Samstag, 24. Januar 2009
 
Durch Mülltonnen und Unterwäsche PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Freitag, 3. Oktober 2008

Die alten Stasi-Schnüffler sind in Ungarn noch immer aktiv. Und sie werden für parteipolitische Intrigen eingesetzt. Das brachte ein Abhörskandal ans Licht, der die kleine Mitterechts-Bürgerpartei MDF erschütterte und die größte Oppositionspartei Fidesz schwer belastet.

Es begann damit, dass Geheimdienstminister György Szilvásy dem parlamentarischen Ausschuss für Nationale Sicherheit Mitte September Tonaufnahmen vorlegte, auf denen Telefongespräche zwischen zwei ehemaligen Ministern der Fidesz-Regierung (1998-2002) und József Horváth, zu hören sind. In den Mitschnitten, die das staatliche Amt für Nationale Sicherheit, einer der fünf offiziellen Geheimdienste, vorlegte, geht es um den Stand einer Intrige gegen die MDF-Chefin Ibolya Dávid. Horváth, der vor der Wende mit der Beobachtung von „Linksabweichlern“ betraut war, brachte seine geheimdienstliche Erfahrung in ein privates Sicherheitsunternehmen namens UD Vagyonvédelmi  (UD Vermögensschutz ) ein, das er vor drei Jahren gründete. Sein Teilhaber János Tóth ist ebenfalls einschlägig vorbelastet: er überwachte einst im Realsozialismus die Kirchen. Szilvásy sprach von einem „polypenartigen Schattengeheimdienst“, der aufgeflogen sei. Die Medien tauften den Skandal „Polypgate“.

Dávid hatte sich bei Oppositionsführer Viktor Orbán unbeliebt gemacht. Das MDF (Magyar Demokráta Fórum war zwar Teil der konservativen Regierungsallianz unter Orbán, doch anders als die Anführer anderer Kleinparteien hatte sie die Verschmelzung ihrer Partei mit Fidesz verweigert. Es wird vermutet, dass die Verschwörung damit zusammenhängt. Im MDF hatten Orbáns Freunde im Vorfeld der parteiinternen Wahlen den 32jährigen Kornél Almássy als Gegenkandidaten gegen die seit neun Jahren an der Parteispitze stehende Dávid in Stellung gebracht.

Die Tagszeitung Népszabadság berichtet, dass die UD auch Mitglieder der sozialdemokratischen Regierung monatelang beobachtet habe: Wirtschaftminister Gordon Bajnai, den Chef des Nationalen Sicherheitsamtes Sándor Laborc sowie einen Staatssekretär des Finanzministeriums. Wie man es aus Spionagethrillern kennt, sollen über die „Zielpersonen“ Dossiers angelegt worden sein, die Lebensstil, Wirtschaftskontakte, Bankkonten und Anruflisten beinhalten. Auch sexuelle Vorlieben wurden ausspioniert und der Haushaltsmüll durchwühlt.

UD soll wie ein "Polyp" gearbeitet und sich Zugang zu den verschiedenen Behörden verschafft haben, um an private und Geschäftsgeheimnisse zu kommen. Die Computer des Amts für Nationale Sicherheit wurden laut offiziellen Erklärungen angezapft.

Die ungarischen Medien mutmaßen, dass neben Fidesz auch der Forint-Milliardär Sándor Csányi, Ungarns reichster Oligarch, die Bespitzelung in Auftrag gegeben haben könnte. Denn die größte Bank OTP, der er als Generaldirektor vorsteht, zählt zu den besten Kunden des Schattengeheimdienstes DU. Csányi, der direkt oder indirekt auch am Erdölkonzern MOL, der Fleischindustrie dem Weinbau und anderen Wirtschaftszweigen beteiligt ist, soll politische Ambitionen hegen.

„Polypgate“ hat inzwischen zahlreiche Opfer gefordert: allen voran Kornél Almássy, der seine Kandidatur für den Parteivorsitz zurückzog und aus dem MDF ausgeschlossen wurde. Zurücktreten musste auch der Fidesz-Abgeordnete Sándor Arnóth, der am Montag anlässlich des Berichts des Geheimdienstministeriums zornesrot brüllte: „Ihr werdet alle baumeln“. Für Fidesz ist der Skandal nämlich eine Erfindung der regierenden Sozialdemokraten, die sich als Opfer inszenieren wollen, da ihnen bei den Wahlen vom kommenden Jahr eine vernichtende Schlappe droht.

Eindeutige Gewinnerin der Affaire ist Ibolya Dávid, die beim MDF-Parteitag einstimmig wiedergewählt wurde  - zum fünften Mal. Mit dem Bonus, den sie als Opfer einer Intrige genießt, könnte es ihr gelingen, dass sich das MDF, das in Umfragen bisher unter der Fünfprozenthürde lag, auch nach 2009 im Parlament halten kann.

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