Erstmals in der argentinischen Geschichte klagt eine Tochter verschleppter Oppositioneller gegen ihre „Adoptiveltern“.
Während der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) wurden in der Haft geborene Kinder von verschleppten Frauen systematisch an kinderlose Familien von Offizieren zur Adoption vergeben. Die leiblichen Mütter wurden häufig umgebracht. Auch in diesem Fall hatten die Adoptiveltern die Klägerin im Wissen „adoptiert", dass das Mädchen während der Gefangenschaft ihrer Mutter geboren worden war.
Die 30-Jährige Klägerin María Eugenia Sampallo wurde im Februar 1978 geboren, ihre Mutter Mirta Barragán war politische Gefangene in einem geheimen Folterzentrum des Militärs. Mirta Barragán war Ende 1977 zusammen mit ihrem Mann Leonardo Sampallo verhaftet worden, als sie bereits im sechsten Monat schwanger war. Ihr dreijähriger Sohn Gustavo wurde ebenfalls verschleppt. Er tauchte einige Tage später jedoch wieder auf.
Das Ehepaar Sampallo gilt bis heute als verschwunden. Von der neugeborenen Tochter fehlte ebenfalls jede Spur. Der Hauptmann Enrique Berthier hatte sie direkt nach der Geburt ihrer Mutter geraubt und an das Ehepaar Osvaldo Rivas und María Cristina Gómez übergeben. Am 19. Februar dieses Jahres brachte María Eugenia Sampallo diese drei Personen unter dem Vorwurf vor Gericht, ihr die Identität geraubt zu haben. Sie forderte für sie die Höchststrafe von zwanzig Jahren Haft.
Im Prozess bemerkte sie mit Nachdruck: „Hierbei geht es nicht darum, ob wir ein gutes oder schlechtes Verhältnis zueinander haben. Sie haben ein schweres Verbrechen begangen und es ist gleichgültig, ob sie dem Militär angehörten oder Zivilisten waren. Sie wollten Eltern sein und begingen dafür ein Verbrechen.“ Konkret müssen sich die drei Angeklagten wegen Kindesentführung, Dokumentenfälschung und „Anonymisierung“, d.h. Verschleierung der wahren Identität des Kindes, verantworten.
Als Sampallo zehn Jahre alt war, erfuhr sie, dass sie nicht die leibliche Tochter des Paares ist, das sie aufgezogen hatte. Ihre Fragen nach ihren leiblichen Eltern stießen auf ausweichende Antworten und Lügen. Einer der aufgerufenen Zeugen erinnerte sich an einen Streit, bei dem María Cristina Gómez ihre vermeintliche Tochter beschimpfte: „Du Tochter einer Guerillera! Ich habe dich in seidenen Windeln aufgezogen. Wäre ich nicht gewesen, hätte man dich einfach einen Abgrund hinab geworfen.“
Sampallo ist eins von inzwischen 88 Kindern, die von den Großmüttern der Plaza de Mayo ausfindig gemacht wurden und so ihre wahre Identität wiedergewannen. Diese Gruppe bemühte sich, während der Diktatur entführte Kinder ausfindig zu machen – in Einzelfällen schon während der Diktatur - und Kontakt zu Überlebenden ihrer biologischen Familien, häufig Großeltern, herzustellen. Die Großmütter der Plaza de Mayo haben etwa 500 Fälle von Zwangsadoption erfasst. Wie hoch die tatsächliche Anzahl verschleppter und unter Fälschung ihrer Geburtsurkunde „adoptierter“ Kinder ist, kann nur geschätzt werden. Nach dem Ende der Diktatur wurde bekannt, dass in zwei der größten geheimen Folterzentren eigene gynäkologische Stationen betrieben wurden.
Quelle: Nachrichtendienst poonal Nr. 795
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