Am 7. 11. 2006 fand im Café Zuckergoscherl im 3. Wiener Gemeindebezirk eine Veranstaltung über Ungarn statt, in der seitens des Vortragenden, der Moderatorin wie des Publikums manifester Judenhaß zum Ausdruck kam.
Eine der zahlreichen Seiten im Internet, die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, harmlos und unbedarft Wien-Tourismus und ein wenig „andere“ Jugendkultur zu animieren, „The Other Site“, schreibt über den Veranstaltungsort: „Hinter dem Rochusmarkt liegt das Café Zuckergoscherl. Es ist von den Sitzgelegenheiten her gemütlich ausgestattet, nur der hintere Raum Richtung WC wirkt durch seine breiten, blauen Längsstreifen etwas beklemmend.“ Mag´s an der blauen Farbe liegen?
Ein Cluster von rechten Organisationen, alle unter der guidance der FPÖ, tritt dort auf: Besipielsweise der „Club 3“ der IFF (Initiative Freiheitlicher Frauen) oder eine Bürgerinitiative gegen den Drogenhandel. Der Wiener Senioren-Kurier, Organ des freiheitlichen Wiener Seniorenrings kündigte auf seinem „Blauen Brett“ für den 7. November eine Veranstaltung mit István Kádár an, einem Journalisten der rechtsnationalen und weitverbreiteten ungarischen Zeitschrift „Demokrata“. Sein Vortrag hatte den Titel „Hat Ungarn noch eine Chance?“ Der Senioren-Kurier kündigte auch die Gedenkveranstaltung an, die für den Wehrmachtsflieger Nowotny am 12. 11. 2006 am Zentralfriedhof abgehalten wurde.
Moderatorin der Ungarn-Veranstaltung war Katalin Clemente-Palma, Lehrerein und Malerin, nach dem Volksaufstand aus Ungarn nach Kanada geflüchtet, nun wieder in der Region. Von der FPÖ ließ sie sich zur Wahl aufstellen. Ihre moderierende Funktion beschränkt sich nicht auf diese Veranstaltung, ihre Telefonnummer wird als Kontakt bei vielen anderen Veranstaltungen des Club 3 angegeben, etwa beim Vortrag, den Otto Scrinzi am 21. 11. im erwähnten Café Zuckergoscherl unter dem Titel „Hat Ideologie noch eine Zukunft?“
Der Wiener Seniorenring ist laut eigenen Angaben „ein selbständiger Verein. Da wir auch im Vorfeld der FPÖ tätig sind, wird selbstverständlich hin und wieder politisiert.“ So heißt es in der Kategorie „Wir über uns“ auf der Homepage des Wiener Seniorenrings.
Ein wenig politisiert haben an jenem Abend auch unsere Frau Katalin, sowie der Herr Kádár, und das Publikum.
Frau Clemente hat zum Einstieg eine ziemlich gut gemachte Photoausstellung von ihr präsentiert. Man sieht dort extrem verarmte Ungarn der Unterschicht, insbesondere Frauen in einem Altersheim, die Frauen haben verzweifelte Gesichter oder solche, in denen Resignation und Ausgeliefertsein bereits groteske Züge annehmen, das Altersheim erinnert in seiner Dürftigkeit und Ärmlichkeit an irakische Spitäler. An sich eine perfekte Sozialreportage.
Daneben sind Aufnahmen von chinesischen Unternehmungen zu sehen, vor denen Luxusautos geparkt sind, die so prägnant aufgenommen sind, das man damit sofort glänzende Luxusschlitten von Mafiabossen assoziiert. Die chinesischen Unternehmer sind seit mehr als einem Jahrzehnt im Visier der radikalen Rechten, und auch in moderaten bürgerlichen Blättern Westungarns, wie Kisalföld („die Kleine Ungarische Tiefebene“), finden sich systematisch Artikel über neue chinesische Geschäfte und ihre Dumping-Politik, insbesondere wird vermerkt, welche traditionellen Gaststätten oder sonstigen Begegnungsorte diesen chinesischen Warenhäusern weichen mussten.
