Samstag, 24. Januar 2009
 
EU: Herkunftslandprinzip in neuen Schlaeuchen? PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von akin   
Samstag, 16. September 2006

Bolkestein reloaded? Nach massiven Protesten und dem späten, aber doch noch rechtzeitigen Erwachen des Europäischen Parlaments Anfang 2006 wurde der Entwurf für die EU-Dienstleistungsrichtlinie überarbeitet. Diese Überarbeitung wurde von Rat und Kommission nochmal überarbeitet. Daß da Skepsis laut wird, braucht niemanden zu wundern...

"Entgegen dem Wunsch des Rates und der Kommission, den Gesetzgebungsprozess
bereits nach der ersten Lesung zu beenden, wird es eine zweite Lesung geben.
Es ist das gute Recht des Europaeischen Parlaments, die Aenderungen, die der
Rat an dem vom Parlament in erster Lesung beschlossenen Text vorgenommen
hat, gruendlich zu ueberpruefen. Es ist eine Selbstverstaendlichkeit, dass
das Parlament als Mitgesetzgeber den gemeinsamen Standpunkt des Rates in
zweiter Lesung diskutiert und dazu auch eigene Aenderungsantraege beraet und
beschliesst, um noch unklare Ratsvorschlaege zu praezisieren." Aus den
Worten einer Presseaussendung der Gruenen Fraktion im Europaeischen
Parlament spricht leidvolle Erfahrung -- die revidierte Fassung der
Dienstleistungsrichtlinie liegt derzeit auf dem Tisch des EP. Und das nun
sehr verklausulierte Werk wird wohl nicht so schnell beschlossen werden, wie
es Kommission und Rat sich vorstellen -- denn im EP weiss man, was es
bedeutet, wenn diese Institutionen etwas schnell durchziehen wollen.

Auch die KPOe hat sich mit "Bolkestein neu" beschaeftigt: "Wie sich jetzt
herausstellt, wurde die im Ergebnis massiver Proteste am 4.April 2006 von
der EU-Kommission vorgelegte modifizierte Richtlinie zwischenzeitlich vom
Rat am 29./30.Mai 2006 bereits soweit verwaessert, dass das formell
gestrichene Herkunftslandsprinzip durch die Hintertuer droht", meint
KPOe-Kommunalsprecher Leo Furtlehner.

Unter dem Titel einer "wettbewerbsorientierten Deregulierung" wurden
mittlerweile die schon urspruenglich vorgesehenen drei Prinzipien um eine
Liste mit sieben Anforderungen erweitert. Im Ergebnis duerfen die
EU-Mitgliedslaender diese Vorschrift nicht umgehen und etwa die "Aufnahme
oder Ausuebung einer Dienstleistungstaetigkeit gezielt regeln oder
beeinflussen".

Nach Ansicht der KPOe verbirgt sich der Freibrief fuer Dumping bei Loehnen,
Sozialleistungen, Umwelt- und Verbraucherschutz hinter schwammigen
Formulierungen. Im Ergebnis werde die Richtlinie es somit nach dem Prinzip
der "Selbstverwaltung der Wirtschaft" im Sinne einer "schlanken
Gesetzgebung" ("better regulation") ermoeglichen, Dienstleistungen nicht
nach den Bestimmungen des Bestimmungslandes, sondern des Herkunftslandes
durchzufuehren. Vom Europaeischen Gerichtshof werde in diesem Sinne eine
"gerechte Balance" zwischen den Grundrechten einerseits und den zum Dogma
erklaerten vier Grundfreiheiten (Kapital, Waren, Personen, Dienstleistungen)
erwartet. Wer dabei den Kuerzeren ziehen wuerde, koenne man sich leicht
ausrechnen.

Bezeichnenderweise waere von Kommission und Rat das vom Parlament
vorgesehene Recht auf "gewerkschaftliche Massnahmen" mittlerweile gestrichen
worden. Verwaessert worden waeren auch die Regelungen betreffend
Entsenderecht, Zeitarbeitsagenturen, Gesundheitswesen und Soziale
Dienstleistungen. Durch die Richtlinie drohe daher eine Reduzierung der
Daseinsvorsorge auf eine Restgroesse "nicht-wirtschaftlicher Dienste" von
Militaer, Justiz und Polizei, so die KPOe. (EU-Gruene, KPOe/akin)
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