Samstag, 24. Januar 2009
 
Folgsam und katholisch PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Dienstag, 17. April 2007

Das waren noch Zeiten, als der Wiener Bürgermeister die ausländischen Arbeitskräfte am Flughafen empfing. Rund 400 Krankenschwestern aus den Philippinen wurden Mitte der 1970er Jahre auf Kosten der Stadt eingeflogen und nach dreimonatigen Crash-Kurs in Deutsch auf die Krankenhäuser der Stadt verteilt.

Angelina Banke

Violeta Cardenas war nicht bei der allerersten Gruppe dabei. Sie wurde 1975 gemeinsam mit 24 Kolleginnen nur von einem Magistratsbeamten empfangen. „Dann bekamen wir ein halbes Grillhendl“, das als viel zu groß für eine Person betrachtet wurde: „ Bei uns hätte davon eine ganze Familie gegessen.“ Damit waren die positiven Eindrücke von der österreichischen Küche auch schon erschöpft. Das Schwarzbrot, das als Beilage serviert wurde, schmeckte für den asiatischen Gaumen scheußlich. Reis gab es keinen. Und ein Essen ohne Reis ist auf den Philippinen kein Essen. Inzwischen hat sich Violeta, die mittlerweile Cetl heißt, an die hiesige Kost gewöhnt und kocht zu Hause selbst teilweise österreichisch. Damals habe sie „kübelweise geheult“, erinnert sich die Frau, die sich zur stellvertretenden Stationsschwester, die sich in der fremden Welt nicht gleich zurecht fand und im Spital zunächst für Putzdienste herangezogen wurde: „Jeden Morgen hat man mir einen Kübel, einen Fetzen und eine Flasche ATA gegeben“. In den Philippinen ist Krankenpflege ein hoch geachteter Beruf, dem eine solide Ausbildung vorausgeht. Die Abwertung, die sie in am AKH in Wien erfuhr, war kränkend und demütigend. Bald plante Violeta mit ihren Kolleginnen, möglichst schnell wieder nach Hause zu fliegen. Doch sie hatten einen Vertrag für drei Jahre unterschrieben. Wollten sie vorher weg, hätten sie die Flugkosten ersetzen müssen.

Heimweh hat Angelina Banke keines mehr. „Ich habe meine Leute und mein Essen“. An das raue Klima hat sie sich gewöhnt. Sie wurde nicht angeworben, sondern kam vor 30 Jahren in Begleitung ihres Mannes, der an der La Salle Universität in Manila als Elektroingenieur lehrte, entsandt vom Institut für Internationale Zusammenarbeit, das inzwischen in Horizont 3000 aufgegangen ist. Die heute 63Jährige hatte am Goethe-Institut in Manila bereits Deutsch gelernt. Ihr Plan war, in Europa Kindergärtnerin zu lernen: „Bei uns gibt es so etwas nicht“. Sie hatte also keine Sprachprobleme und gleich Familienanschluß, als sie nach vier gemeinsamen Jahren in Afrika ihrem Mann Manfred folgte.

Auf 30.000 schätzt Botschafterin Linglingay Lacanlale die Stärke der philippinischen Community in Österreich. Sie war erstaunt, in den offiziellen Unterlagen nur 2500 philippinische Staatsbürger zu finden, die in Österreich gemeldet sind. Das liegt wohl daran, dass die meisten längst eingebürgert oder hier geboren sind. In den 1980er Jahren war der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft noch nicht mit so vielen Schikanen verbunden, wie heute. Von den Kolleginen von Violeta Cardenas wanderten viele weiter in die USA oder nach Kanada. Einige kehrten nach Ablauf des Vertrages auch wieder nach Hause zurück.

Ihnen ging es nicht so schlecht, wie vielen, die von Maria Corazon Bantog in Davao, der Hauptstadt der Insel Mindanao, betreut werden. Sie kommen von einem Auslandseinsatz krank nach Hause, mißhandelt von den Arbeitgebern und oft ohne einen Peso in der Tasche. Das von der Katholischen Frauenbewegung (kfb) unterstützte Center for Overseas Workers hilft mit psychologischer Beratung, Starthilfe für Rückkehrerinnen und auch Beratung für jene, die einen Job im Ausland annehmen wollen. Maria Corazon selbst wurde im Libanon wie eine Sklavin gehalten. In Österreich muß man solche Extremfälle nicht fürchten. Doch wurden aus zwei nahöstlichen Botschaften Fälle von Mißhandlung philippinischer Hausangestellter bekannt. Und so manche Filipina, die meinte, in Österreich die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben, landete geprügelt im Frauenhaus.

Menschliche Arbeitskraft ist einer der wichtigsten Exportartikel der Philippinen. Die IBON Foundation, einer der wichtigsten Think Tanks der Philippinen, schätzt die Geldsendungen der Auslandsarbeiterinnen und – arbeiter im Jahr 2006 auf über zehn Milliarden Euro. Rund elf der etwa 90 Millionen Einwohner, arbeiten im Ausland. Täglich verlassen 3000 weitere das Land, so eine Studie der IBON Foundation. Die wichtigste Ursache sei nach wie vor der Mangel an guten Arbeitsplätzen für die besser Qualifizierten, und die Flucht vor der Armut für die wenig Gebildeten. Private Agenturen, die beim Arbeitsministerium registriert sein müssen, machen mit der Jobvermittlung glänzende Geschäfte. Manchmal wird die Unerfahrenheit der Vermittelten brutal ausgenützt. Maria Corazon Bantog unterschrieb in Manila einen Vertrag, der ihr 200 Dollar Monatslohn und einen freien Tag zusicherte. Kaum in Beirut angekommen, bekam sie einen neuen Vertrag über nur mehr 150 Dollar vorgelegt. Der freie Sonntag war gestrichen.

