |
Geschrieben von Rosi Krenn / akin | |
Mittwoch, 6. Dezember 2006 | |
Das neu erschiene Buch "Lebenserfahrung und Geistesarbeit: Simone Weil und der Anarchismus" setzt sich mit Leben und Werk der als gewaltkritische Anarchistin rezipierten Simone Weil auseinander. Der in Marseille lebende Autor Lou Marin, - in "Ursprung der Revolte" setzte er sich fundiert und höchst spannend mit Camus in bezug auf libertaere Rezeption auseinander - hat diese neu erschienene Biographie zu Simone Weil ins Deutsche mitübersetzt. Auf seiner Lesereise präsentierte er eine Einführung in die Inhalte der Hauptwerke und einige der historisch verankerten bedeutsamen Gedankengänge Simone Weils. Die Philosophin Simone Weil (1909 bis 1943) wuchs in einer grossbürgerlichen assimiliert-jüdischen Familie in Paris auf. Ihr Leben wurde von einer pazifistischen, einer anarchistischen und einer christlichen Lebensphase gepraegt. Sie wird primär als gewaltkritische Anarchistin diskutiert. Ihre Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg 1936 fundierte ihre Kritik an revolutionärer Gewaltanwendung, so hatte sie etwa formuliert: der Krieg ist das Grab der Revolution. Sie hatte betont, dass es überall eine Notwendigkeit darstellt, Gewalt zurückzudraengen, angesichts des Nationalsozialismus und Faschismus war sie bereit, eine gewaltsame Auseinandersetzung anzuerkennen, sie hatte jedoch betont, dass es für sie nicht in Frage kommt, individuell einen Menschen zu töten. In dieser Lebensphase war sie zwar an der Front im spanischen Buergerkrieg mit einer Waffe ausgerüstet, hatte sich jedoch nicht vorstellen können, selber zu töten. Ihre Erfahrungen an der Front, ihr Erleben der Verrohung und Brutalisierung menschlicher Existenz liess sie daran zweifeln, dass eine gewaltsame Organisationsform jemals menschliche Freiheit bringen könnte, die kritischen Reflexionen ihrer Frontbriefe beleben bis heute die Diskussion. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Mainstream erarbeitete diese Philosophien ihre Erkenntnisse aus ihrer Erfahrung. Sie betonte stets, dass erst die eigene Lebenserfahrung Rückschlüsse zulassen kann und kritisierte in diesem Zusammenhang sehr unmittelbar den traditionellen Marxismus. Lenin warf sie etwa vor, Theorien auf einer Basis zu entwickeln, die den Menschen nicht gerecht werden, sie stellt die Frage, wie es möglich sein soll, wirklichkeitsnah zu sein, ohne jemals in seinem Leben einen Fuss in eine Fabrik gesetzt zu haben. An seiner Methode wirft sie Lenin vor, dass sie den Eindruck gewonnen hat, er würde sich etwas in seinem Kopf ausdenken, dann jene Beispiele suchen, die ihm in dieses Konzept passen, um die ohnehin vorher schon feststehenden Gedanken nur noch zu bestätigen, alles, was sich in dieses Konzept nicht fügt, ausser acht lassend. Wohl gab es zu dieser Zeit heftige Debatten und intensive Auseinandersetzungen mit den marxistischen Strömungen, die Deutlichkeit, Unverblümtheit und intellektuelle Tiefe von Weils Kritik liess jedoch viele Menschen aufhorchen. Es war Teil ihrer Herangehensweise, den Verhältnissen, welche sie analytisch zu fassen vermochte, zunächst mit eigener Erfahrung zu begegnen. Sie beschäftigte sich primär mit dem Begriff der Freiheit in der Arbeitswelt, nicht jedoch, ohne jahrelange Erfahrung in der Fabriksarbeit gesammelt zu haben. Nach ihrer täglichen Arbeit in den Fabriken führte sie Tagebuchaufzeichnungen, um zu reflektieren, was die Installation dieser Arbeitsgestaltung für sie bedeutet hat. Lange bevor der Begriff der Technokratie in die Debatte eingeführt wurde, setzte sie sich mit jenen strukturellen Gewaltfaktoren auseinander, die dem technokratischen und bürokratischen Apparaten zugeordnet werden koennen. Betont wurde von Lou Marin ein Ausschnitt aus ihrer Sichtweise dem Seinsbegriff des Menschen gegenüber. Simone Weil verortet die Kategorisierung in "Gut" und "Böse" als Ausgangsbasis, die jene Grundbedingungen schafft, welche die Minderbewertung, Abwertung, Entwürdigung, Entmenschlichung und folglich jede Form von Gewaltanwendung, bis zu Folter und Massaker ermöglicht. Was Hannah Arendt sehr viel später mit der "Banalität des Bösen" bezeichnet hat, hatte Simone Weil bereits angedacht und formuliert. Wer soziales Leben auf Basis der Kategorisierung menschlicher Existenz betrachten möchte, nimmt Verurteilung in Kauf, begibt sich bereits auf ein Terrain, welches in letzter Konsequenz den "Herrenmenschen" schafft. Charles Jacquier (Hg.): Lebenserfahrung und Geistesarbeit Simone Weil und der Anarchismus Verlag Graswurzelrevolution 2006 380 Seiten, 24,80 EUR (D) ISBN 3-939045-04-7 |
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