In scharfem Kontrast zu den Bildern über das „Spekulantenkapital“ der Chinesen stehen einige opulente Bilder von Budapester Luxus-Kaffeehäusern. „Das war das Café Zentral“, erklärt Frau Katalin Clemente-Palma, „heute heißt es“, und sie erhebt ganz leicht ihre Stimme, „New York!“ Zynisches Gelächter im Publikum. Ein Schäuferl wird nachgelegt: „Sie wissen schon, welche Intellektuellen sich das damals schon gut leisten konnten.“ Und zum Thema Chinesen erklärt sie den unbedarften Österreichern: „Die Ungarn haben ungefähr so viel Probleme mit den Chinesen wie wir mit den Türken.“
Nun kommt das Thema Armut. Damit können sie punkten. Der Protest gegen die Verarmung steht im Zentrum der Propaganda der neuen ungarischen radikalen Rechten, die sich insbesondere am Kossuth-tér neukonstituiert hat. Hier sind sie sehr realistisch. Clemente-Palma beklagt, dass so viele Pflegekräfte in den Westen gehen, wo sie besser bezahlt werden. Soziale Forderungen für das ungarische Proletariat erhebt sie allerdings in ihrem Vortrag nicht. Zu den wahrlich erschütternden Aufnahmen alter und alleingelassener Frauen sagt sie: „Putzfrauen füttern diese alten Menschen“. Und man gibt, so berichtet sie, dem Personal 1000 Ft in die Hand, damit sie dann die Alten füttern.
István Kádár beginnt mit der aktuellen Parteipolitik. Die antikommunistische MSZP (Ungarische Sozialistische Partei) wird „Postkommunistische Partei“ genannt, sie wird unterstützt durch die „sogenannten Freien Demokraten“ (gemeint ist die SzDSz), alternierend auch als die „sogenannte sozialliberale Partei“ bezeichnet, die, wie Kádár erklärt, „eine nicht so heimische Mentalität hat, die nationsfremd ist, und da hab ich mich noch ziemlich sanft ausgedrückt. ... Diese Kerle sind an ihren Stellen geblieben, und wie sehen die gleichen Gesichter, und sie benehmen sich unerträglich.“
Dann folgt ein großer historischer Schwenk: Ethnisiert wird jetzt die kommunistische Nachkriegsregierung. Eine Verräterregierung! „In den Verträgen steht, dass die Sowjetarmee nur so lange bleiben konnte, bis die Nachschublinien nach Österreich gesichert waren. ... In der ersten Regierung dieser politischen Besatzer waren auch fünfzig dieser ,Nationsfremden' [Gelächter im Publikum] vertreten.“
Es werden die strengen und vorpreschenden Judengesetze des Horthy-Regimes erwähnt. Dazu heißt es: Die Juden „waren auch nicht mehr oder weniger als die übrigen Minderheiten“. Was unwahr ist, denn im „alten“ Ungarn lebte eine Million Juden, ein hoher Anteil also im europäischen Vergleich, und die progressive Geschichtsschreibung erwähnt häufig die verhältnismäßig glückliche „Symbiose“ (so heißt es häufig mit retrospektiver Trauer, etwa bei Fejtö) zwischen jüdischen und nichtjüdischen Ungarn, die in Ungarn im Vergleich mit anderen Ländern sehr entwickelt war, und dies auf der Ebene des Bürgertums, der Intellektuellen und des politisch bewußten und aktiven Proletariats.
Sowas ficht den Herrn Kádár aber nicht an, und zum Holocaust meint er: „Ich würde nicht sagen, dass alle verschont wurden!“ Und damit man ihn nicht mißversteht: „Aber die Zahlen stimmen vorne und hinten nicht.“
Die Ausgerotteten sind die Unterdrücker: „Kein Zufall, dass viele Leute die Unterdrückung durch diese Minderheit erlebt haben ... von den Juden, so muß ich sprechen, ich kann da nicht herumreden. Auch in der roten Räterepublik hatten wir eine ähnliche Situation. Von 17 Personen waren 13 von diesem Schlag. Auch keine gute Erbschaft!“
Der Dreck konnte sich vor dem Faschismus retten. „Die schlimmsten, die keine menschlichen Qualitäten hatten, konnten überleben [in der Sowjetunion, Anm. AuO]. Der Abfall, der Mist hat überlebt, die sind mit der Roten Armee 1945 zu uns zurückgekommen.“
Nun kam mit der bürgerlichen Antall-Regierung ja doch die Befreiung? Nicht ganz. „Die Rache nach der Revolution [von 1956, AuO] war schlimm, und die Enkel dieser Leute sind heute an der Macht. ... Die Bauernpartei, die Christdemokraten, die Sozialdemokraten sind während der letzten Regierung [vor der Wende, AuO] wieder herausgekommen, und die Fidesz.“. Sie wird zunächst als „die konservative Partei“ bezeichnet, sie sei aber „unzufriedenstellend“. In der Folge werden die Fidesz-Politiker ständig als „Halbkonservative“ bezeichnet, als wären sie Verräter an der echten nationalen Sache. „Es blieben die Postkommunisten, die Freien Demokraten, das sind also diese Außerirdischen!“ (Großes Gelächter im Publikum).
