Samstag, 24. Januar 2009
 
Fit und nett in die Diktatur PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Bernhard Redl   
Mittwoch, 30. April 2008

Die Obrigkeit will uns ja nur beschützen. Doch wie können wir uns vor der Obrigkeit schützen? Eine gesellschaftliche Apokalypse nach Bernhard Redl.

In Frankreich soll demnächst ein Gesetz gegen “Anstiftung zur Magersucht” verabschiedet werden. So sehr die Kritik am Schlankheitsterror berechtigt ist — da dieser nicht nur in der Model-Branche immer häufiger zu gesundheitsschädigenden Auswirkungen bis hin zum Tod führt —, aber ist ein Strafgesetz da sinnvoll? Muß eine total verrückte gesellschaftliche Norm mit Gefängnisdrohung bekämpft werden? Und ist es da auch legitim, das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken? Immerhin sollen damit ja nicht nur Model-Manager, sondern auch Homepages, die Anorexie “verherrlichen” kriminalisiert werden.

Besonders seltsam erscheint dieses Gesetz aber, wenn man bedenkt, daß die UN-”Weltgesundheitsorganisation” WHO ihrerseits den Kampf gegen die Fettleibigkeit angesagt hat: Der Body Mass Index laut WHO ist so gestaltet, das schätzungsweise 90% der Bevölkerung zumindest Europas und der USA als übergewichtig eingestuft werden. Ich bin 1,72m groß und wiege etwas über 80kg — daher bin ich übergewichtig. Mein Idealgewicht läge laut BMI zwischen 55 und 74 kg. Einmal abgesehen davon, daß die Pariser WHO-Niederlassung wohl als erste von obgenanntem Gesetz betroffen wäre (mit 55 kg bei 1,72m würde man bei der kleinsten Bewegung von mir meine Knochen scheppern hören), wird so eines klar: Egal, welches Gewicht ich habe, ich müßte mich schlecht fühlen, würde ich den gesammelten Autoritäten folgen — mit welchem Gewicht ich mich wohl fühlen würde ohne jede Vorschrift, interessiert niemanden. Denn das Gesetz gegen Anorexieverherrlichung, die Vorstellungen der WHO und der Schlankheitsterror von Modelmachern haben nämlich eins gemeinsam: Sie wissen alle ganz genau, wie “schöne” oder “gesunde” Körper auszusehen haben, und erheben ihre Vorstellungen zur Norm.

Schlecht fühlen muß ich mich auch, weil ich rauche und nicht nur mich selbst (quasi als Sakrileg am Tempel meines Körpers), sondern auch meine Mitmenschen mit meinem Passivrauch vergifte und weil ich saufe und meine Mitmenschen durch “Passivtrinken” schädige — im Ernst, dieser Begriff, der 2002 noch als Satire im britischen “Daily Telegraph” auftauchte, ist mittlerweile im angelsächsischen Raum in einem ganz ernsthaften Sinn gebräuchlich. Da geht es beispielsweise um betrunkene Autofahrer, die andere gefährden. Nicht das Auto tötet den Passanten, nein, es ist der Alkohol! Auch die Zunahme an häuslicher Gewalt unter Alkoholeinfluß muß da herhalten. Die inneren Konflikte, die latente Gewaltbereitschaft des Täters, die Frustration in einer immer brutaler werdenden Gesellschaft? Egal, der Alkohol ist schuld, das ist die einfachste Lösung. Da kommt der Popanz der “komasaufenden Jugendlichen” ganz recht! Überhaupt: Wer muß denn Alkohol trinken? Wer muß denn rauchen? Man kann doch auch so lustig sein! Aber bitte nicht zu laut!

Apropos laut: Es wundert mich, daß die Warnung vor “Passivtelefonieren” noch nicht aufgetaucht ist — denn das Handyverbot in der Grazer Tramway ist genau das. Natürlich will man nicht immer die Liebesprobleme oder die Einkaufsliste der Sitznachbarn mitanhören, aber muß man gleich jede auch noch so läppische Ärgerlichkeit verbieten? Vor allem dann, wenn sie doch nur Ausdruck von Lebendigkeit ist? Wenn ich dann noch das Jammern über die Spaßgesellschaft höre...!  Sehr witzig — welcher Spaß?

1984?

Das alles ist aber auch im Kontext zu sehen mit dem Überwachungswahn. Meint da wer, dies sei an den Haaren herbeigeholt? Nunja, was hätten wir denn da — nur ein Auszug aus den Schlagzeilen der letzten Wochen: Online-Durchsuchung, Videoüberwachung an Schulen, Fingerabdrücke im Reisepaß, jederzeitige Ortung durch die Polizei via Handy. George Orwell kann man wirklich nur vorwerfen, daß er seinen Roman “1984” nannte. Er hätte ihn “2018” nennen sollen, denn wenn wir nicht aufpassen, haben wir in zehn Jahren die Televisoren in unseren Wohnungen und sind gechipt wie jetzt schon unsere Haustiere. Schutz der Intimsphäre wird es dann nur für Spitzenpolitiker, Generaldirektoren und Polizisten geben.

