(npl).- In Rio de Janeiro wächst die Angst vor paramilitärischen Milizen. Diese bewaffneten Gruppen, die aus ehemaligen Polizisten, privaten Sicherheitsleuten und Militärs bestehen sollen, tauchen zumeist in Armenviertel auf, die zuvor vom Drogenhandel dominiert wurden. Die Stadtverwaltung ist darüber nicht unglücklich.
Für die Bewohner der Favelas bedeutet solch ein Regimewechsel keinerlei Fortschritt. Zwar gibt es in den betroffenen Viertel weniger Schießereien zwischen rivalisierenden Banden oder der Polizei, dafür sind sie aber der Willkür der Milizen, genannt "Policia Mineira", ausgeliefert, die ihr Geld nicht mit Drogenverkauf, sondern Mafiamethoden verdienen: Sie kassieren Schutzgelder und Gebühren. Wer nicht zahlen kann oder will, wird bedroht oder gewalttätig bestraft.
Informationen der Sicherheitsbehörden von Rio de Janeiro zufolge ist die Zahl der Favelas, die von solchen paramilitärischen Milizen kontrolliert werden, in den letzten 20 Monaten von 42 auf 92 gestiegen. Eine vor kurzem abgeschlossene Untersuchung der Stadtregierung weist darauf hin, dass es sich bei dem Phänomen tatsächlich um eine Parallelmacht handelt: Involviert seien nicht nur ehemalige und aktive Sicherheitskräfte, sondern auch Politiker und lokale Akteure. Natürlich seien die Milizen ebenso auf die Unterstützung von Teilen der Bewohner angewiesen, führt der Bericht aus.
Über die Existenz dieser Milizen in Rio wird seit gut eineinhalb Jahren spekuliert, auch wenn es bisher nur wenig überprüfbare Informationen gibt. Die Rede ist von schwarz gekleideten, gut bewaffneten Männern, die an zentralen Punkten der armen, oft schwer zugänglichen Stadtviertel patrouillieren. Oft sollen auch Anwohner unter ihnen sein. Laut Zeitungsberichten kassieren sie von jedem Bewohner monatlich 15 Reais (rund 5 Euro) Schutzgeld. Geschäfte sollen nochmal 10 Reais zahlen, und für Gasflaschen, die selbst organisierten Transportmittel und sogar für das illegale Anzapfen von Kabelfernsehen soll Geld erpresst werden.
Aus Sicht des Soziologen und Gewaltexperten Inácio Cano agieren die Milizen auf gleicher Basis wie die Drogenbanden, die sie vertrieben haben: "Was sich ändert, ist lediglich die Herkunft der Gewinne. Die Bewohner stehen nach wie vor unter Zwang, wer nicht zahlt oder eine Regel nicht beachtet, erleidet Repressalien," erklärte Cano gegenüber der Tageszeitung "O Globo". Die Milizen seien jedoch noch schwieriger zu bekämpfen als die Drogenbanden, "da sie selbst innerhalb des Polizeiapparates agieren", ergänzt der Soziologe, der als Forscher über Polizeigewalt in Brasilien international bekannt wurde.
Ein möglicher Grund für das Aufkommen der Milizen wird darin gesehen, dass der Drogenhandel in Rio de Janeiro in den vergangenen Jahren immer weniger lukrativ geworden ist. Damit sinken auch die Summen, mit denen sich die Drogenbanden das Stillhalten oder die friedliche Teilhabe der jeweiligen Polizeieinheiten erkaufen. "Sie (die Milizen) vertreiben die Drogenhändler und suchen nach neuen lohnenden Geschäften, wobei sie zugleich die Macht in dem Gebiet übernehmen," resümiert Inácio Cano.
Politisch brisant ist in diesem Kontext die Haltung des Bürgermeisters von Rio de Janeiro, Cesar Maia. Der konservative Politiker bezeichnete die paramilitärischen Gruppen unlängst als "Selbstverteidigung der Stadtviertel" und hielt sie sogar für "das viel kleinere Übel" im Vergleich zum Drogenhandel. Jetzt wird in der lokalen Presse spekuliert, inwiefern das Auftauchen der Milizen von der Stadtverwaltung nicht geradezu herbeigesehnt worden ist.
Im Juli kommenden Jahres beherbergt die Stadt unter dem Zuckerhut die Panamerikanischen Spiele, wobei in Sachen Logistik und Sicherheit der Teilnehmer bis heute viele Fragezeichen existieren. Ist es Zufall, so wird gefragt, dass just im weitläufigen Westen der Stadt, dort wo die PAN2007 stattfinden werden, die Milizen besonders aktiv sind und außer der berühmten Cidade de Deus (City of God) bereits alle größeren Favelas kontrollieren? |