Das Ausbleiben einer Siegerjustiz wie in Deutschland ist Kádár besonders ein Dorn im Auge und wird dem Verfassungsgericht angelastet: „Mörder und Staatsverräter können nicht zur Rechenschaft gezogen werden. [...] Das betrifft auch Leute, die gemordet haben. [...] Der Verfassungsrichter war zwei Perioden im Amt, jetzt ist er Staatspräsident [László Sólyom, Anm. AuO]. Auch von der gleichen Abstammung.“ Und er fügt hinzu: „Es gibt ein Gerücht, dass er der Enkel von Kun Béla ist.“
Da mussten die Leute ein wenig herumrätseln. Denn ihr antikommunistischer Tiefblick reichte nicht bis zur Räterepublik. Nachdem mehrere Male „Béla Kun“ wiederholt wurde, schnallt einer aus dem Publikum und ruft laut: „Aber der ist ja auch ein Jud!“
Ein wenig wird auch 1956 gestreift und die drei ursprüngliche Kandidaten für das Amt des Ministerpäsidenten der Regierung, die nach der Niederschlagung des Aufstands eingesetzt wurde: János Kádár, Ferenc Münnich und Antal Apró. Apró koordinierte als stellvertretender Ministerpräsident die militärische Niederschlagung des Aufstandes.. „Apró ist der drittgefährlichste gewesen". Publikum: „Auch jüdisch?" Kádár: „Auch jüdisch!“ (Eine Frau lacht laut auf). Kádár: „Braucht man nicht einmal dazu sagen, denn meist trifft das zu!"
Die sozialistischen Politiker, meist Juden, hätten ganze Fabriken aufgekauft „und wir sind da einfach unfähig, wir neuneinhalb Millionen, die wir da im Regen stehen!"
Vor drei Jahren hätte ein Putsch stattgefunden. Bei dem Putsch, wo der Medgyessy (der vorangegangene Ministerpräsident, AuO) gekauft wurde, wurde keine Abstimmung im Volk abgehalten, „Gyurcsány wurde von den Abgeordneten zum Ministerpräsidenten gewählt. Einem geht das Taschenmesser in der Tasche auf!" (Gelächter. Stimme im Publikum: „Das ist zu wenig!“ Ein Anderer: „Wieso lebt der noch?“)
In der Folge ging es um das Sowjetische Siegesdenkmal. „In der Mitte des Freiheitsplatzes steht seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Denkmal der Roten Armee mit dem verbotenen Roten Stern. Die Sowjetarmee gibt es nicht mehr, also hat es nichts mehr hier zu suchen. Außerdem sind dort nicht, wie behauptet wurde, Soldaten begraben, die man an sich, als Tote, respektieren muß. [...] Der 50. Jahrestag wäre ein ausgezeichneter Anlaß gewesen, das [...] zum Verschwinden zu bringen. Das Denkmal ist vielen ein Dorn im Auge.“ Damit wollte er offensichtlich den Demolierungsversuch rechtfertigen.
Über den Angriff aufs Fernsehen und die anschließende Verwüstung des Fernsehens durch einen eindeutig rechtsradikalen Schläger-Mob, was aus einer Online-Dokumentation auf Hír-TV, dem Kanal, der der Fidesz nahesteht, eindeutig hervorgeht, meint er: „Der Weg führt zum Fernsehen", nochmals mit Nachdruck: „Fernsehen: der Lügenkanal.. Einige begannen da, vielleicht etwas übertrieben, Skandal zu machen", verharmlost Kádár den pöbelhaften Verwüstungsakt.
