In Wien gabs immer schon die schönsten Wuchteln – jetzt gibt es dazu den passenden Event.
Kleine grüne Männchen ohne Gesicht bevölkern die öffentlichen Grünflächen Wiens. Am Kopf oder am Fuß ist ihnen ein tellerförmiger Fortsatz angewachsen. Nein, es handelt sich um keine Invasion von Aliens! Die Bundeshauptstadt bewirbt mit den grünen Pappkameraden in Kickerposition die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft. Von Fußballfieber zu sprechen wäre wohl zu hoch gegriffen. Aber die Euro2008 ist wenige Tage vor dem Ankick auch in Wien angekommen.
Monatelang beschränkte sich die Diskussion um das sportliche Großereignis auf die Fanmeile. Besser: ob es wirklich notwendig sei, die Ringstraße von der Universität bis zur Hofburg den tobenden Fans zu überlassen. Ursula Stenzel, Bezirksvorsteherin des 1. Bezirks, sorgte sich um historische Gebäude und gepflegte Parks, die unter den Stiefeln und biergefüllten Blasen der Fans erheblichen Schaden nehmen würden. Burgtheater, Rathaus, Museen und Parlament – die Prunkstücke des Historismus - liegen auf der Meile. Auf dem Rathausplatz ist fast immer etwas los: Christkindlmarkt, Eislaufplatz, Wiener Festwochen, Lifeball …. Aber im Burgtheater fühlt man sich irritiert. Generaldirektor Klaus Bachler sperrt das Haus lieber zu und vermietet es für exklusive Fußballübertragungen. Auch im Parlament werden die Sommerferien um einen Monat verlängert. Das Kunsthistorische Museum fährt eine weniger defensive Politik. Statt die Hooligans zu fürchten, will man sie mit Kultur zähmen. So werden Sonderführungen mit dem vielversprechenden Titel „Die schönsten Fankurven der Kunstgeschichte“ angeboten. Rubens und Caravaggio hätten sich nicht träumen lassen, dass die üppigsten Körperteile ihrer Barockmusen dereinst Fußballfans in den Kulturtempel locken sollten. Auch in anderen Museen hat man sich etwas einfallen lassen, um in Zeiten des Fußballs nicht unterzugehen. „Die Eleganz des runden Leders“ im Rathaus ruft die Zeit in Erinnerung, als österreichische Siege über Deutschland noch nicht als Sensation gefeiert wurden. Und im Wien Museum, nur wenige Gehminuten von der Fanmeile, wird unter dem Titel „Wo die Wuchtel fliegt – Orte des Wiener Fußballs“ die Fußballgeschichte als Stadtgeschichte inszeniert.
Damit der Denkmalschutz gewahrt bleibt, wurde die Fanmeile eingehegt: die Fans werden durch 2,20 Meter hohe Gitter von den historischen Gebäuden ferngehalten. Drinnen gibt es das teuerste Bier Österreichs. Schon zwei Wochen bevor die österreichische Mannschaft gegen Kroatien am 8. Juni auf den Rasen läuft, wurde dieser Teil der Ringstraße für den Verkehr gesperrt. Gleich das erste Spiel dürfte auch das heikelste werden, denn Wiens kroatische Gemeinde hat schon in der Vergangenheit bei Fußballspielen über die Stränge geschlagen. Für die Polizei gilt die Taktik der drei D: Dialog, Deeskalation, und wenn die nichts fruchtet: Durchsetzung der geeigneten Maßnahmen.
