"Mit dem Fund von ungefähr 4.000 Gräbern, in denen sich die sterblichen Überreste von 10.000 Menschen befinden könnten, wurde die abscheuliche Realität sichtbar, die die Operationen der Paramilitärs in weiten Teilen des Landes hinterlassen haben", so Iván Cepeda von der kolumbianischen Bewegung von Opfern des Staates.
Tatsächlich waren die meisten der 760 Leichen, die zwischen April 2006 und Juni 2007 von der kolumbianischen Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen der Operation "Würde II" ausgegraben wurden, gevierteilt und wiesen damit auf eine der grauenhaften und skrupellosen Methoden hin, die von den rechtsextremen Vereinten Selbstverteidigungs- gruppen Kolumbiens AUC in den letzten 20 Jahren in ihrem Kampf um Erlangung und Ausbau politischer, sozialer und wirtschaftlicher Macht in verschiedenen Regionen des Landes angewendet wurden.
"Die Paramilitärs haben den Kampf um die Macht etwa um 1985 aufgenommen. Erster Schritt ihrer Strategie war, sich durch Massaker und andere Gräueltaten Tausende Hektar der besten Ländereien Kolumbiens anzueignen. Sie hinterließen dabei 14.000 Tote und drei Millionen Vertriebene", versichert Gustavo Petro, Senatsabgeordneter der oppositionellen Partei Alternativer Demokratischer Pol (PDA.) Einem 2005 von der Aufsichtsbehörde für Verteidigung, Justiz und Sicherheit erarbeiteten Papier zufolge haben Paramilitärs und Drogenhändler bis zu einer Million Hektar Land an sich gerissen. Das entspricht 2,8 Prozent des gesamten kolumbianischen Territoriums und fünf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die Gewaltherrschaft der AUC in vielen Regionen des Landes, "oft unter Komplizenschaft der Militärs", wie Petro betont, beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Aneignung von Grund und Boden.
Die Klüngelei zwischen Politikern und den AUC, das Verschieben von Posten und öffentlichen Geldern gerieten im Februar dieses Jahres in die Schlagzeilen, als die Strafkammer des Obersten Gerichtshofs die Verhaftung von sechs Kongressabgeordneten aufgrund derer Verbindungen zu den Paramilitärs angeordnet hatte. Die neun Richter der Strafkammer enthüllten dabei in einem 76-seitigen Dossier, wie Rodrigo Tovar alias "Jorge 40", Chef des Nord-Blocks der AUC, einen detaillierten Plan entworfen hatte, um sich an der kolumbianischen Karibikküste "politische Wirkungsmöglichkeiten zu eröffnen, seinen Einflussbereich auszudehnen, Finanzierung zu beschaffen und Fürsprecher in den staatlichen Entscheidungsinstanzen zu gewinnen." In den darauffolgenden Monaten ermittelte das Gericht in den Fällen von Politikern aus den Departements Magdalena, Bolívar, Sucre und Antioquia. Damit befinden sich inzwischen zwölf Politiker aufgrund des so genannten "Skandals der Para-Politik" in Haft. Die meisten Beschuldigten gehören Parteien der Koalition an, die Präsident Álvaro Uribe unterstützt.
Die Festnahmen scheinen Vicente Castaño, einem Kommandanten der Paramilitärs, Recht zu geben, der im Mai 2005 gegenüber der kolumbianischen Wochenzeitschrift "Semana" erklärt hatte, 35 Prozent der Parlamentarier sympathisierten mit den AUC. Die Ermittlungen könnten sogar bald die Worte von Vizepräsident Francisco Santos bestätigen, nach dessen Vorhersage "30 bis 40 Parlamentarier wegen der Parapolitik hinter Gittern landen" würden.
Durch das Bündnis mit den Politikern war es den Paramilitärs auch möglich, den öffentlichen Haushalt anzuzapfen. Ein im Oktober letzten Jahres von der Staatsanwaltschaft veröffentlichter Bericht deckt auf, dass sich die Paramilitärs in drei Departements Kolumbiens – Atlántico, Magdalena und Bolívar – mindestens zehn Prozent der von den Kommunal- und Regionalverwaltungen sowie Krankenhäusern vergebenen Aufträge und sogar staatliche Mittel von öffentlichen Dienstleistern angeeignet haben. Gemeinden wie zum Beispiel Soledad im Departement Atlántico befanden sich unter Kontrolle der Paramilitärs. Man fand einen Einnahme-Ausgaben-Bericht des Frauen- und Kinderkrankenhauses von Soledad, das der Staatsanwaltschaft zufolge die "Portokasse" der Paramilitärs gewesen sei. In dem Bericht wird versichert, dass die AUC zehn Prozent der Auftragssumme von allen Verträgen mehrerer Gemeinden an der Karibikküste kassierten. Außerdem hätten sie eine Scheinfirma gegründet, um 1,5 Milliarden Peso (ca. 628.000 US-Dollar) aus dem Haushalt der Gemeindeverwaltung von Sabanagrande im Departement Antioquia abzuzweigen.
Die Paramilitärs zögerten auch nicht, sich mit multinationalen Unternehmen zu verbünden, die den Ausbau ihrer militärischen Stärke finanziell unterstützten. Der ehemalige Kommandant der Paramilitärs Salvatore Mancuso erklärte Mitte Mai den Richtern der Stadt Medellín, dass "alle Bananenunternehmen im Departement Urabá [den AUC] einen Dollar pro exportierter Kiste Bananen" gezahlt hätten. Offensichtlich ermordeten die Paramilitärs als Gegenleistung Gewerkschaftsführer, die diesen Unternehmen lästig waren.
Gegenwärtig steht im US-Bundesstaat Alabama der US-amerikanische Bergbaukonzern Drummond Company Inc. vor Gericht, weil er vermutlich im Jahr 2001 paramilitärische Todesschwadronen bezahlt hat, um die Gewerkschafter Valmore Locarno Rodríguez, Víctor Hugo Orcasita und Gustavo Soler Mora umbringen zu lassen. Ebenso wurde die Firma Coca Cola von der Gewerkschaft der Beschäftigten in der Nahrungsmittelindustrie Sinaltrainal beschuldigt, mit den Paramilitärs zusammengearbeitet zu haben, um zwischen 1995 und 1996 sieben Gewerkschafter umbringen zu lassen. Nicht einmal der Fußball war vor der Infiltration durch die Paramilitärs sicher. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen vermutlicher Finanzspritzen für kolumbianische Fußballmannschaften der ersten, zweiten und dritten Liga sowie wegen des Kaufs mehrerer Spieler mit aus dem Paramilitarismus stammenden Geldern.
Nach Angaben der Nationalen Kommission für Entschädigung und Versöhnung CNRR warten derzeit über 30.000 Opfer darauf, dass die 58 im Rahmen des 2005 beschlossenen Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden demobilisierten Kommandanten der Paramilitärs, die schon mit ihren Aussagen vor Gericht begonnen haben, dem Land die Wahrheit sagen, dass ihnen die Regierung ihre verlorenen Ländereien wiedergibt und dass man ihnen vor allem mitteilt, wo sich die Überreste ihrer geliebten Angehörigen befinden.
Susan Abad, poonal Nr. 775
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