Samstag, 24. Januar 2009
 
Sex sells! PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Bernhard Redl   
Donnerstag, 8. Mai 2008

Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von den Amstettner Ereignissen sprechen?

“Der Inzestfall von Amstetten” — die derzeit so heftig reportierte Geschichte wird am liebsten mit diesem Ausdruck etikettiert. Und niemand störts, denn der common sense scheint dies als den zentralen Inhalt der schaurigen Saga zu sehen. Erst in zweiter Linie kommen dann Nötigung, Freiheitsberaubung und Vergewaltigung vor, denn als das eigentliche Verbrechen wird angesehen — so läßt sich aus der Wortwahl schließen —, daß da ein Vater mit seiner Tochter Sex gehabt haben soll.

Tatsächlich kennt nicht nur die veröffentlichte Meinung, sondern auch das Strafgesetzbuch immer noch einen Tatbestand der “Blutschande” (§211 StGB). Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um Vergewaltigung, Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses oder andere Gewaltdelikte, denn dafür gibt es andere Paragraphen. Nichtmal der Schutz des etwas anrüchigen Rechtsgutes der “Erbgesundheit” ist hier relevant, es geht einfach nur um etwas, was man früher wohl “Widernatürlichkeit” genannt hatte. Denn selbst wenn Bruder und Schwester, beide volljährig, gleichberechtigt und einvernehmlich sich vergnügen und sogar auf Schwangerschaftsverhütung achten, scheissen Staat und Gesellschaft auf die sexuelle Selbstbestimmung und fordern Haftstrafen.

Neben einer prinzipiell nicht verzeihen wollenden Selbstgerechtigkeit ist es genau diese bigotte Sexualfeindlichkeit, die das Geschrei danach prägt, Sexualstraftäter auf Lebenszeit gesellschaftlich zu vernichten. Es geht nicht darum, ob sie Gewalttäter sind, es geht um die sexuelle Konnotation. Natürlich kann man sagen, daß ein “Triebtäter” besser beobachtet werden solle als ein “normaler” Gewalttäter. Aber ist das dann nicht einfach nur das liberal-bürgerliche Deckmäntelchen für einen prinzipiellen Willen zur Kriminalisierung jeder ungewünschten Sexualität? Um diesen Willen durchzusetzen, amalgamiert man die Begriffe Sex und Gewalt unter Zuhilfenahme solcher tatsächlich grauslichen Verbrechen. 2004 titelte die Kronenzeitung einmal: “Sex-Skandal in der US-Armee!” Das klingt ja einfach so schön deftig. Dabei ging es in der Geschichte gar nicht um Sex! Es ging nicht darum, daß Soldat und Soldatin miteinander Spaß gehabt hätten, sondern um den Verdacht häufig vorkommender Vergewaltigungen. Gewalt aber reicht immer noch nicht für einen Skandal, es muß schon Sex sein!

Nach wie vor ist gesellschaftlich nicht kontrollierter Sex trotz aller Aufklärung eine unheimliche Sache. Gerade deswegen läßt sich auch der Amstettner Fall noch besser verkaufen als die Causa Kampusch — eben, weil Sex da nicht das Thema war. Sex sells, kann man da nur sagen; die Berichterstattung über Amstetten ist wie ein Splattermovie, wo es auch ganz wichtig ist, daß die Darstellerin mit zerrissenen Klamotten und daher halbnacktem Busen vor dem finsteren Unhold flüchtet. Es ist eine Story, bei der es sich so richtig behaglich gruseln läßt. Sex and Crime! Im Amstettner Fall wächst so zusammen, was der spießbürgerlichen Meinung nach zusammengehört.

Umgekehrt wird aber auch ein Schuh daraus. Denn durch die sexuelle Komponente des Falls kann man wieder wunderbar bei einer einzelnen Gruppe von Straftätern inquisitorische Maßnahmen fordern und auch durchsetzen. Später dann, wenn man auch bei anderen Delinquenten die ewige Verdammnis im finstersten Verlies haben möchte, tut man sich da schon um einiges leichter.

Im Fall von Amstetten geht es um Vergewaltigung und Freiheitsberaubung in extremer Form. Wer aber vom “Inzest-Fall” redet, muß sich die Frage gefallen lassen, welches Weltbild da eigentlich noch in seinem Kopf rumspukt.

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