Samstag, 24. Januar 2009
 
Gegenwind für prekäre Arbeitszeiten in Europa PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von KSÖ   
Mittwoch, 15. Oktober 2008

WissenschaftlerInnen bei Enquete im Sozialministerium: Zeit gilt als wertvolles Gut. Solo-UnternehmerInnen sehen ihre Zeitautonomie ambivalent. In Polen wurden zwölf Feiertage eingeführt - jetzt soll der Handel an Sonntagen eingeschränkt werden.

Der Trend zu prekärer Arbeits- und Lebenszeit stand im Mittelpunkt einer Enquete im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Konsumentenschutz am 14.10.2008, veranstaltet von der "Allianz für den freien Sonntag Österreich" in Zusammenarbeit mit dem BMSK. Teilgenommen hatten 120 Personen, darunter auch zahlreiche VertreterInnen aus Deutschland, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Polen und Kroatien aus den Bereichen Wissenschaft, Gewerkschaft, Kirchen und Zivilgesellschaft.

Bundesminister Erwin Buchinger unterstrich in seiner Begrüßung, dass gerade angesichts der Krisensituation wieder die Menschen verstärkt in den Mittelpunkt kommen müssen. Bischof Ludwig Schwarz betonte, dass der freie Sonntag in Österreich einen hohen Stellenwert hat und diesem ein  besonderer Wert für menschengerechtes Wirtschaften zukommt. Franz Georg Brantner von der gpa djp unterstrich die Bedeutung der Vernetzung im europäischen Kontext im Kampf für soziale Arbeitszeiten.

Der deutsche Zeitforscher Jürgen Rinderspacher (Sozialwissenschaftliches Institut der Evangelischen Kirchen Deutschland) erklärte in seinem Referat, dass es zu weiteren Verschiebungen in der Zeit-Architektur kommen werde und "zeitliche Areale der Nicht-Arbeit" zunehmend gefährdet sind. Erkennbar sind solche Areale an den Zuschlägen, die an diejenigen zu zahlen sind, die zu "unsocial times" wie Abend, Nacht, Samstag oder Sonntag arbeiten müssen.

Einerseits gebe es kommerzielle Interessen, die eine Bewirtschaftung sämtlicher Zeiten verlangen und diese Entwicklung vorantreiben, es gebe aber auch gesellschaftliche Entwicklungen, die die Änderungen erforderlich machen, so werden künftig vermehrte Pflegeangebote zu allen Zeiten erforderlich sein. Andererseits würden es vollautomatisierte Fabriken künftig erlauben, zu Zeiten zu produzieren, die für Menschen "unsoziale Zeiten" sind und zu denen die Maschinen deshalb stillstehen. Das Internet macht Druck in Richtung einer Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft.

Gleichzeitig haben Wochenende und freier Sonntag hohe Attraktivitätswerte. Denn neben dem materiellen Wohlstand gilt für die Menschen Zeit(wohlstand) als wertvolles Gut. Und an keinem anderen Tag ist das Ausmaß an verfügbarer Zeit so hoch wie am Wochenende.

Die Arbeitssoziologin Johanna Muckenhuber vom IHS (Inst. für Höhere Studien) präsentierte Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Solo-UnternehmerInnen. Die Erfahrungen der Befragten sind dabei in hohem Ausmaß ambivalent. Solche selbständigen Beschäftigungen gehen einher mit einem hohen Gefühl, über die eigene Zeit autonom verfügen zu können. Tatsächlich fühlen sich die Befragten aber auch in hohem Ausmaß getrieben von der Notwendigkeit, Projekte abzuschließen, neue Aufträge zu akquirieren oder einfach im Geschäft zu bleiben. Dies führt häufig dazu, dass aufgrund des Wettbewerbs sehr niedrige Stundensätze angeboten werden, es zu einem fortwährenden Dumping-Prozess kommt und damit die Zeitsouveränität tatsächlich oft sehr eingeschränkt ist.

Muckenhuber betonte auch, dass Erwerbsarbeit immer im Kontext mit anderen Verpflichtungen (z.B. Reproduktion) zu sehen sei. So gesehen, ist der freie Sonntag bisher immer sehr stark männlich konnotiert und bedeutet bisher nicht automatisch einen Zugewinn an Zeitsouveränität für Frauen.

Alfred Bujara von der polnischen Gewerkschaft "Solidarnosc" präsentierte die am 1. Februar 2008 gegründet Allianz für den freien Sonntag Polen. Die Solidarnosc hat sich schon seit Längerem für Sonn- und Feiertage eingesetzt. Gemeinsame Aktionen im Handel haben schließlich dazu geführt, dass 2007 der Gesetzgeber beschlossen hat, 12 Feiertage im Jahr für ArbeitnehmerInnen einzuführen. "Beflügelt" durch diesen Erfolg wurde heuer eine Allianz für den Freien Sonntag gegründet, die letztlich ein Handelsverbot am Sonntag erreichen will. In einem ersten Schritt soll ein Gesetzesentwurf für die Einschränkung der Sonntagsarbeit eingebracht werden. Mehr als 75% der Bevölkerung befürworten heute- so Bujara - den arbeitsfreien Sonntag im Handel, nachdem die Menschen gesehen haben, dass die Feiertage trotz eines liberalen Wirtschaftsklimas und trotz des Drucks der multinationalen Konzerne erkämpft werden konnten.

Hannes Kreller von der "Allianz für den freien Sonntag Deutschland" berichtete, wie die Allianz kontinuierlich in den Regionen und Gemeinden Fuß fasst. Allein in Bayern gibt es bereits rund zwei Dutzend kommunale Sonntags-Allianzen. Im Zuge der Bayerischen Landtagswahl wurden sämtliche Abgeordnete zu ihrer Position zum freien Sonntag befragt. Kreller wies auf die Entwicklungen im Bereich prekärer Arbeit in Deutschland hin. Seit 1991 hat sich der Anteil der Beschäftigten zu allen atypischen Zeiten (Abend, Nacht, Samstag, Sonntag) stark erhöht. Der Anteil derer, die regelmäßig am Sonntag arbeiten müssen, ist von 20,7% (1991) auf 28,2% (2006) angestiegen. Ziel der Allianz in Deutschland ist es u. a., eine bundeseinheitliche Regelung der Öffnungszeiten herbeizuführen, um den Wettbewerb zwischen den Ländern einzudämmen.

Gemeinsam haben die Allianzen für den freien Sonntag Deutschland, Polen und Österreich eine Resolution zur Aufnahme des freien Sonntags in die EU-Arbeitszeitrichtlinie verfasst, die bei der Enquete vorgestellt und von 100 TeilnehmerInnen unterzeichnet wurde. Die Argumentation lautet, dass der freie Sonntag eine wichtige gemeinsame Pause ist, die einen besonderen Beitrag zur Gesundheit der Menschen leistet.

Der Allianz für den freien Sonntag Österreich gehören über 50 Organisationen aus den Bereichen Kirchen, Wirtschaft, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen an.

Unterlagen zur Enquete: www.freiersonntag.at

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