Bolivien: Konsolidierung des politischen Wandels? |
Geschrieben von Isabella Radhuber und Almut Schilling-Vacaflor | |
Mittwoch, 3. September 2008 | |
Das gescheiterte „Abwahlreferendum“ von August 2008 und die Abstimmungen über die Autonomie-Statuten werfen die Frage auf, in welche Richtung sich Bolivien weiterentwickeln wird. Es stehen einander zwei völlig gegensätzliche Staatsvisionen gegenüber. Ein im Dezember 2007 von der Regierung an den Kongress geleiteter Gesetzesvorschlag enthielt ein zweischneidiges Instrument, nämlich ein Referendum, mit dem der Präsident, der Vizepräsident und die Präfekten abgewählt werden können. Damit wollte Präsident Evo Morales allen Polemiken über seine Person und Politik Einhalt gebieten. Wegen des für die Opposition ungünstigen Wahlmodus ließ der mehrheitlich oppositionelle Senat das Projekt zunächst sechs Monate ruhen, verabschiedete es aber dann überraschenderweise im Mai 2008. Die Opposition hatte mit einer Ablehnung des Referendums seitens der Regierung kalkuliert. Dieses wurde jedoch von der Regierung unverzüglich angenommen. Schon für den 10. August wurde ein solcher Volksentscheid vorgesehen und die Opposition mobilisierte nach Kräften dagegen. Es hieß, das Amtsenthebungsreferendum würde die bolivianische Bevölkerung weiter spalten, die Klüfte vertiefen. Es würde die essentiellen Probleme Boliviens nicht lösen, sondern den politischen Konflikt weiter anstacheln. Die bolivianische Bevölkerung sei der vielen Wahlgänge müde. Eine Wahlbeteiligung von 83,33% spricht allerdings eine andere Sprache. Und kann das Sichtbarmachen von Konfliktlinien und Klüften in der Gesellschaft wirklich als weitere Spaltung des Landes bezeichnet werden? Ist es nicht vielmehr notwendig, daß Konflikte an die Oberfläche treten, damit historische Ungleichheiten bearbeitet werden können? Bolivien war bereits vor der Regierungsübernahme durch Evo Morales gespalten – die teilweise seit Jahrhunderten bestehenden Zerklüftungen ethnischer, regionaler und klassistischer Art wurden jedoch soweit wie möglich unter den Tisch gekehrt. Das Referendum stärkt Evo Morales: 67,41% der bolivianischen Bevölkerung stimmten für ihn und damit die Fortsetzung des Proceso de cambio (Veränderungsprozess). Auch in den drei nach Autonomie strebenen Tiefland-Departamentos Santa Cruz, Beni und Tarija hat die Regierungspartei MAS seit den Wahlen 2005 beachtliche Zuwächse zu verzeichnen. So in Santa Cruz von 33,17% auf 40,75%, in Beni von 16,5% auf 43,7% und in Tarija von 31,55% auf 49,83%. Die mehrheitliche Unterstützung hatten der Präsident und Vizepräsident in Potosí mit 84,87%, in La Paz mit 83,27%, in Oruro mit 83%, in Cochabamba mit 70,90%, in Chuquisaca mit 53,88% und in Pando mit 52,5%. Aber auch die oppositionellen Präfekten des Halbmondes, jener Tiefland-Region, die nach weitgehender Autonomie strebt, haben beachtliche Ergebnisse erzielt. So Rubén Costas (Santa Cruz) mit 66,43% Zustimmung, Ernesto Suárez (Beni) mit 64,25%, Mario Cossio (Tarija) mit 58,06% und Leopoldo Fernández (Pando) mit 56,21%. Weit größerer Popularität erfreut sich aber der MAS-Präfekt von Potosí, der mit 79,08% bestätigt wurde, was er seinen grossen öffentlichen Investition zu verdanken hat. Abgewählt wurden nur zwei Präfekten, die beide der Opposition angehören: José Luis Paredes alias “Pepelucho” (La Paz) mit nur 35,48% Zustimmung und Manfred Reyes Villa (Cochabamba) mit lediglich 35,19%. Spannungen zwischen der Regierung und den Präfekten: die departamentalen Autonomien Seit der Regierungsübernahme durch Evo Morales verstärkten sich die