Samstag, 24. Januar 2009
 
FRONTEX: Die Festung Europa und ihr Hausmeister PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Eva Kumar   
Mittwoch, 1. November 2006

Seit 1. Mai 2005 besteht die "Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen" (FRONTEX). Sie sieht sich selbst als sehr erfolgreich an. Die Menschenfreundlichkeit dieses Erfolgs ist allerdings eher fraglich.

Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX ist eine europäische Gemeinschaftsagentur, ihr Name leitet sich ab von "frontières extérieures" und diese Außengrenzen soll sie gegen illegale Einwanderer vor allem aus Mauretanien und Senegal, Marokko und von den Kapverdischen Inseln abschotten, aber auch die Ostgrenze der EU, der Balkan und die internationalen Flughäfen sind Einsatzgebiete.

Ihr Sitz ist ein Bürohaus im Warschauer Ortsteil Praga und von dort aus, weit weg von den Einsatzgebieten, werden die multinationalen Einsätze der europäischen Grenzschützer koordiniert und italienische Hubschrauber mit spanischen Schiffen und deutschen Helikoptern kombiniert.

Im Sommer hatte die Agentur eine schlechte Presse, als täglich Hunderte von Afrikanern auf den Kanaren strandeten. Langsam und uneffektiv, zu wenig Praxisnähe, lauteten die Vorwürfe der Politiker, nachdem die spanische Regierung die EU um Hilfe gegen den Ansturm ersucht hatte.

Grundlage für die Arbeit der Agentur ist die EG-Verordnung 2007/2004 des Rates der Europäischen Union vom 26.Oktober 2004. Sie weist FRONTEX eine Reihe von Aufgaben zu. Dazu zählen die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sowie deren Unterstützung in schwierigen Situationen und bei "gemeinsamen Rückführungsaktionen". Daneben soll die Agentur Standards für die Ausbildung von Grenzschutzbeamten festlegen, Risikoanalysen durchführen und die relevante Forschung beobachten.

68 Beamte aus 22 EU-Staaten arbeiten in den drei obersten Stockwerken des blauen Hochhauses in Warschau-Praga. 2005 lag der Jahresetat der Agentur bei rund 6,3 Millionen Euro, der Etat für 2006 lag bei 12,4 Millionen Euro, und erst, als im Sommer die Europäer täglich bei den Abend-Nachrichten die Tragödie der wochenlang auf dem Mittelmeer treibenden Cayucos vor Augen geführt bekamen, legte die EU noch mal 3,5 Millionen Euro drauf. Das sind Peanuts für die EU - bis 2009 soll das Budget allerdings schnell bis auf 30 Millionen Euro steigen.

Cayucos heißen die kleinen Holzschiffchen, die mit jeweils viel zu vielen Passagieren gemessen an ihrer Größe, wenn sie Glück haben, in Richtung Kanaren, Lampedusa oder Malta geweht werden. Allein auf den Kanarischen Inseln sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres 27 000 Flüchtlinge gestrandet.

FRONTEX ist Europas Schild gegen die Armut, mit der in Berührung zu kommen und mit deren Ursachen sich zu befassen den Europäern nicht zugemutet werden soll.

FRONTEX hat allerdings selbst keine Schiffe und keine Hubschrauber - in Warschau wird nur koordiniert und bezahlt. Jeder die europäischen Grenzen überschreitende Einsatz wird von FRONTEX bezahlt, jedes Boot, jeder Hubschrauber, jedes Flugzeug - neben den Gehältern für die Planer, Analysten und Koordinatoren in Warschau. Der FRONTEX-Haushalt speist sich aus Zuschüssen der EU, Beiträgen von Ländern, die im Zusammenhang mit dem Schengen-Abkommen assoziiert sind, sowie aus Gebühren für Dienstleistungen und freiwilligen Beiträgen.