In Wien werden sieben Spiele ausgetragen, darunter zwei Viertelfinali, ein Semifinale und das Endspiel am 29. Juni. Man erwartet, dass jeweils dreimal so viele Fans nach Wien strömen werden, wie ins Ernst-Happel-Stadion im Prater passen. Das heißt, dass sich 150.000 Menschen in den Fanzonen und anderen Public Viewing Bereichen tummeln werden. Wer das Glück hatte, eine Eintrittskarte zu ergattern, hat freie Fahrt nicht nur auf städtischen Verkehrsmitteln, sondern auch dem gesamten Streckennetz der Bundesbahn. Wer mit dem Auto anreisen will, soll dieses möglichst an der Peripherie abstellen. Denn wenn alle gleichzeitig nach Hause wollen, kann das schon zum Verkehrschaos führen. Das zeigte sich drastisch beim Freundschaftsspiel gegen Deutschland am 26. März, als manche Fans stundenlang auf eine Straßenbahn warten mußten. Vier Wochen vor der EM wurde dann die Verlängerung der U-Bahn bis zum Stadion eröffnet. Die kann ja, anders als die Straßenbahn, nicht im Stau stecken bleiben. In den Stoßzeiten werden die als Euro-Garnituren gekennzeichneten Züge im Zweiminutentakt verkehren.
Obwohl das öffentliche Verkehrsnetz in Wien zu normalen Zeiten effizient funktioniert, sind Verkehrsprobleme vorprogrammiert, wenn die für 75.000 Menschen zugelassene Fanmeile aus den Nähten platzt. Für diesen Fall wurde eine Zusatzfanzone im Hanappi-Stadion eingerichtet, wo der Meisterklub Rapid Wien zu Hause ist. Das liegt in Hütteldorf, im äußersten Westen Wiens und ist zwar per U-Bahn zu erreichen. Doch wenn der Massenumzug knapp vor einem Match über die Bühne gehen soll, droht der Kollaps. Über sieben Millionen Euro kostet es die Stadt, diesen Ausweichplatz bereit zu halten. Die Alternative auf der nahe gelegenen Donauinsel wäre erheblich billiger gekommen. Dort drängen sich beim dreitägigen Inselfest, das jedes Jahr am ersten Sommerwochenende stattfindet (nur heuer wegen der EM in den September verlegt wurde), mehr als zwei Millionen Menschen. Die Infrastruktur für Massenveranstaltungen ist also vorhanden.
Wien ist bekanntlich ein großes Freilichtmuseum, das von seiner imperialen Vergangenheit ganz gut lebt. Sissy-Kitsch und inszenierte Walzerseligkeit werden gepflegt, auch weil es die Touristen so erwarten. Als Kongreßstadt und beliebtes Ziel von Städtereisen ist Wien auch unter normalen Umständen weitgehend ausgebucht. Deswegen wurden für Spätentschlossene mit schlankem Reisebudget ein Fan Camp auf dem Messegelände eingerichtet, wo 3000 Schlafplätze in Stockbetten zur Verfügung stehen. Die Veranstalter warnen allerdings, dass die Nachtruhe ab 22 Uhr, die in Gastgärten gilt, im Fancamp keine Gültigkeit haben wird.
Für Unterhaltung ist aber auch anderswo gesorgt: von Christina Stürmer über die Veteranen des Austro-Pop Wolfgang Ambros und Rainhard Fendrich bis Sir Elton John reicht die Liste der Stars, die das Publikum bei Laune halten sollen. Wer es eher Klassisch liebt, kann am 27.Juni in den Schlosspark Schönbrunn zum Open-Air-Konzert der Opernlieblinge Anna Netrebko, Plácido Domingo und Rolando Villazón pilgern. Am folgenden Tag wird der chinesische Starpianist Land Lang mit den Wiener Philharmonikern aufspielen. Match versäumt man dabei keines, denn die Termine wurden zwischen Semifinale und Finale untergebracht. Auch die unverwüstlichen Wiener Sängerknaben und Operettendarbietungen sind eingeplant. Wer dann von Österreich-Klischees noch nicht übersättigt ist, kann sich in der Volksoper „The Sound of Music“ geben.
Das wäre aber eher ein Ersatzprogramm für Regenwetter. Nach derzeitigem Stand wird das nicht vonnöten sein. Die Wetterpropheten haben für den ganzen Monat Juni außergewöhnlich trockenes und warmes Wetter vorausgesagt.
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