Eine aktive und über den europäischen Tellerrand hinaus reichende Außenpolitik stellt der Autor als Konzept der Linken der gegenwärtigen wenig profilierten Linie der vergangenen Regierungen gegenüber.
Es kommt nicht von ungefähr, dass unter der Regierung Schüssel das ehemalige „Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten“ in ein „Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten“ umgetauft wurde. Die Zeiten, in denen ein österreichischer Bundeskanzler aktiv in die Nahost-Politik eingegriffen hat, sind ebenso vorbei wie die Ablehnung der von den USA (mit oder ohne Zustimmung der UN) geführten Kriege in Serbien, Afghanistan und Irak. Die österreichische Außenpolitik – so es sie überhaupt noch gibt – ist einerseits zum Handlanger wirtschaftspolitischer Eigeninteressen (vor allem in Osteuropa) geworden, andererseits zum Vollzugsorgan der EU-Granden verkommen - wie erst kürzlich wieder der mit österreichischen Entwicklungshilfegeldern gesponserte Tschad-Einsatz gezeigt hat. Die Konzeptlosigkeit ist derart enorm, dass ohne Weiteres 90 Prozent der österreichischen Botschaften geschlossen werden könnten, ohne das das irgend jemandem auffallen würde – mit Ausnahme natürlich der davon betroffenen Botschaftsangehörigen.
Rückzug der Sozialdemokratie
An dieser tristen Situation hat sich auch seit dem Amtsantritt von Alfred Gusenbauer, der immerhin ein gestandener Außen- und Entwicklungspolitiker war, nichts geändert. Ebenso wenig wie ihn bei seinen ersten Reisen nach Prag das Atomkraftwerk Temelin oder die von den USA in der Tschechei, Polen und Rumänien errichteten geheimen Folterlager für angebliche „Terroristen“ gekümmert haben, wagte es der Bundeskanzler bei seiner letzten Lateinamerikareise zu den von den meisten südamerikanischen Regierungen inzwischen heftig kritisierten EU-Verträgen mit dem Mercosur, den Andenländern und Zentralamerika Stellung zu nehmen. Dabei hätte er bloß auf seine lateinamerikanischen Counterparts Luiz Inácio „Lula“ da Silva, Cristina Kirchner und Evo Morales hören müssen, die diese so genannten Freihandelsverträge als Geschäftemacherei im Interesse europäischer transnationaler Unternehmungen entlarvt hatten.
Ebenso wie seine sozialdemokratischen Vorgänger Franz Vranitzky und Viktor Klima überließ auch Gusenbauer ohne zu zögern die Außenpolitik seinem Koalitionspartner ÖVP, ohne auch nur im geringsten von dem von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy entworfenen Kuschelkurs mit George Bush abzuweichen. Ob es sich um Afghanistan, den Irak, Palästina, Tschetschenien oder zuletzt Georgien handelte: Österreich blieb immer auf der Seite der Kriegstreiber, oft sogar unter Verletzung seiner eigenen Neutralität - wie im Fall der Überflugsrechte während des Irak-Krieges oder im Fall des von Frankreich betriebenen Tschad-Einsatzes.
So als ginge es in der Außenpolitik immer nur darum, „his masters voice“, die Stimme der Mächtigen umzusetzen, war die ehemalige Vorzimmerdame Wolfgang Schüssels vor allem darum bemüht, eine eigenständige österreichische Außen- oder Entwicklungspolitik erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ob in der Asyl- oder Migrationsfrage, die sie anscheinend von vorneherein dem Innenministerium überlassen hat, oder in der Frage der EU-(Verfassungs-)Verträge, die mit dem darin verankerten Aufrüstungsgebot die Neutralität Österreichs verletzten, begnügte sie sich mit einem gefälligen Lächeln, anstelle zumindest den Versuch zu unternehmen, die EU-Granden umzustimmen.
Stiefkind Entwicklungspolitik
Aber auch in der Entwicklungspolitik, - seit jeher ein Stiefkind der österreichischen Außenpolitik -, ist fast nichts weitergegangen. Dem von der EU verordneten, quantitativen Zuwachs an Mitteln auf 0,51 Prozent des BIP steht ein eindeutiger Verlust an entwicklungspolitischer Qualität gegenüber. Nicht nur, dass sogar die Entschuldung des Irak und der österreichische Militäreinsatz im Tschad unter diesen Budgetposten fällt; auch bei den wirklichen Projekten der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit wird - anstelle auf das jahrzehntelange Know-how der entwicklungspolitischen NGOs zurückzugreifen - immer mehr auf die wirtschaftspolitischen Anliegen österreichischer Unternehmen Rücksicht genommen. Einen überproportionalen Anteil dieser Mittel verbraucht ohnedies die unter Benita Ferrero Waldner gegründete ADA (Austrian Development Agency), die als dem ehemaligen Außenministerium vorgelagertes Unternehmen jeglicher Kontrolle durch das Parlament entzogen ist und nicht unerhebliche Verwaltungskosten verursacht, die allesamt in den Entwicklungshilfeetat eingerechnet werden.