Auf die Fragen, wie genau so eine Operation funktioniere, wie sich von Warschau aus ermitteln lässt, wie viele Flugzeuge und Boote für die Überwachung der 2300 Kilometer langen Küste benötigt werden, wie die Einsatzkräfte mit ihren Kollegen in den afrikanischen Staaten kooperieren, gibt es vom Exekutivdirektor, dem finnischen Oberst Ilkka Laitinen, keine Antworten. "Es hat schon genug Aufmerksamkeit gegeben auf den Kanaren, zu viele Fernsehkameras" meinte er in einem Interview mit dem deutschen "Tagesspiegel". Er verstehe ja, dass es ein Informationsbedürfnis gebe, aber "wir dürfen den kriminellen Schleusern nicht zu viele Karten in die Hand geben". Und: "Die beste Operation ist die, von der keiner etwas merkt." Laitinens Grundsatz: Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen. Im August strandeten 4500 Afrikaner an den Kanarischen Inseln, im September 7000. Im Oktober waren es nur noch 600. "Unsere Maßnahmen haben gegriffen, die Situation ist unter Kontrolle", sagt Laitinen. "Das nenne ich eine Erfolgsgeschichte."

Die andere Seite dieser Geschichte sind Menschen, die auf dem Meer treibend den Durst mit Meerwasser bekämpft haben, Verdurstete, die unterwegs über Bord geworfen werden, Ertrunkene, die an den Stränden von Gibraltar und den Kanaren angespült werden und kurz nach Tagesanbruch schnell weggebracht werden müssen, damit die Touristen vom Anblick der Tatsachen nicht geschockt sein müssen.

Die flüchtenden Afrikaner, die nichts zu verlieren haben und unter Einsatz ihres Lebens und all ihres materiellen Habes und dem der Familie, den Sprung nach Europa als Ort möglicher Hoffnung wagen, sind für FRONTEX Faktoren von Gefahr- und Risikoanalyse, von operativen Maßnahmen und strategischen Planungen, ganz so als gehe es um die Verteidigung gegen einen bewaffneten Aggressor.

Sind die FRONTEX-Leute nicht die Handlanger einer Politik, die den Ärmsten der Armen die Reise an einen Ort mit Überlebensmöglichkeiten verweigern? "FRONTEX kann nicht die Probleme lösen, die zur Verletzung von Grenzen führen", ist die Antwort von Oberst Laitinen.

Die Berichte über das Flüchtlingsdrama und die Stellungnahmen der EU-Politiker im Sommer 2006 haben Europa vor Augen führen wollen, dass sein relativer Wohlstand an einer Abschottung der Grenzen hängt. Schon hätten die Schlepper neben Spanien, Malta und Italien die griechischen Häfen als neue Anlaufpunkte entdeckt. Tausende Afrikaner werden später weitergeschleust nach Italien und Deutschland, Frankreich und Österreich, Die EU weiß nur, dass sie ein gesamteuropäisches Problem hat. Aber weder die Flüchtlingsdramen an den Grenzen, noch die Situation der illegalen Einwanderer, die es geschafft haben, die Grenzen zu bewältigen, noch die Good-Will-Kampagnen und Benefizkonzerte der Pop-Stars führen zu einer aufmerksameren, adäquateren und wirksameren Entwicklungspolitik der EU in Afrika.

Bis zum Ende dieses Jahres finanziert die polnische Regierung die Räumlichkeiten in dem Warschauer Bürohaus, das so ähnlich aussieht wie ein Kriegsschiff. Im Januar zieht FRONTEX um in einen Neubau im Stadtzentrum von Warschau, fünf Kilometer weiter westlich. Afrika wird gerade mal 5 km näherrücken.


Quellen:
Europas Einrichtungen der Europäischen Union
http://europa.eu/agencies/community_agencies/frontex/index_de.htm

Informationsdienst für Politik
http://www.politikerscreen.de/index.php/Lexikon/Detail/id/126245/name/FRONTEX

Tagesspiegel online
http://www.tagesspiegel.de/dritte-seite/archiv/30.10.2006/2866204.asp

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