Samstag, 24. Januar 2009
 
Vergitterter Friede PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Dieter Reinprecht-Hinsch   
Montag, 1. Oktober 2007

In Nordirland ist das Friedensabkommen zwischen den protestantischen Unionisten und der katholischen IRA noch nicht überall an der Basis angekommen. Ein Augenschein in Derry zeigt, wie brüchig der Friede noch ist.


"Und hoffentlich wird der Friede halten“, erklärt der Sohn von Paddy Doherty zum Abschluss. Der Friede, den er meint, ist der Anfang der 1990er von Gerry Adams und dem SDLP-Führer und späteren Friedensnobelpreisträger John Hume eingeleitete Peace Process. Paddy Doherty arbeitet heute in einem Hotel nahe des Zentrums von Derry, am westlichen Ufer des Foyle, der so genannten Westbank. Täglich schlüpft er in seinen schwarzen Maßanzug und geht trotz seiner mittlerweile 84 Jahre an seinen Arbeitsplatz, „weil er sein ganzes Leben lang nie rauchte oder einen Tropfen Alkohol trank“. 1969 stand er noch auf den Barrikaden, war aktiv in der irischen Bürgerrechtsbewegung und bekam als Führer von Free Derry den Namen unter dem er berühmt wurde: Paddy Bogside.

Für Paddy ist jeder Tag wie der andere, für die Abgeordneten in Leinster House und Westminster ist das Jahr 2007 aber ein historisches. Die Regierungen von Fianna Fail und New Labour feiern den Frieden - das endgültige Ende eines Konflikts, der der verharmlosend „Troubles“ genannt wird. Die britischen Truppen gelten als abgezogen. Die Provisional Sinn Féin stellt mit der loyalistischen Bourgeoisie um den Faschisten Ian Paisley die Regierung in Stormont. Der ehemals hoch angesehene Führer der Provisional IRA, Martin McGuiness, diskutiert in Geheimtreffen in Finnland mit den führenden irakischen Widerstandsgruppen und der Regierung über den „Frieden“ und am 31. Juli 2007 wurde aus der Operation Banner die Operation Helveticus.

Die Operation Banner begann am 14. August 1969 als britische Soldaten zur Unterstützung der Polizei nach Derry geschickt wurden. Sie war die längste Operation der britischen Armee und zu ihren Hochphasen waren über 30.000 Soldaten in Nordirland stationiert.

Viel Wasser floss seither den Foyle hinunter und heute verwalten Adams und Paisley den Kapitalismus in Nordirland. Doch im Rahmen der Operation Helveticus bleiben 5.000 britische Soldaten in den sechs Grafschaften stationiert, offiziell für den Einsatz im Mittleren Osten, doch bereits Mitte August erklärte der britische Economist, die Aufgabe der Armee sei die „Unterstützung der nordirischen Polizei PSNI“. Gleichzeitig werden immer mehr Ausbildungslager für Spezialeinheiten der Armee errichtet und der Rüstungssektor in Nordirland boomt, wie die republikanische An Phoblacht berichtete.

In Derry werden die Wandmalereien durch eine offizielle Künstlergemeinschaft übermalt. Statt brennender Faust zieren nun Friedenstauben und Schmetterlinge als Zeichen des endlich gekommenen Friedens die Rossville Street, vorbei am Free Derry Corner hin zur Lecky Road. Die nicht professionellen Murals und die Parolen an den Wänden zeigen ein anderes Bild. CIRA (Continuity IRA) und RIRA (Real IRA) bestimmen hier das Straßenbild. Provisional Sinn Féin scheint nur noch als die Organisation des Verrats auf. Aus den FührerInnen wurden FeindInnen. „SF/RUC out“ ist zu lesen, als Gleichsetzung der Provisionals mit der verhassten loyalistischen Polizei. Und auch die eigene Parteijugend ist nicht stumm. „There are many reason not to join the PSNI“ (Police Service of Northern Ireland) ist unterschrieben mit Ográ Sinn Féin als Ausdruck des Unmuts des Großteils der Parteijugend mit dem PSF-Ard Fheis-Beschluss vom Jänner 2007, die Nachfolgerin der verhassten RUC, die PSNI, anzuerkennen.

