Samstag, 24. Januar 2009
 
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Attac   
Montag, 14. Mai 2007

In einem Interview mit der deutschen Boulevardzeitung Bild hat Alfred Gusenbauer die Steuerpolitik der ÖVP gepriesen und sozialdemokratische Positionen spektakulär über Bord geworfen. Attac kristisiert in einem offenen Brief die Analyse des Kanzlers und fordert eine solidarische Steuerpolitik ein.

Offener Brief von Attac Österreich an Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer

Betreff: Interview in der Bild-Zeitung zum Thema Steuerwettbewerb

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Im Interview mit der deutschen BILD-Zeitung formulierten Sie den Satz: "Steuern runter macht Österreich munter -- und sicher auch Deutschland." Dass Steuersenkungen ein Land "munter" machen, stimmt weder in der allgemeinen Form noch für den Fall Österreich oder Deutschland. Das aktuelle "Munterwerden" Österreichs ist in erster Linie auf die globale Konjunktur zurückzuführen und nicht auf die Senkung der Körperschaftssteuer. Die Ursache für das Ansteigen der Einnahmen aus dem Titel der Körperschaftssteuer - trotz und nicht wegen der Senkung - sind die sehr stark steigenden Gewinne der österreichischen Kapitalgesellschaften (vor allem aus dem Ostgeschäft) sowie das anziehende Wirtschaftswachstum. Befänden wir uns in einer Abschwungphase, würden die KÖSt-Einnahmen noch stärker sinken. Die Freude über das Ansteigen der KÖSt-Einnahmen ist daher wie die einer Partei über leichten Stimmenzuwachs, während die Wahlbevölkerung sich nahezu verdoppelt hat.

Länder mit höheren Steuer- und Abgabenquoten -- zum Beispiel Schweden oder Dänemark -- sind nicht "schläfrig", sondern sie verzeichnen Budgetüberschüsse bei besseren Sozial- und Wirtschaftsdaten als Österreich. Deutschland wiederum hat bereits eine radikale Absenkung der Steuerquote hinter sich, mit sichtbaren Auswirkungen: starker Anstieg der Armut und radikaler Abfall der öffentlichen Investitionen: Die deutschen Städte und Kommunen investierten 2006 um 40% weniger als noch 1992.

Was uns aber vor allem stört, ist nicht Ihre irreführende Analyse, sondern dass Sie gleich mehrere unsolidarische und sozial ungerechte Maßnahmen verteidigen: Die Senkung der Körperschaftssteuer geschah nicht aus Gerechtigkeitsgründen, sondern um profitable Unternehmen weiter zu entlasten und um Betriebe aus Deutschland wegzulocken. Damit wird das Prinzip der nationalen und internationalen Solidarität gebrochen. Österreichs Vorausgang im Steuer- und Standortwettbewerb macht Druck auf alle anderen Länder nachzuziehen, wodurch die Besteuerung von Unternehmen langfristig irrelevant wird. Sie haben mit keinem Wort den Steuerwettbewerb in Frage gestellt, sondern diesen prominent legitimiert.

Dass Sie auch das passive Auslaufenlassen der Erbschaftssteuer positiv darstellen und sogar zum Anlass nehmen, deutsche StaatsbürgerInnen zur Steuervermeidung einzuladen, passt zum obigen Bild und lässt uns fragen, ob die österreichische Bundesregierung für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit steht oder für die Protektion von Besitzstandwahrern und das wechselseitige Abgraben der Steuerbasis in der EU.

Wenn alle Länder ihrem Beispiel folgen, dann werden Erbschaften, Vermögen und bald auch Unternehmensgewinne gar nicht mehr zur Finanzierung von Schulen, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern beitragen. Es droht die weitere Verlagerung der Steuerlast auf den Mittelstand und die zusätzliche Belastung einkommensschwächerer Gruppen durch Einsparungen im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereich. Die Fortführung einer solchen Politik gefährdet den sozialen Zusammenhalt in Österreich und die Europäische Integration. "Steuern runter" aus Prinzip macht jeden Staat runter.

Wir würden es begrüßen, wenn Sie in Zukunft prominente Interviews in europäischen Zeitungen und ihr Gewicht als Bundeskanzler für folgende Forderungen nützen:

* Ende des Standortwettbewerbs innerhalb der EU, insbesondere des Steuerwettbewerbs. Hohe Mindeststeuersätze für Unternehmen, zumindest Korridormodell (mit der Wirtschaftsleistung steigt der Mindeststeuersatz).

* Ausweitung der Zinsrichtlinie auf juristische Personen und alle Kapitaleinkommen. Alle EU-Länder sollen vom Quellenbesteuerungsprinzip zum Auskunftsprinzip wechseln, damit glaubwürdiger Druck auf das Bankgeheimnis von Drittländern, vor allem die Schweiz, ausgeübt werden kann.

* Globale Steuern, um die Globalisierungsgewinner in die soziale Verantwortung zu ziehen und um EU-Integration und Weltwirtschaft sozial und ökologisch zu steuern.


Mit solidarischen Grüßen
Attac Österreich

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