Im Vorfeld des Prozesses hatten sich die staatlichen Instanzen redlich
bemüht, Zeugen für die terroristische Gesinnung Mohamed M.s zu finden.
Das mißlang, mit Ausnahme der beinah kompakten Gesinnungsgemeinschaft
der Geschworenen; was die Zeugen betraf, so endete es am 5. März mit
einem Knalleffekt.
Zeugen wurden unter Druck gesetzt
Als an dem Tag die Zeugen der Anklage aufgerufen wurden, darunter Haschem Haschem, horchte der ganze Gerichtssaal auf: Der Zeuge widerrief!
Er berichtete, seine bei der Polizei getätigten Aussagen würden nicht zutreffen, sie seien unter Druck entstanden. Das BVT habe seine Aussagen verdreht. Er sei außerdem vor kurzem ein weiteres Mal von einem BVT-Mann eingeschüchtert worden. Er habe keine Kontrolle über seine Äußerungen gehabt. Bei den Gesprächen mit Mohamed M. sei es um Frauen, und nicht um den Djihad gegangen.
Der Hauptangeklagte hatte bereits vor dem Prozeß die Aussagen des Haschem Haschem in Frage gestellt. Am 3. März, dem ersten Verhandlungstag, bemerkte der Hauptangeklagte: „Ich glaube, er wurde zu dieser Aussage vom BVT gezwungen so wie meine Frau auch“.
Wir bringen in der Folge die Aussagen des Zeugen wörtlich nach einer stenographischen Mitschrift?
Richter: Seit wann kennen Sie ihn? (sp, auch in der Folge (1))
H:. Ich kenne ihn, seitdem ich ganz jung bin.
R.: Mit acht Jahren. – Was hat er für Ansichten über den Djihad?
H.: Erstens: Wer sagt, dass ich diese Aussagen gemacht hab?
R.: Das ist ihre Aussage bei der Polizei.
H.: Ah so! Ich finde, das BVT ist verlogen.
R.: Sie können keine pauschalen Verdächtigen gegen eine österreichische Behörde …
H.: Das ist aber so!
R.: Ich kann ihnen nur den Tipp geben, vorsichtig zu sein. – Sie haben gesagt (das Gespräch ging über den Djihad).
H.: Ich habe über den Djihad gesprochen … . Das stimmt nicht! …
R. (H.?) Mahmoud hat den Djihad befürwortet. … Das stimmt nicht. Ich wurde unter Druck gesetzt (das nicht nur einmal (op) (2). Jetzt vor kurzem wieder, ein BVT-Beamter hat mich eingeschüchtert. (Da hat mich der Beamte von oben bis unten angeschaut (op)). Ich weiß nicht mehr, was ich geredet habe. Jetzt bin ich ich! (-op (3))
R.: Können Sie heute etwas über seine Ansichten sagen? Etwa zur Befürwortung von Selbstmordattentaten?
H.: (Er ist ein sehr guter Freund von mir. Ich kann das mit den Videos nicht glauben (op)). Wir haben meistens über Frauen gesprochen, sind essen gegangen, vom Djihad war nicht die Rede (-op). (Zum Richter:) Hören Sie mir eh zu? (-op)
R.: Hat er die Europameisterschaft-Anschläge vorbereitet? (-op)
H.: Ah so einer? Ich finde das lächerlich! (-op)
Damit endet die Befragung. Nachher erwähnt H. noch: Wie kann das sein, dass das BVT meine Aussagen einfach verdreht? (sp, -op)
Soweit die Aussagen des Haschem-Haschem. Wir meinen und spüren, dass die frische Jugendlichkeit der Sprache des Zeugen eher ein Indiz für ein hohes Maß an Plausibilität ist als eines für Verstellung.
Mit zwei weiteren Zeugenaussagen, der des Studenten Wilhelm Langthaler sowie des Bruders der Angeklagten konnten die Vorwürfe der Al-Qaida- bzw. Terrorismusnähe der Angeklagten glaubwürdig entkräftet werden. Diese Aussagen fanden aber offenbar weder in der schwach abwägenden Rechtskultur des Verhandlungsleiters noch im Terrorurteil der Geschworenen eine adäquate Berücksichtigung.
