Gerhard Kohlmaier, Aktivist der Steuerinitiative im ÖGB und Mitinitiator des „Aufruf zu einer Wahlgemeinschaft“, wirft einen kritischen Blick auf die kommenden Wahlen – und darüber hinaus.
In einer Woche werden die wahlberechtigten ÖsterreicherInnen eine Entscheidung treffen, welche Parteien in den nächsten Jahren, vielleicht nur Monaten, im Parlament tätig sein werden. Nach den derzeitigen Umfragen dürften – neben den bisher vertretenen Parteien im Parlament – auch noch die eine oder andere Minipartei im neuen Parlament vertreten sein.
Trotz der berechtigten Enttäuschung der WählerInnen vom vergangenen Regierungskabarett, welches – in den wesentlichen Fragen mit den Oppositionsparteien einig – gegen die Interessen der Mehrheit des Volkes regierte, scheinen die WählerInnen wiederum überwiegend auf die etablierten Parteien zu vertrauen. Warum ist das so, warum wählen die BürgerInnen mehrheitlich doch immer wieder die Parteien, von denen sie in der Vergangenheit enttäuscht worden sind? Ich denke, dass es dafür mehrere gewichtige Gründe gibt:
1. Die Parteipolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist für die Mehrheit der BürgerInnen so unglaubwürdig geworden, dass nicht mehr Inhalte gewählt werden, sondern Gesichter, Stimmungen, Präsentationen. Wahlveranstaltungen nehmen daher immer mehr den Charakter des Musikantenstadls an und nicht einer ernsthaften, demokratischen Auseinandersetzung mit Problemen der Zukunft.
2. Die Nachhaltigkeit der Politik spielt nahezu keine Rolle mehr für oder gegen eine Wahlentscheidung, Parteien wird nicht vertraut. Ihre Versprechen, um an die Macht zu kommen, werden von den WählerInnen nicht mehr ernst genommen. Wohl aber kann die Partei punkten, von deren Versprechen sich die WählerInnen zumindest kurzfristig einen Vorteil erwarten. Viele WählerInnen greifen somit nur allzu gerne nach dem vermeintlich in Aussicht gestellten 5€-Vorteil, ohne zu bedenken, dass dieser nach der Wahl schnell in einen x-fachen €-Nachteil umgewandelt werden wird.
3. Die wichtigen politischen Themen werden von den Parteien in Wahlkämpfen überwiegend ausgespart. So spielt derzeit die Sanierung des Gesundheitsbereiches zwar in allgemeinen Beteuerungen, wie wichtig diese sei, eine Rolle, konkrete Konzepte für eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheits-, Pflege- und Altersvorsorgebereichs liegen nicht vor. Ebenso verhält es sich mit der Sicherung des staatlichen Pensionssystems sowie der Maßnahmen für den Klimaschutz. Dass Österreich in Kürze 1,5 Milliarden Euro an Strafe dafür zahlen wird, weil es die Kioto-Ziele nicht erreicht, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass wir in diesem Bereich mit einer enormen finanziellen Belastung für die Zukunft rechnen müssen. Von einer dringend notwendigen Änderung unseres gesamten Steuersystems wird bewusst abgesehen, die anvisierte Steuer“reform“ verkommt immer mehr zu einer Farce, welche den Gedanken einer wirklichen Umverteilung bewusst ausspart. Ohne eine solche Umverteilung sind jedoch die Wahlversprechen der Parteien keinen Pfifferling wert.
4. Die Berichterstattung der Medien, allen voran der ORF, über die Konzepte anderer, kleinerer Gruppierungen und Parteien, die bei dieser Wahl antreten, wird nahezu auf Null reduziert. Die Information der WählerInnen darüber ist dementsprechend gering. Andererseits betätigen sich große Medien als Wahlhelfer und üben einen nicht unbeträchtlichen Druck auf die Wahlentscheidung der BürgerInnen aus.
5. Wahlentscheidungen sind im Wesentlichen keine Entscheidungen mehr für oder gegen eine bestimmte Art von Politik, sondern nur mehr Entscheidungen für oder gegen Machtpositionen, auf welche die WählerInnen in der Folge sukzessive Einfluss verlieren. Unter solchen Bedingungen wird das formaldemokratische Prinzip der Entscheidung der WählerInnen an der Mitgestaltung der Politik nach dem Wahltag schnell ins Gegenteil einer realdemokratischen Ohnmacht umgewandelt.
Auch die neu kandidierenden Parteien schaffen es nicht, sich diesen Regelkreisen eines problematischen Parteidenkens zu entziehen, weil sie einerseits diese Politik nicht entscheidend verändern können, wenn sie nicht selbst im Parlament sitzen, andererseits diese Hürde nicht zu überwinden vermögen, weil sie selbst wie Parteien agieren und daher für die WählerInnen keine ernsthafte Alternative darstellen. Zudem haben sie es nicht in der Hand – gemessen an den Erwartungen der WählerInnen vom wenigstens kurfristigen Vorteil ihrer Wahlentscheidung – glaubhaft zu machen, dass gerade eine Stimme für sie von kurzfristigem Vorteil für die WählerInnen ist.
Unter den skizzierten Bedingungen ist zum kommenden Wahlsonntag das zu sagen, was ich bereits in meinem Kommentar zu den letzten Nationalratswahlen geschrieben habe: „Österreich hat eine neue Regierung. Mehr nicht!“ (siehe unter: http://www.steuerini.at/download.htm ).
Nach diesem Wahltag wird sich ein weiteres Mal zeigen, dass – unter den gegebenen Bedingungen – diese Art der Entscheidung auf die tatsächliche Politik der Zukunft in unserem Land, aber auch in allen anderen westlichen Demokratien, letztlich ausgedient hat. Wir müssen uns wieder jener demokratischen Möglichkeiten besinnen, durch die das Volk direkt Einfluss auf das politische Geschehen hat. Dazu gehört das wichtige Instrumentarium einer Volksabstimmung, deren Ergebnis von den regierenden Parteien umgesetzt werden muss. Dazu gehört aber auch ein neues Verständnis von wahlwerbenden Gruppierungen, eines, in dem nicht Partei- und Machtstrukturen im Vordergrund stehen, sondern einzig und allein der Wille der WählerInnen. Das Programm solcher Gruppierungen kann nicht eines sein, das die RepräsentantInnen den WählerInnen vorgeben. Die WählerInnen haben die Repräsentantinnen zu sein, die Gruppierung selbst ist nicht mehr als ein Koordinator. So lange, bis daraus eine Gemeinschaft entsteht, eine Wahlgemeinschaft. Dieser Gedanke, der seit Monaten von der „Steuerinitiative“ und von der „Umverteilung“ www.umverteilung.at vertreten wird und zu dem sehr detaillierte Vorschläge bestehen (siehe: http://www.steuerini.at/aufruf_zu_einer_wahlgemeinschaft.htm) wird nach dieser Wahl weiter an Bedeutung gewinnen. Eine Wahlgemeinschaft innerhalb der Zivilgesellschaft vermag all jene negativen Begleiterscheinungen von Parteien im herkömmlichen Sinne hintan zu halten und zu einer wirklichen Bürgerbewegung im Parlament zu werden. Wir brauchen solche Aktionseinheiten der BürgerInnen, um unseren berechtigen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen.
(Gerhard Kohlmaier, 21.9.08)
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