Das, so wird uns heute schon erklärt, dient alles nur unserem Schutz — das Recht, nicht überall gefilmt zu werden, ist genauso eine bürgerliche Freiheit wie das Recht, hie und da Spaß zu haben, selbst wenn er nicht ganz gesund sein sollte. Aber bürgerliche Freiheit ist ein abstraktes Gut, wir haben vergessen, wie wichtig es ist und daß es auch erst einmal erkämpft werden mußte. Und wir haben vergessen, daß einmal gewonnene Freiheiten immer wieder aufs Neue erkämpft werden müssen, wenn wir sie behalten wollen. Wir halten diese Freiheiten für selbstverständlich und ganz langsam (in den letzten Jahren nur ein wenig beschleunigt durch 9/11) kommen sie uns abhanden. Vor zehn Jahren noch hätten wir das obligatorische Abgeben von Fingerabdrücken beim Beantragen eines Passes noch als das qualifiziert, was es tatsächlich ist: Als faschistische Scheisse! Heute regt uns das kaum mehr auf.

Dem Willen zur Freiheit steht uns als Gegner nicht nur unsere eigene Faulheit gegenüber, sondern als Folge eines Paradigmenwechsels auch die Vorstellung, daß die gesamte Gesellschaft wie ein preussisches Waisenhaus im 19.Jahrhundert zu führen ist: Zucht und Ordnung zum Wohle der Zöglinge und wer beim Rauchen erwischt wird, wird bestraft.

Wir sind am besten Weg in eine Gesellschaft, die den Horrorvorstellungen der Überwachung aus “1984” oder der Prädestination wie in Huxleys “Brave New World” schon recht nahe kommt. Auch Thomas Morus “Utopia” kommt einem da in den Sinn, das, wenngleich als Positivbild verstanden, auch nichts anderes war als die Vorstellung von einem autoritären Obrigkeitsstaat.

Doch am besten wurde das, was uns dräut, im 1993 entstandenen Hollywood-Film “Demolition Man” beschrieben: Eine nette Gesellschaft ohne Kriminalität, weil die totale Überwachung existiert, und in der man Strafzettel für das Verwenden von Flüchen oder Fäkalausdrücken bekommt. Sex gibt es, um Ansteckungsgefahren zu vermeiden, nur mehr virtuell, und Alkohol, Nikotin sowie fleischliche Nahrung sind genauso verboten wie Rockmusik.

Der neue Faschismus kommt nicht von ein paar Trotteln, die mit Hakenkreuzbinde herumlaufen — die dienen höchstens zur Ablenkung. Der neue Faschismus will uns nur beschützen und wir, die wir in einer Welt leben, in der auch in Mitteleuropa soziale Sicherheit immer weniger vorhanden ist, greifen begierig nach diesem Schutzangebot und lassen uns von unseren weisen Oberhäuptern in den Schlaf singen. Genau um das zu verdeutlichen, habe ich mit dem scheinbar harmlosen Beispiel über die Gewichtsnormen meinen Text begonnen — nur um uns vor gesundheitlichen Gefahren zu beschützen, werden da unsere Körper zugerichtet. In einem anderen Kontext wäre diese Angelegenheit höchstens ärgerlich. Im Kontext aber einer immer rigider, da ängstlicher werdenden Gesellschaft, die sich eine allmächtige Obrigkeit herbeisehnt, die alles regelt, um uns die perfekte Welt zu schaffen, darf man schon damit beginnen, sich zu fürchten.

In einer solchen Welt hat auch Spaß keinen Platz. Denn der Spaß, wenn man spürt, daß man lebt, ist zutiefst subversiv. Da merkt das Individuum, daß es eines ist, und daß es mehr gibt, als der gute Geschmack und das gesunde Volksempfinden zulassen möchten — und daß ein Leben vor dem Tod vielleicht doch möglich ist. Spaß ist, wenn dieses Wesen, Mensch geheißen, begreift, daß Leben mehr ist als Unterhaltungskonsum à la “panem et circenses”, sondern daß man auch selber mal laut werden muß — auch nach 22 Uhr!

Dieser Spaß soll uns verdorben werden. Wir sollen gut beschützte Arbeitsameisen werden. Denn wenn wir jetzt nicht doch noch aufwachen, werden wir uns im totalen Staat wiederfinden. Dann kommen die Zöpfe wieder und die Spießbürger regieren. Dahin führt der Weg. Ich übertreibe? Vielleicht! Vielleicht kann ich in 10 Jahren über meinen heutigen Alarmismus lachen. Es ist zu hoffen.

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