Autonomiebestrebungen der Tiefland-Departamentos. Diese können auch als Versuch betrachtet werden, den Reformen der MAS-Regierung zu entgehen: Insbesondere die geplante Landreform, bei der illegaler und unproduktiver Groβgrundbesitz enteignet werden soll, und die vorgesehene plurinationale und interkulturelle Ausrichtung des bolivianischen Staates, sind den mächtigen Gruppen des Tieflandes ein Dorn im Auge. Die harten Konfliktlinien zwischen der Regierung und den Präfekten sind also nicht nur in den Autonomiebestrebungen begründet, die die Regierung bereits anerkannt hat, sondern hängen vielmehr mit den Bestrebungen der Regierung zusammen, den nationalen Reichtum landesweit umzuverteilen, um mehr soziale, politische und ökonomische Gleichheit zu schaffen. Großgrundbesitz und Rohstoffrenten sind die Grundlagen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Macht. Viele Präfekten und ihre alliierten Zivilkomitees sind Großgrundbesitzer, und die Autonomien sollten nicht nur Immunität gegen die von der nationalen Regierung geplante und begonnene Landumverteilung schaffen, sondern auch mehr Befugnisse in der Verwaltung der Rohstoffrenten festsetzen. Seit zweieinhalb Jahren weigern sich die Tieflandpräfekten, mit der Regierung zu kooperieren. Kein nationaler Konsens soll ermöglicht werden, wenn dieser nicht die eigenen Interessen und überzogenen Privilegien garantiert. Deswegen wird auch die neue Verfassung, welche die erwähnte Reichtumsumverteilung absichern soll, abgelehnt. Die verschiedenen Vorstellungen über das „Neue Bolivien“ kamen am 14. Dezember 2007 zum Ausdruck, als die Mitglieder der Constituyente die neu erarbeitete Verfassung der bolivianischen Bevölkerung und der Regierung in La Paz überreichten, während die Präfekten der Departamentos des Tieflandes am selben Tag ihre neuen Autonomie-Statuten mit der Verteilung in der Bevölkerung feierten. Vergleicht man die Autonomiestatuten mit dem Entwurf der neuen Verfassung werden folgende Unterschiede und Unvereinbarkeiten sichtbar: - Die geforderten Kompetenzen in den Autonomiestatuten gehen eindeutig über die zugestandenen Kompetenzen der departamentalen Autonomien im neuen Verfassungsentwurf hinaus. Das Autonomiestatut von Santa Cruz etwa sieht Landrechte, Naturschutzgebiete und natürliche erneuerbare Ressourcen im alleinigen Kompetenzbereich von Santa Cruz. Auch die Erlöse aus dem Erdgas sollen größtenteils im Departamento bleiben. - Während indigene politische, juridische, linguistische, wirtschaftliche u.ä. Systeme im neuen Verfassungsentwurf auf die gleiche Hierarchieebene gestellt werden wie die derzeitigen Systeme der dominanten Gesellschaft, spielen die indigenen Völker in den Autonomiestatuten lediglich eine untergeordnete Rolle. Das plurinationale Staatsmodell, das sich in der Verfassunggebenden Versammlung Boliviens durchgesetzt hat, steht in schroffem Gegensatz zu den Autonomiestatuten, die weitgehend an dem bisherigen, westlich hegemonialen Staatsmodell festhalten. - Die Autonomiestatuten betonen die departamentale Geschichte, deren Symbole und Traditionen, und fordern, dass diese von den departamentalen Medien und Bildungseinrichtungen gefördert werden. In diesem Zusammenhang besteht die Gefahr, dass die departamentalen Identitäten und Charakteristiken so stark in den Vordergrund treten könnten, dass dies Abspaltungstendenzen zur Folge haben könnte. Santa Cruz machte im Mai mit einer Volksabstimmung über ein Autonomiestatut den Anfang, Beni, Pando und Tarija folgten im vergangenen Juni. Diese Referenden waren aus zwei Gründen illegal: