In den vergangenen Tagen feierte Präsident Evo Morales sein einjähriges Jubiläum an der Spitze des Staates. Die Aufbruchsstimmung, die seinen Amtsantritt begleitete ist aber längst der Ernüchterung gewichen. Tote bei Unruhen, Konflikte in der Verfassunggebenden Versammlung und vor allem die drohende Sezession der reichen Südprovinzen machen der linken Regierung zu schaffen.
(La Paz, 24. Januar 2007, na-poonal)- Die Autonomieforderungen einiger Departements des Landes ist eins der umstrittensten Themen der bolivianischen Innenpolitik. Der Versuch des Gouverneurs von Cochabamba, Manfred Reyes Villa, ein Referendum bezüglich der Autonomie-Idee in seinem Departement einzuberufen, stieß auf heftige Proteste. Seit dem 7. Januar wird nun sein Rücktritt gefordert. Am 11. Januar wurden bei Zusammenstößen zwischen Anhängern des Gouverneurs und regierungstreuen Bauern, die den Präsident Evo Morales unterstützen, mindestens 70 Personen verletzt.
Das Thema Autonomie bestimmt bereits seit 2005 die politische Agenda des Landes. Damals zwangen massive Proteste in Santa Cruz - dem reichsten Departement des Landes - die Regierung des damaligen Präsidenten Carlos Mesa (2003-2005), eine Volksabstimmung bezüglich dieser Frage einzuberufen. Das Referendum fand am 2. Juli 2006, zeitgleich mit der Wahl der 255 Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung statt. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Land in zwei Lager gespalten ist. In den fünf westlichen, den ärmsten Provinzen - Chuquisaca, Cochabamba, La Paz, Oruro und Potosí - wurde gegen die Autonomie gestimmt, während die vier östlichen Provinzen, Beni, Pando, Santa Cruz und Tarija, ihre Unabhängigkeit befürworten würden. Die Entscheidung für oder gegen die Unabhängigkeit der Provinzen wird jedoch letztendlich von der Verfassunggebenden Versammlung getroffen. Ebenso entscheidet diese über die Form der Autonomie, falls sich die Idee durchsetzt. Die Arbeit der Verfassunggebenden Versammlung, die vor sechs Monaten, am 6. August aufgenommen wurde, stagniert jedoch.
Insgesamt überwiegen die Nein-Stimmen. Daher geht die Regierungspartei MAS davon aus, dass die Verfassunggebende Versammlung der Unabhängigkeit nicht zustimmen muss, auch nicht in den Departements, die mit "Ja" gestimmt hatten. Die Befürworter des Autonomiemodells gehen jedoch davon aus, dass die Ergebnisse der Volksbefragung bindend sind und dass folglich die Verfassunggebende Versammlung der Autonomie der vier Provinzen zustimmen muss.
Nach Meinung des MAS-Abgeordneten Gustavo Torrico führt die Unabhängigkeit, so wie die Befürworter ihr Konzept in der Öffentlichkeit dargestellt haben, zu einer Spaltung des Landes. "Wir haben im Referendum wegen der Art, wie die Autonomie dargestellt wurde, nämlich als Halb-Autonomie, mit "nein" gestimmt. Das Land würde daran zerbrechen." Die Mitte- und Rechtsparteien hingegen sprachen sich für das Autonomie-Modell aus. Tito Hoz de Vila, Abgeordneter der rechten Poder Democrático y Social (PODEMOS), hält den Zentralismus für schädlich für die Departements. "Der Zentralismus hat regionale Initiativen zum Erliegen gebracht und Ungleichgewichte in der regionalen Entwicklung provoziert. Daher wollten nun einige Provinzen zunächst die Dezentralisierung und dann die Autonomie", erklärte er.
Die Politikwissenschaftlerin Moira Zuazo spricht von zwei Hauptforderungen, die gegenwärtig die politische Landschaft in Bolivien bestimmen: die Forderung der Einrichtung unabhängiger Departements einerseits, der Ruf nach einer gleichberechtigteren Gesellschaft andererseits. Ersteres fordern vor allem die östlichen Provinzen, während MAS und die sozialen Bewegungen, die die Regierung unterstützen, hinter der zweiten Forderung stehen. Diese gehen davon aus, dass der Wirtschaftssektor von Santa Cruz die Unabhängigkeit als Schutzschild gegen die politischen und sozialen Veränderungen nutzen möchte, die die Regierung Morales in Gang bringen will. Zuazo unterstützt die Einschätzung, dass vor allem die Oberschicht von Santa Cruz hinter dieser Forderung steht. Sie weist aber auch darauf hin, dass der Autonomiegedanke "auch in der breiten Bevölkerung von Santa Cruz und im Osten des Landes auf viel Zustimmung stößt."
Die auf dem flachen Land lebenden Menschen im Osten fühlen sich mit der Landespolitik, die im 3600m über dem Meeresspiegel gelegenen La Paz gemacht wird, nicht sehr verbunden. Auch teilen sie die indianischen Wurzeln der Bewohner im Westen, die an der Landespolitik regen Anteil haben, nicht. Aus der Sicht der Menschen im Osten ist die Ablehnung der Autonomie ein Versuch der Zentralregierung, die Fäden in der Hand zu behalten.
Die Frage ist, wie der Autonomiegedanke in die Praxis umgesetzt werden könnte. Nach Ansicht Zuazos haben nur Santa Cruz, La Paz und möglicherweise Cochabamba die wirtschaftlichen Möglichkeiten, Provinzsteuern zu erheben und die nötigen Mittel zusammenzubekommen, um eine eigenes, regierungsunabhängiges Gesundheits- und Bildungswesen aufzubauen. Von diesen drei Provinzen stimmte nur Santa Cruz für die Autonomie.
Die Regierung fürchtet, die Kontrolle über die Erdgasreserven zu verlieren. Die wichtigsten Vorkommen befinden sich in Tarija, das ebenfalls für die Unabhängigkeit gestimmt hatte. Auch den Verlust der Kontrolle über das Departement Santa Cruz, den wirtschaftlichen Motor des Landes, könnte sich die Regierung nicht wirklich leisten.
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