Samstag, 24. Januar 2009
 
Nur ein bißchen weniger fremdenfeindlich PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Grüne in Graz   
Mittwoch, 13. September 2006
Eine Gruppe von Grünen in Graz schreibt an die Bundesgrünene, denen sie vorwirft, sich mit ihrem neuen Migrationskonzept an die fremdenfeindlichen Parteien anzubiedern. Durch die Einführung von Quoten und Auswahlkriterien in das grüne Modell, gebe man die traditionellen Positionen einer offenen und multikulturellen Gesellschaft auf.

Offener Brief an die Bundesgruenen

Andreas Khol hatte allen Grund zufrieden zu sein: Die oeffentliche Diskussion um Migration ist um ein Sandkorn im Getriebe, um einen wenn auch kleinen, aber hartnaeckigen Stachel aermer geworden. Als letzte der Parlamentsparteien akzeptieren mit dem Konzept eines Punktesystems nun auch die Bundesgruenen das Prinzip, dass Zuwanderung sich ausschliesslich nach den Beduerfnissen der Mehrheitsbevoelkerung zu gestalten habe. Eine Punkteverteilung soll jene mit einem Aufenthalt und Integrationsmassnahmen belohnen, die eine Ausbildung in einem Bereich vorweisen koennen, wo oesterreichische Arbeitskraefte fehlen, oder ueber anders benoetigte "Schluesselqualifikationen" verfuegen, wobei Van der Bellen vorsichtshalber anmerkte, dass momentan angesichts der Arbeitslosenzahlen der Bedarf an ZuwanderInnen gering sei. Kohl hatte recht, als er diesen Tag als eine Wende beurteilte: Es war ein schwarzer Tag, an dem auch die Bundesgruenen akzeptierten, MigrantInnen nach Qualifikation und Arbeitsmarktlage in "Nuetzliche" und "Unnuetze", in "Erwuenschte" und "Unerwuenschte" zu teilen. Grünlogo verzerrt

Wurden die Gruenen bisher – und oft zu Recht – als die FuersprecherInnen derer wahrgenommen, die keine Lobby und nicht einmal eine WaehlerInnenstimme haben, so haben sie sich mit diesem Konzept zum Sprachrohr der Mehrheitsbevoelkerung gemacht, die ein Westenthaler und eine Prokop noch allemal besser vertreten.

Freilich: Das Ausmass an Inhumanitaet, das der Politik von FPOe, BZOe und OeVP anhaftet, unterscheidet das gruene Punktesystem von deren rassistischer Propaganda und Praxis. Wohlgemerkt: das Ausmass an Menschenverachtung, nicht die grundlegende Praemisse, die nun allen Konzepten von Migrationskontrolle zugrunde liegt, auch der gruenen: Das Boot ist voll, und wir OesterreicherInnen bestimmen, wer eventuell noch auf der Ruderbank oder zum Putzen des Drecks Platz nehmen darf. Van der Bellen hat die Abschiebeplaene des BZOe kritisiert und zugleich die prinzipielle hegemoniale Ausrichtung des Umgangs mit NichtoesterreicherInnen uebernommen. Er hat eine besonders harte Form des Grenzregimes attackiert und das internalisierte Grenzregime verstaerkt, das die Gesellschaft teilt in Menschen mit oesterreichischem Pass, fuer die erst einmal gesorgt werden muesse, und in Menschen ohne oesterreichischen Pass, die dann drankommen, wenn noch was uebrig ist.

Und, liebe Bundesgruene, warum?

Ihr seid nicht in der Regierung und werdet es mit einer derart schnell nach rechts gerueckten OeVP auch hoffentlich in den naechsten Jahren nicht sein.

Ihr wart nicht in der Situation, mit einem um jeden Preis pragmatischen Zuwanderungskonzept ein noch groesseres menschenrechtliches Debakel in der Migrationspolitik zu verhindern. Haette es geheissen: Entweder unser Konzept – oder das der anderen, dann waere Eure Vorgehensweise zumindest verstaendlich gewesen. Als Antwort auf eine mit Blick auf den Wahlkampf initiierte Debatte, in dem sich alle bemuehen, rechts von sich keinen Platz mehr zu lassen, war sie fatal.

Eure Aufgabe, wenn Ihr Euren eigenen Anspruch einer Menschenrechtspartei ernst nehmt, waere jetzt eine ganz andere, naemlich lautstark und konsequent dem momentanen Diskurs ueber MigrantInnen entgegenzutreten, die entweder nur mehr als Sicherheitsrisiko oder als Faktoren einer Kosten-Nutzen-Bilanz dargestellt werden. Eure Aufgabe waere es, kontinuierlich und hoerbar die menschenrechtswidrigen Asyl- und Fremdengesetze zu bekaempfen und die toedliche EU-Abschottungspolitik zu thematisieren. Eure Aufgabe waere es, nicht nur den absurden Zahlenspielen von FPOe und BZOe, die eine tatsaechlich gesunkene Migration in einen Zuwanderungsrekord verwandeln, die realen Fakten gegenueberzustellen (das blieb bisher in erster Linie kritischen Medien ueberlassen), sondern im immer haerter werdenden kapitalistischen Konkurrenzkampf und neoliberalen Offensiven die wirklichen Ursachen von Arbeitslosigkeit und Armutszunahme zu benennen.

Ja - vielleicht wuerde ein solcher Kampf sogar WaehlerInnenstimmen kosten – nicht viele, keine, die entscheidend sind, aber die eine oder andere vielleicht. Aber viel, viel schlimmer als der Verlust von ein paar Stimmen bei der naechsten Wahl ist es, wenn sich Menschen aufgrund Eures Auftritts in ihrer Ueberzeugung bestaetigt fuehlen, dass "das Boot eben voll ist", wenn sogar schon die Gruenen das einsehen, oder die anderen Parteien sich in ihrem Ausspielen von Arbeitslosen gegen MigrantInnen bestaerkt fuehlen, wenn sogar die Gruenen den Zusammenhang schon zugeben. Viel, viel schlimmer als der moegliche Verlust von ein paar WaehlerInnenstimmen ist der Verlust von bitter notwendigem Mut, sich der dominanten Stimmung entgegenzustellen, die MigrantInnen nur akzeptieren, wenn sie sich als Bereicherung praesentieren koennen, als brave Kinder, statt als Gesellschaftsmitglieder, die genauso in Probleme verstrickt sind wie diejenigen mit oesterreichischem Pass auch.

Dies sind die ganz realen Auswirkungen Eurer Fleissaufgabe, die keine einzige rassistische Praxis der jetzigen Regierung verhindert, aber deren Akzeptanz in der Bevoelkerung erleichtert.

Welcher Gesellschaft habt Ihr das Wort geredet? Einer, die versucht, von ethnisierenden Sprach- und Wahrnehungsmustern wegzukommen, oder einer, die diese Schranken perpetuiert?

Wir sagen nicht: Bis hierher und nicht weiter. Wir sagen: Zurueck hinter die rote Linie, die mit dem Punktesystem definitiv ueberschritten wurde.

Ihr seid in der Opposition – das ist eine Chance, nicht ein mittels unertraeglicher Pragmatismen zu ueberwindender Zustand. Als Parteimitglieder fordern wir Euch, liebe Bundesgruene, auf, endlich auch mit Verstand, Leidenschaft und Phantasie Opposition gegenueber der herrschenden Politik zu sein.

Gerald Kuhn, Soziologe, Graz
Ines Astenberger, Historikerin, Graz
Und 20 MitunterzeichnerInnen
(gefunden in: Augustin, August 2006)
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