Krankenpflege und Hausarbeit zählen zu den beliebtesten Beschäftigungszielen. Violeta Cardenas entschied sich einst für die Krankenschwesternschule, weil sie einen Posten in den USA anstrebte. Der Zufall wollte es, daß die Stadt Wien damals den Bedarf an Krankenschwestern für ihre 14 Spitäler nicht decken konnte. Vor der schweren und unterbezahlten Arbeit schreckten die einheimischen Kräfte zurück.

Für Österreich hat sich der Import gelohnt. Filipinas sind allgemein beliebt. „Sie kümmern sich um die Patienten, wie um eigene Angehörige“, meint Botschafterin Lacanlale. Und Angelina Banke kennt noch andere Gründe: „Wir sind klein, wirken daher nicht bedrohlich, folgsam und katholisch.“ Rassistische Beschimpfungen sind daher relativ selten. „Ein Patient hat mir einmal gewünscht, daß der nächste Tsunami die Philippinen vernichtet“, erinnert sich Violeta Cetl. Sonst seien ihre Patienten eher dankbar und freundlich.

Anschluß fanden die meisten leicht. Den gut aussehenden, schlanken Asiatinnen liefen die einheimischen jungen und weniger jungen Männer bald nach. Auch Violeta, die sonst kaum ausging, lernte ihren Mann bei einem Disco-Besuch mit Freundinnen kennen.

Angelina Banke hat in Wien die Blumentritt-Rizal-Gesellschaft gegründet. Ferdinand Blumentritt (1853-1913) war ein böhmischer Gelehrter, den eine lebenslange Freundschaft mit dem philippinischen Unabhängigkeitshelden José Rizal verband. Rizal, studierte in Deutschland Augenheilkunde studierte und besuchte den Ethnologen in Leitmeritz. Einmal war er auch einige Tage in Wien. Blumentritt publizierte über 240 Artikel über das Land, das er nie aus eigener Anschauung kennenlernte. Angelina Banke hat einige davon in Bibliotheken aufgestöbert und ins Englische übersetzen lassen.

Der 30. Dezember, an dem man der Hinrichtung des Patrioten Rizal 1896 gedenkt, ist neben dem Unabhängigkeitstag am 12. Juni eine der Gelegenheiten, bei der sich die Community trifft. Filipinos und Filipinas in Österreich sind in zahllosen Vereinen und Gruppen organisiert, mindestens 64: mehrere Schwesternvereinigungen, regionale Klubs in den Bundesländern und eine Anzahl von religiösen Gruppen.

In Wien gibt es zwei Kirchen mit philippinischen Priestern, wo eigene Filipino-Messen gelesen werden. Anschließend wird gegessen, denn jeder bringt etwas mit. Wo immer Filipinos zusammenkommen, wird musiziert und gegessen. Fast alle sind mit hohem musikalischem Talent ausgestattet. Der 1989 geborene Patrick Ferolino Anastacio wurde bei den Sängerknaben aufgenommen. „Leider kennt die zweite Generation unsere Lieder und Tänze nicht mehr“, klagt Angelina Banke. So wurde letzten Sommer auf ihre Initiative ein Lehrgang an der Botschaft angeboten, wo Freiwillige jeden Samstag versuchten, den Söhnen und Töchtern der Einwanderer Geschichte und Brauchtum der Philippinen nahezubringen. „Es war ein großer Erfolg“, sagt Botschafterin Lacanlale. Nächsten Sommer soll es wieder einen Kurs geben. Weil nicht nur die Kinder, sondern auch viele österreichische Ehemänner sich interessieren, wird ein größeres Lokal gesucht.

Krankenschwestern werden schon lange nicht mehr importiert. Der Bedarf wird heute im Wesentlichen aus den östlichen Nachbarländern gedeckt. Eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung zu bekommen, wird immer schwieriger. Dennoch ist die Anzahl von Filipinas und Filipinos, die abgeschoben wurden, gering, weiß Konsul Josel Francisco Ignacio.

Die zweite Generation lebt mit einer doppelten Identität. Kristina Cetl, die heuer in Wien maturiert, sagt immer, sie sei halbe Filipina. Aber mit der Oma, die sie mehrmals besucht hat, kann sie sich nur via Dolmetsch verständigen. Mia Banke, 23, studierte Medieninformatikerin und passionierte Pianistin, wollte nach dem letzten Urlaub auf den Philippinen gar nicht mehr zurück kommen. Die Menschen seien freundlich, das Wetter immer schön und die Strände herrlich und fast menschenleer. „Leider kennen das unsere Landsleute nicht, weil sie zu arm sind“, sagt Angelina Banke. Aber auch sie will zurück: für die Pension hat sie mit ihrem Mann bereits ein Häuschen am Strand gekauft. Auch Violeta Cetl will früher oder später zurück. Und ihr Mann? „Wenn es nach ihm ginge, würden wir schon morgen fahren“.


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