Rechts vom historischen Free Derry Corner brüllt auf einem Wandgemälde Bürgerrechtlerin Bernadette Devlin in ein Megaphon. Über diesem Mural sind die Hügel von Donegal zu erblicken, die Grafschaft, zu der die Stadt Derry am rechten Ufer des Foyle, bis in die 1920er Jahre gehörte - die Westbank. Derry wurde vom britischen Imperialismus von Donegal und somit von der Republik getrennt. Auf dieser Seite des Flusses leben 30.000 Menschen, nahezu alle KatholikInnen. Hier erstreckte sich vor fast 30 Jahren Free Derry. Doch nicht unweit, nördlich der mittelalterlichen Stadtmauer, liegt eine kleine loyalistische Enklave. Keine 600 Menschen leben dort am Rande einer fast doppelt so großen, burgartig befestigten Polizeistation. Mitten im Zentrum von Derry bestimmt Stacheldraht das Stadtbild. Die Fenster der gegenüberliegenden katholischen ArbeiterInnenhäuser sind vergittert, die Farbbeutel auf beiden Seiten von Stacheldraht und Mauern sind noch frisch. An den Wänden werden Iren mit Ratten verglichen und sehr oft treffen ie Blicke auf Hakenkreuze an den Wänden mit der Unterschrift „White Power“. Hier ist der Gehsteig nicht mehr grün, weiß und orange bemalt - die Farben der Verbindung von KatholikInnen und ProtestantInnen, die Hoffnung auf ein Leben Seite an Seite im Frieden, die Farben Irlands. Im loyalistischen Viertel ist der Gehsteig in den Farben des Union Jack. Von den Laternenmasten wehen nicht die Farben Irlands, der Starry Plough als Symbol der Gewerkschaftsmiliz Irish Citizen Army oder die Fahne Palästinas. Hier sind der Union Jack und die loyalistische Fahne des besetzten Ulsters gehisst. Fast täglich kommt es zu kleineren Ausschreitungen. Die Zinnen entlang der Stadtmauer sind bei den loyalistischen Gebieten vermauert.

Ähnlich wie in der Westbank in Palästina sitzen hier die LoyalistInnen wie SiedlerInnen verschanzt hinter Polizei und Stacheldraht im feindlichen Gebiet. Sie sind nicht mehr als Schachfiguren des britischen Imperialismus. Denn hier ist die Situation ähnlich trostlos wie weiter westlich in der Bogside. Die Infrastruktur im katholischen ArbeiterInnenviertel ist extrem schlecht, es fahren kaum öffentliche Verkehrsmittel, die Arbeitslosigkeit ist hoch und es existiert keine Nahversorgung. Über den Verkaufstischen der wenigen, spärlich eingerichteten Greißler um die Bogside prangern Broschüren und Poster der IRA. Die Leute leben weiterhin in Angst, doch ihre ehemaligen BeschützerInnen, die Provisionals, haben die Seite gewechselt.

So sieht er also aus der Friede, der aus den Parlamenten in Dublin, Belfast und London verkündet wird: vergitterte Häuser, eingeschlagen Fenster und frische Farbbeutel. Der Krieg sitzt noch tief und jeder weiß, dass es jederzeit weitergehen kann. Derry erholt sich heute von den Kämpfen, die seit 1998 eine Pause eingelegt haben. Die Leute schnappen nach Luft, doch die Probleme sind nicht gelöst, weder sozial, noch national. Irland ist weiterhin gegen den Willen der Bevölkerung vom Imperialismus geteilt. Die Teilung sitzt tief, auch in den Köpfen der Menschen, so erklärt aufgebracht eine Studentin: „Es gibt hier keine protestantischen Gebiete, es gibt in ganz Nordirland keine protestantischen Gebiete, denn Ulster ist protestantisch! Alles was es gibt ist eine kleine, unbedeutende katholische Minderheit.“

So bezeichnet sie also die fast 50% ausmachende katholische Bevölkerung der sechs besetzten Grafschaften im Norden der Insel. Doch es war keine Unwissenheit oder Naivität, die aus ihr sprach, sondern die britische Sicht auf die erste und letzte Kolonie des Empires. Zurück blieb für uns nichts, als dieselbe Frage, die auch der ehemalige Manchester United-Spieler Paddy Crerand in seiner kürzlich erschienen Autobiografie Never Turn the Other Cheek stellt: „Wie kann es sein, dass ArbeiterInnen, die in Armut leben, die Torys wählen? Du beobachtest zwei Personen aus der ArbeiterInnenklasse, die aufeinander schießen und du fragst dich, wie das möglich ist. Es resultiert aus Teilung und Unterwerfung, die britischen Merkmale seit Ewigkeit.“



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