Alternative Konzepte im Rahmen eines wirklichen Friedensprojekts
Dabei hätte eine zielgerichtete österreichische Außenpolitik sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU eine ganz große Chance, als fortschrittliches Aushängeschild wahrgenommen zu werden; nicht nur, weil Österreich (wenn man von den osteuropäischen Landen der österreichisch-ungarischen Monarchie einmal absieht) nie eine Kolonialmacht war, sondern auch weil es als kleines, aber reiches neutrales Land einen gewissen Vertrauensvorschuss genießt, könnte Österreich auf dem diplomatischen Parkett eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Man denke bloß an die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit) oder an die ehemals „blockfreien“, in den Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Staaten des Südens, aber man denke auch an die vielen bewaffneten Konflikte, in denen es um das Selbstbestimmungsrecht der Völker geht. Ob in Palästina, in Darfour, in Sri Lanka, im Kaukasus oder in Lateinamerika: es würde Österreich gut anstehen, wenn dieses Land überall dort, aber auch innerhalb der EU zu einem Fürsprecher für die Rechte der Unterdrückten und Ausgegrenzten würde. Wie aber ein solches Konzept vom Standpunkt er LINKEN konkret aussehen könnte, soll im Folgenden kurz dargestellt werden:
1. Gerade weil wir es uns politisch und auch wirtschaftlich leisten könnten, sollte eine aktive Friedenspolitik zur obersten Maxime der österreichischen Außenpolitik werden. Ansatzweise ist das in Bezug auf Sri Lanka geschehen, wo das österreichische Außenministerium ein zivilgesellschaftliches Friedensprojekt zur Lösung des Tamilenkonflikts unterstützt hat. Es sind nicht immer nur die UNO-Einsätze, die gefragt sind – und schon gar nicht die militärischen, die auf Grund des ungleichen Kräfteverhältnisses im Sicherheitsrat ohnedies meist den Großmächten zu Gute kommen.
2. Auch was die längst anstehende Reform der UN selbst betrifft, stünde es diesem Land gut an, seine Kandidaturen mit klaren politischen Aussagen und Positionierungen zu verbinden, anstelle, wie bisher, den Weg des geringsten Widerstands von Seiten der Großmächte (vor allem der USA) zu gehen. Nicht einmal die zaghaften Bemühungen des ehemaligen Generalsekretärs Kofi Annan in diese Richtung wurden vom Wiener Ballhausplatz aus unterstützt.
3. Auch was die Ausrichtung der EU-Außenpolitik betrifft, könnte Österreich ein weitaus gewichtigeres Wort mitreden, vor allem dann, wenn es um die Menschenrechte und deren Verletzung durch die imperialen Großmächte USA, China und Russland geht. Anstelle – wie im EU-Vertrag vorgesehen – die EU in Konkurrenz zu den USA zu einer militärischen Supermacht hochrüsten zu wollen, wäre es weitaus Ziel führender, den vorhandenen politischen und wirtschaftlichen Einfluss Österreichs zu nützen, um aus der EU auch nach außen hin ein wirkliches Friedensprojekt zu machen.
4. Um einen dauerhaften Frieden auf der Welt zu erreichen, bedarf es aber vor allem einer sozialen und ökologischen Sicherheit in den von der Globalisierung am meisten in Mitleidenschaft gezogenen Regionen, ein Konzept, zu dem die von Bush&Co. vorgeführten Bestrebungen nach militärischer Sicherheit in argem Widerspruch steht. Gerade hier könnte eine politikstrategisch geplante Entwicklungspolitik Platz greifen, die über das derzeit übliche Almosenverteilen in den LDCs (Least Developed Countries) hinausgeht.
5. Eine solche Strategie müsste, ausgehend vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, vor allem den Aufbau zivilgesellschaftlicher, an der Basis verankerter, sozialer Bewegungen und Netzwerke im Auge haben, ohne die keine sinnvolle Armutsbekämpfung geleistet werden kann. Nur so und nicht durch irgendeine, wie auch immer geartete „Terrorismus-Bekämpfung“ kann die Explosion einer sozialen Zeitbombe verhindert werden, die im Gefolge des neoliberalen Umbaus in nahezu allen Teilen der Welt zu ticken begonnen hat. Alles andere ist Symptombekämpfung.
Radikale Umorientierung der österreichischen Außenpolitik
Es bedarf also dringend einer Umorientierung der österreichischen Außenpolitik, die in dem Sinne auch radikal sein muss, als sie bei der Wurzel der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Krise, in der wir uns befinden, ansetzt. Dabei geht es zunächst einmal darum, Allianzen mit allen jenen Ländern, supranationalen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Kräften zu schließen, die sich ernsthaft darum bemühen, einen gerechten Frieden auf der Welt voranzutreiben. Gerade die jüngsten Entwicklungen in Südamerika haben gezeigt, dass auch kleine und wirtschaftlich schwächere Länder durchaus im Stande sind, eine politische Schubumkehr herbeizuführen. Deshalb wären gerade sie ideale Bündnispartner.
Weitaus schwieriger ist da die Lage im Mittleren Osten und in Afrika, wo es vor allem darum geht, dem erbarmungslosen militaristischen und ökologischen Kahlschlag der Supermächte – allen voran der USA, Großbritannien und Frankreich – ein politisch-diplomatisches Gegengewicht entgegenzusetzen. Aber auch dort gibt es Bauern- und ArbeiterInnenbewegungen, die im Unterschied zu den korrupten Regierungen in ihren Ländern den geldgierigen, Umwelt zerstörerischen und machtsüchtigen transnationalen Unternehmungen den Kampf angesagt haben.
Last, but not least geht es in Asien vor allem darum, die Beziehungen zu den neuen Supermächten China und Indien so zu gestalten, dass die Menschenrechte (unter Einschluss der sozialen und ökonomischen Rechte) die Basis für einen echten interkulturellen Dialog bilden, ohne den es keine nachhaltige Entwicklung und keinen gerechten Handel geben kann. Dasselbe gilt umso mehr für die Beziehungen zu Russland, der Türkei und den anderen osteuropäischen Staaten, ohne die Österreich in der heutigen Form kaum lebensfähig wäre.
DerAutor ist wissenschaftl. Leiter des Instituts für interkulturelle Forschung und Zusammenarbeit; Mitglied des Internationalen Rates des Weltsozialforums; Spitzenkandidat der LINKE – Opposition für ein solidarisches Europa bei den Europawahlen 2004
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