(1) sp: Stenographisches Protokoll von AuO (2) op: Offizielles Protokoll. Die in Klammer gesetzten Formulierungen stammen aus dem op. Das op weicht an etlichen Stellen von sp ab und bietet Vereinfachungen und Glättungen. Oft wird der wörtliche Charakter des sp, d. h. der Originalrede, nicht beibehalten. In zahlreichen Fällen ist das op auf eine manchmal vereinfachende, zumindest resümierende Version des Richters Gerstberger zurückzuführen, die er der Protokollantin verbal übermittelte, also auf sein Diktat. (3) -op: Im op nicht enthalten, oder daraus gelöscht. Bedeutet implicite, dass es nur in op aufscheint. Es wurden nur die charakteristischsten Abweichungen damit markiert, nicht sämtliche stilistischen und semantischen Nuancen oder Varianten.
Unter anderem folgende Formulierungen fanden also in das offizielle Protokoll keinen Eingang:
„Ich weiß nicht mehr, was ich geredet habe. Jetzt bin ich ich!“ „Wir haben meistens über Frauen gesprochen, sind essen gegangen, vom Djihad war nicht die Rede. … Hören Sie mir eh zu?“, sowie die Frage: „Hat er die Europameisterschaft-Anschläge vorbereitet?“ und die darauf folgende Antwort.
Zu Boden geschlagen, beim Verhör falsch informiert.
Was für eine Atmosphäre bei der österreichischen Polizei herrscht, erhellt auch aus der Aussage eines weiteren Zeugen, der ebenso wie Hashem Hashem am 5. 3. 2008 vernommen wurde. Es handelt sich um Umer Hussein, der von Mohamed M. in seine Strategie einer systematischen (auch kommerziellen) Verwertung seiner Medienkontakte eingeweiht wurde. Nachdem er darüber bei der Hauptverhandlung berichtet hat, wird er gefragt, wieso er dies heute das erste Mal erzähle.
Und er kommt mit einer charakteristischen Erklärung: "Damals, als ich verhaftet wurde, ist die Polizei bei mir zu Hause eingedrungen, hat mich zu Boden geworfen, hat mich mitgenommen, ich kam ins Gefängnis. Dann kam ich zur Einvernahme, die Polizisten haben mir gesagt, ich soll alles erzählen, was ich von ihm weiß. Ich habe begonnen, alles zu erzählen und dann sagten sie, das wäre nicht genug. Sie wandten ihre Methoden an. Sie sagten auch, er hat die ganze Zeit gegen mich ausgesagt. Ich habe geglaubt aufgrund der Vorhaltungen der Polizei, daß er mich belastet. ..." (op, 5. 3. 2008)
Daraus wird klar, daß bei den polizeilichen Verhören zumindest ein gewisses manipulatives Element vorhanden ist. Offenbar wurde ihm keine Luft gelassen, eine detaillierte und den Angeklagten entlastende Aussage zu machen.
Bei seinen Gesprächen mit Mohamed M. wurde auch das Problem der Selbstmordanschläge erwähnt, bei denen M. auch ein lumpenproletarisches Element ins Spiel führte. Oft seien es Straßenkinder, "die haben oft keine Ahnung, wofür sie kämpfen oder was sie da tun und was das für Folgen hat und schon gar nicht, ob das, islamisch gesehen, legitimierbar ist oder nicht." (op, 5. 3. 2008)
Das ist ein soziologisches Detail, das aber nicht unwesentlich ist und dessen Bestandsaufnahme für die Reife eines umsichtigen Beobachters zeugt. Was den Irak betrifft, so weiß jeder, der vor dem Krieg im Irak war, daß bereits damals eine beträchtliche Verarmung und Vernachlässigung dieser Straßenkinder zu beobachten war, daß aber mit dem Krieg Verarmung und Verrohung exponentiell anstiegen. Aus der durch den Krieg generierten Verelendung erscheint die Verwendung politisch unbewußter Desperados durchaus plausibel.
Die Äußerung Mohamed M.s stellt, abgesehen von der genauen Kenntnis der Situation, auch zweifelsfrei eine Distanzierung von der Ideologie und Praxis der Selbstmordanschläge dar, deren Akzeptanz bzw. Propagierung ihm vom Schnellrichter Gerstberger ja immer vorgeworfen wird.
Die einzig adäquate Behandlung eines kontroversen Themas besteht in dessen detailgetreuer und aufmerksamer Erörterung. Kann man sich aber vorstellen, daß in einer Atmosphäre des Drucks und der Bedrohung durch die österreichische Polizei ein solcher Diskurs möglich ist? Er wird unterbunden, und der Fall dieses Zeugen ist ein Beispiel dafür. Die späte Aussage geht natürlich nicht in die Bewertung des Richters und offenbar kaum in die der Geschworenen ein.
Ein Prozeß, der auf Manipulation und Druck aufgebaut ist, hat nichts Gesundes an sich, er hat schon eine tendenziöse, vorverurteilende Ausgangsrichtung.
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