Inzwischen war ein Körberl herumgereicht worden. Die Leute gaben jeder mindestens 10 Euro, wenn nicht 20 oder mehr. Mindestens 200 Euro, wenn nicht mehr, dürften sich in dem Simperl angesammelt haben. Das Publikum wurde auf einen weiteren Zweck der Sammlung aufmerksam gemacht, es wurde Scrinzis ins Haus stehender Besuch angekündigt: „Primarius Otto Scrinzi kommt zu uns, für ihn müssen wir die Reise bezahlen." Aus dem Publikum gibt´s eine Menge Rancune, es wurde beklagt, dass sich hier jeder für „verprügelte Drogenhändler“ und „Zigeuner“ einsetze, es ging gar die Rede von einer „jüdischen Kulturdiktatur“. Eine Frau stellt eine Frage zu den „Zigeunern“: „Wie nennen sich die Zigeuner in Ungarn? Zigeuner oder Roma?“ Kádár: „Der ungarische Zigeuner sagt Zigeuner, der nicht-ungarische Jude sagt Roma!“
Also eine jüdische ideologisch-sprachliche Verschwörung! Wahrheit ist, dass in der sehr vielgestaltigen ungarischen politischen Roma-Landschaft im Sinne der politischen Vertretung und Selbstvertretung der cigányok im Gegensatz zum deutschen politischen Sprachgenbrauch sowohl die Bezeichnung roma verwendet wird, entweder bei der Bezeichnung Roma-Parlament, daß aber auch cigány, Mehrzahl cigányok, die ungarische Entsprechung für „Zigeuner“, und zwar auch in nicht-pejorativer Bedeutung verwendet wird, etwa beim Magyarországi Cigány Szervezetek Fórum (MCF), dem Forum der Organisationen der Zigeuner Ungarns, dessen vor kurzer Zeit entstandener Partei-Arm die MCF Roma Összefogás Párt ist, die Roma-Sammelpartei des Orbán Kolompár, eine der interessantesten politischen Innovationen der letzten Zeit.
Mit solchen Details hält aber der Herr Kádár sein Wiener Publikum nicht auf, ja er leistet seinen Beitrag dazu, dass die Kenntnis der österreichischen Bevölkerung über ungarische Belange weiterhin auf einem Nullpunkt gehalten wird. Ohne Zweifel spielt Kádár auf die Összefogás Párt an, wenn er folgendes von sich gibt: „Es gibt schon wieder Zigeunerorganisationen, die schon wieder dieses Spiel spielen.“ Und er berichtet über einen Fall, der weithin von der nationalen Rechten ausgeschlachtet wurde, wo ein Mädchen von „Zigeunern“ „überfahren“ wurde. Und er präzisiert das ein wenig: „Ein großer Teil der Bevölkerung ist sofort danach an das andere Ufer der Theiß geflüchtet. Es gibt nämlich Gruppen, die fähig sind, Rache auszuüben,“so Kádár.
Unser undercover-Mann gab sich bieder und fragte: „Meinen Sie jetzt Gruppen der Zigeuner oder von unseren Leuten?“ Darauf Kádár: „Unsere.“
István Kádár propagiert also in Österreich und vor einem Wiener Publikum existierende ungarische Rachebrigaden der radikalen Rechten, die gegen Roma vorgehen.
Bei dieser Gelegenheit soll nicht verschwiegen werden, dass sich der Rassenhaß des Klumpens ebensosehr gegen die Moslems richtet, wie man leicht aus dem Veranstaltungsprogramm des Blauen Bretts“ entnehmen kann.
Nun folgt ein kleiner Abgesang der Frau Catalin Clemente-Palma. Sie berichtet über ein Gymnasium der Budapester Innenstadt, das sie besucht hatte, „das beste Gymnasium“. „Welche Zusammensetzung mag es dort gegeben haben?“ Das Publikum errät es ohne Schwierigkeit. „Zwei [ihrer Mitschüler, AuO] kamen sofort zu den Gardisten. Ein Mädchen, das kaum Leistungen aufweisen konnte, kam sofort zum Fernsehen, einer ist nach der Wende Staatssekretär geworden.“
Es wird weiter gesammelt. Ein ehemaliger, jetzt pensionierter, Mitarbeiter des Wiener Ost- und Südosteuropa-Instituts legt 10 Euro in das Kádár-Scrinzi-Körberl. Er berichtet von einer vorangegangenen Ungarn-Veranstaltung in der Wiener Universität und meint dazu, etwas kryptisch: „Man benutzt die Revolution, um die Diktatur dem heutigen System gegenüberzustellen.“ „Wir sind da froh, dass wir heute eine Demokratie haben!“ heißt´s da aus dem Publikum.
Das soll eine Demokratie sein, in der sowas gedeiht? |