Bekanntermaßen leidet der österreichische Nationalrat unter einem zu liberalen Wahlrecht und ist deswegen durch „extreme und kurzlebige Parteien“ blockiert. Zumindest behaupten das seit Neuestem SPÖ-Mandatare. Wahrscheinlich wäre ihnen lieber, wenn es nur mehr rot und schwarz gäbe. Die KPÖ sieht das verständlicherweise etwas anders.
Als demokratiepolitischen Rückschritt in das 19. Jahrhundert bezeichnet KPÖ-Bundessprecher Mirko Messner den Vorstoß einer Gruppe von SPÖ-Abgeordneten für ein Mehrheitswahlrecht: "Dass dies ausgerechnet hundert Jahre nach dem großen Erfolg der Sozialdemokratie bei der Wahl von 1907 als Ergebnis der von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften Wahlrechtsreform erfolgt, beweist nur, dass die SPÖ ihre eigene Geschichte überwunden hat und statt auf Demokratisierung auf autoritäre Politik setzt", so Messner.
Nach den Vorstellungen der vom SPÖ-Rechtsaußen Norbert Leser kräftig assistierten SPÖ-MandatarInnen Jörg Leichtfried, Elisabeth Grossmann, Christian Füller und Hannes Schwarz sollten die Nationalratsabgeordneten künftig direkt in 183 Einer-Wahlkreisen mit absoluter Mehrheit gewählt werden, bei Nichterreichen einer solchen wäre eine Stichwahl erforderlich. Damit würde nach eigenen Worten der "Einzug extremer und kurzlebiger Parteien" erheblich erschwert und faktisch ein Zweiparteiensystem etabliert. Die als Alibi angeführte Möglichkeit Wahlbündnisse zu schließen würde dabei die Unterwerfung von Kleinparteien unter das Diktat der Großparteien und widerliche Packeleien zur Folge haben.
Hinter dem Vorstoß für ein Mehrheitswahlrecht und dem Wunsch nach "klareren politischen Strukturen und Verantwortung abseits von Koalitionszwängen" steckt in Wirklichkeit die zunehmende Austauschbarkeit der auf die neoliberale Politik eingeschworenen Parlamentsparteien: "Statt die Gründe für den Vertrauensverlust der Menschen in die Politik zu hinterfragen, möchten Leichtfried & Co. ein Wahlrecht, bei dem sie mit 30 Prozent der Stimmen möglichst 60 Prozent der Mandate erreichen", so Messner. Ein Blick auf mit absoluter SPÖ-Mehrheit regierte Länder wie Wien zeigt, dass sich deren Politik höchstens in Nuancen von der politischen Praxis des Bundes oder jener der von Koalitionen regierten Länder unterscheidet.
In einer jetzt den Parlamentsklubs zugeleiteten Stellungnahme zur geplanten Wahlrechtsreform begrüßt die KPÖ das in einigen Bundesländern für Landtags- und Gemeinderatswahlen bereits eingeführte Wahlrecht mit 16 auch bei Nationalratswahlen und sieht auch in der Briefwahl eine gewisse Verbesserung. Sie ist jedoch aus Datenschutzgründen skeptisch bezüglich einer elektronischen Stimmabgabe und lehnt die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre entschieden ab, da dies die Wahlmöglichkeit der BürgerInnen deutlich einschränkt.
"Die zentrale Frage einer Wahlrechtsreform ist allerdings, dass jede Stimme gleichviel wert sein muss", meint Messner und fordert die Abschaffung der Grundmandatshürde und der 4-Prozent-Klausel. Das derzeitige Wahlrecht verlangt ein (ca. 26.000 Stimmen teures) Grundmandat in einem der 43 Regionalwahlkreise im ersten Ermittlungsverfahren oder mehr als vier Prozent der Stimmen im zweiten (auf Landesebene) und dritten (auf Bundesebene) Ermittlungsverfahren um ein Mandat im 183-köpfigen Nationalrat zu erreichen.
Damit sollen der Einzug von Kleinparteien ins Parlament verhindert, klare Mehrheiten erreicht und die Regierungsbildung erleichtert werden. Das Ergebnis der Nationalratswahl 2006 widerlegte dies jedoch durch eine langwierige Regierungsbildung, die letztlich zur Neuauflage der großen Koalition führte. Länder wie etwa Estland, Finnland, Belgien, Niederlande oder die Schweiz, wo es keine derartigen Mandatshürden gibt, beweisen hingegen, dass dies nicht nur mehr politische Vielfalt in den jeweiligen Parlamenten, sondern auch konstruktive Regierungsbildungen ermöglicht. Strikt abgelehnt werden von der KPÖ alle Bestrebungen ein Mehrheitswahlrecht einzuführen. Beispiele wie Italien zeigen, dass damit keineswegs eine bessere Regierungsfähigkeit erreicht wird.
Eine demokratische Wahlrechtsreform müsste auch die Abschaffung der undemokratischen Unterstützungserklärungen beinhalten. Während für Wahlvorschläge der Parlamentsparteien die Unterschrift von drei Abgeordneten genügt - die zudem für beliebig viele Parteien unterschreiben können - müssen andere Parteien bundesweit 2.600 beim Gemeindeamt zu leistende Unterstützungserklärungen aufbringen, die jedoch explizit nur für eine Partei anerkannt werden.
Eine weitere Schlüsselfrage einer demokratischen Wahlrechtsreform ist die Einführung des Wahlrechts für MigrantInnen. Derzeit sind lediglich BürgerInnen anderer EU-Mitgliedsländer bei Europaparlamentswahlen und Gemeinderatswahlen wahlberechtigt. Menschen aus Nicht-EU-Ländern sind hingegen vom Wahlrecht generell ausgeschlossen: "Die KPÖ ist der Auffassung, dass Menschen die in Österreich leben, arbeiten, Steuern und Abgaben zahlen auch alle Rechte, darunter auch das Wahlrecht erhalten müssen", so Messner abschließend. |