Erstens weil die departamentalen Autonomien in der derzeit gültigen Verfassung nicht vorgesehen sind und zweitens, weil Referenden nur vom bolivianischen Parlament beschlossen werden können. Bei den Autonomiereferenden war die hohe Enthaltung auffallend: 38,7% der Wahlberechtigten nahmen nicht an den Volksabstimmungen teil (im Vergleich zu ca. 15% Nicht-WählerInnen bei den letzten Präsidentschaftswahlen). Das kann als Entscheidung gegen die Autonomiestatuten bzw. gegen die illegalen Abstimmungen interpretiert werden; dazu kommen über 10% der Wahlberechtigten, die gegen die Statuten gestimmt haben. Von jenen WählerInnen, die für die Autonomiestatuten gestimmt haben, gaben lediglich 15% an, diese gelesen zu haben. Die meisten EinwohnerInnen der Tiefland-Departamentos befürworten die Autonomien, da sie sich davon gröβeren Wohlstand und Fortschritt versprechen. In den Diskursen der Autonomie-VertreterInnen werden die positiv besetzten Autonomien dem Bild von rückschrittlichen, armen „Indios“ aus dem Hochland gegenübergestellt, die die Entwicklung Boliviens aufhalten. Insbesondere die indigenen MigrantInnen aus dem Hochland werden zu Feindbildern gemacht, was sich in den rassistischen Diskursen und den regelmäβigen gewalttätigen Übergriffen gegen diese Bevölkerungsgruppe, die in Santa Cruz immerhin über 30% der EinwohnerInnen ausmacht, ausdrückt. Ausblick In La Paz und den rebellischen Departamentos stehen einander zwei konträre politische Visionen gegenüber, was die politische Handlungs- und Regierungsfähigkeit blockiert. Andererseits handelt es sich nicht um zwei Visionen zu Bolivien, da die Präfekten mit ihren regionalen Bewegungen und ihrer hierin starken Mobilisierungskraft keine nationale Vision Boliviens präsentieren; sie artikulieren vielmehr regionale Visionen. Die zukünftige Herausforderung in Bolivien wird es sein, die regionalen Visionen der departamentalen Autonomien in die nationale Vision einzugliedern. Und hier sind wir (wieder) bei der neuen Verfassung und den regionalen Autonomie-Statuten angelangt. Vor dem Referendum im August 2008 war die Bereitschaft der oppositionellen regionalen Politiker der Medialuna, ihre Autonomie-Statuten mit der nationalen Verfassung in Einklang zu bringen, praktisch nicht vorhanden – denn dadurch würden sie persönlich und ihre politische Klasse bisher genossene Privilegien verlieren. Nach dem Referendum vom 10. August kann die Opposition die bisher in Frage gestellte Legitimität der Regierung kaum mehr anzuzweifeln. Das politische Kräfteverhältnis hat sich zudem (leicht) zugunsten der Regierung verschoben: Die oppositionellen Präfekten in La Paz und Cochabamba wurden abgewählt. (Hier sei angemerkt, dass, der Bevölkerung entsprechend, La Paz mehr Wählerstimmen hat als Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija gemeinsam). Ob die politische Blockade seitens der Opposition hiermit (zumindest zum Teil) aufgehoben ist, und die Regierungsfähigkeit gestärkt ist, das wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Am 13. August begann jedenfalls ein Dialog zwischen Präfekten und Regierung über die zentralen Themen Institutioneller und fiskalischer Pakt, Rohstoffrente aus dem Erdgas, Autonomien und neue Verfassung. Maga. Isabella Radhuber ist Politologin und Dissertantin an der Universität Wien über Erdgaspolitik und Staat in Bolivien; Maga. Almut Schilling-Vacaflor ist Soziologin/Ethnologin und Dissertantin an der Universität Wien über indigene Rechte und den Verfassungsänderungsprozess in Bolivien. |
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