Die zivilen Rechte und bürgerlichen Freiheiten haben in China im Vorfeld der olympischen Spiele gelitten, wie Amnesty International kürzlich konstatierte. Aber auch die sozialen Menschenrechte, namentlich die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie, haben sich zumindest nicht verbessert. Das prangerten Aktivisten der Play Fair Kampagne am Sonntag in Hong Kong an. Fotos: R.Leonhard
„Keine Medaillen für die Sportartikelindustrie“ war die Botschaft, die Aktivistinnen und Aktivisten der Play fair Kampagne aus China, Österreich, Deutschland und Polen am 3. August in einer belebten Einkaufsstraße und auf der beliebtesten Uferpromenande in Hong Kong den Passanten und Fotografen per Transparent überbrachten. Die Maskottchen der Olympischen Spielen, die putzigen Fuwas, waren schwitzend an einer Nähmaschine abgebildet. Anschließend wurde der Forderungskatalog der Kampagne einem Sicherheitsmann der lokalen Vertretung des IOC übergeben. Funktionäre waren nicht bereit, eine Delegation zu empfangen. Die Play Fair Kampagne wird in Österreich von der Clean Clothes Kampagne, dem ÖGB und der Volkshilfe getragen.
Das IOC steht nicht nur unter Beschuss, weil es die chinesischen Zensurmaßnahmen duldete, sondern auch, weil es wenig Engagement bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der chinesischen Industriearbeiterschaft gezeigt hat. Deren Reallöhne liegen zum Teil noch unter dem Niveau von 1995, obwohl die großen Markenunternehmen teilweise phantastische Gewinne einfahren. So hat etwa der NIKE-Konzern, der seine Sportschuhe größtenteils in China herstellen lässt, allein seit den Olympischen Spielen 2004 seine Gewinne um 51% gesteigert, adidas, die Nummer zwei auf dem Sportschuhsektor, konnte gar um 68 Prozent zulegen.
Noch vor wenigen Jahren war Hong Kong eine Hochburg der Textilindustrie. In den letzen zehn bis 15 Jahren haben die Betriebe ihre Produktionsstätten auf das chinesische Festland verlegt. Gleich jenseits der Grenze der ehemaligen britischen Kronkolonie, heute Sonderverwaltungszone Hong Kong, liegt die Millionenstadt Shenzhen, wo ein Fertigungsbetrieb neben dem anderen steht: Textil-, Schuh-, aber auch Elektronikindustrie.
Die Arbeitskräfte werden vor allem unter den Millionen Arbeitsmigranten rekrutiert, die vor allem aus den ländlichen Gebieten in die großen Städte drängen. Landesweit wird ihre Anzahl auf 200 Millionen geschätzt, in Südchina auf mindestens 20 Millionen. Sie leben, wie Yuk Yuk Choi von der Arbeiterrechtsorganisation Workers Empowerment bestätigt, größtenteils in Schlafsälen innerhalb des Firmengeländes. Dort unterliegen sie auch in der Freizeit strengen Verhaltensregeln und, vor allem in Unternehmen koreanischer oder taiwanesischer Provenienz, geradezu militärischer Disziplin.
Erst im vergangenen Jänner ist ein neues Arbeitsvertragsgesetz in Kraft getreten, das Arbeitgeber verpflichtet, allen Arbeitern und Arbeiterinnen einen Vertrag auszustellen, der nach zweimaliger Verlängerung ein Dauerarbeitsverhältnis begründet. Auf dem Papier sind die chinesischen Fließbandarbeiter damit besser dran als die Kollegen in Hong Kong. Allerdings misstrauen die meisten den Neuerungen. Repräsentative Studien über die Einhaltung des Gesetzes gebe es noch keine, versichert Apo Leung vom Asian Monitoring Resource Center (AMRC), erst zum Jahresende erwarte man aussagekräftige Daten. Eine Aktivistin der NGO Labour Action China weiß aber von zahlreichen Tricks, mit denen die Gesetze umgangen werden. Eine im vergangenen April veröffentlichte Studie, die im Auftrag der internationalen Fair Play Kampagne auf der Basis von über 300 Arbeiterinnen und Arbeitern in mehreren Ländern erstellt wurde, berichtet etwa von der Praxis des taiwanesischen Pou Chen Konzerns, sich die Bezahlung von Überstunden zu ersparen, indem immer höhere Akkordleistungen verlangt werden, die an einem Achtstundentag nicht zu leisten sind. Um das Plansoll zu erfüllen, müssen die meisten einige Stunden nacharbeiten.
Die großen Markenunternehmen haben sich in den letzten Jahren alle konzerninterne Verhaltenskodizes verpasst, in denen sie sich zur Einhaltung von Mindeststandards bei der Produktion verpflichten. Die Inspektionen sind allerdings zahnlos. Arbeiterinnen aus Südchina und Gewerkschaftsaktivisten in Hong Kong mit Verbindungen nach Festlandchina berichten übereinstimmend, dass bei Betriebsbesuchen nur eigens hergerichtete Arbeitsräume gezeigt werden. Unabhängige Gewerkschaften werden in China nicht geduldet und unbequeme „Aufwiegler“ bekommen schon einmal einen Schlägertrupp auf den Hals gehetzt. Der Arbeitsrechtsaktivist Hueng in Shenzhen wurde mit fünf Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Und Apo Leung, dessen Organisation in Südchina Arbeiterberatungsstellen betreut, wurde vor Monaten schon gewarnt, er und seine Leute sollten im Olympiajahr niedriges Profil bewahren.
Auch Albert Ho, Vorsitzender einer Stiftung von Menschenrechtsanwälten in Hong Kong, die bedrohte Kollegen in China unterstützt, weiß, wie gefährlich es ist, unerwünschte Forderungen zu erheben. Proteste gegen die Massendelogierungen in Peking wurden genauso unterdrückt, wie Kampagnen für bessere Arbeitsbedingungen. Da werden auch Anwälte schnell wegen Aufruhrs eingesperrt. Wenn die Arbeitsbedingungen in den südchinesischen Produktionszonen in den letzten Jahren ansatzweise besser geworden sind, so sei das mehr dem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften zu verdanken als einem Bemühen der Regierung und der Konzerne, die Standards anzuheben. Außerdem sind die Arbeitsmigranten selbstbewusster geworden. Anders als die erste Generation, die über ihre Rechte kaum Bescheid wusste und auch blanke Ungerechtigkeiten in Kauf nahm, lassen sich die jüngeren Binnenmigranten nicht mehr alles gefallen. Im Interesse der Harmonie, die als oberstes Prinzip der Gesellschaft gilt, werden bei Arbeitskonflikten heute häufiger außergerichtlich einvernehmliche Lösungen gefunden. Auch die Gerichte entscheiden heute öfter zugunsten der Belegschaften. Allerdings bedeutet das günstige Urteil noch nicht unbedingt, dass die Arbeiter zu ihrem Recht kommen. Etwa wenn Betriebe schließen und ihre Produktionsstätten weiter ins Landesinnere verlegen, wo Arbeitskräfte noch reichlich vorhanden und weniger kämpferisch sind.
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