Die letzten Publikumsveranstaltungen im Rahmen der Ausstellung von Hans-Peter Feldmann: „Die Toten“ in der Kunsthalle waren Gespräche des ORF-Journalisten Peter Huemer mit Reinhard Pitsch am 23.4. und am 24.4. mit Wolfgang Kraushaar.
Die R.A.F. und ihr Umfeld: Zeugnisse und Dokumente von Beteiligten, Medienecho, künstlerische Verarbeitung und Podiumsgespräche wurden im letzten Monat in der Kunsthalle präsentiert. All das lieferte Teile und Bruchstücke zum Verständnis für das zeitgeschichtliche Phänomen einer Bewegung, die sich mitten im Zentrum Europas in einem wirtschaftlich und gesellschaftlich hoch entwickelten Raum für den bewaffneten Guerilla-Kampf entschied. Die Mühe, damals wie heute, theoretische Grundlagen für die Aktionen - zum eigenen Selbstverständnis und für eine – potentiell womöglich solidarisierende Öffentlichkeit zu finden, bleibt bei alledem spürbar.
Die Veranstaltungen trafen auf reges Interesse, die Film - Matineen der letzten Sonntags- Morgen und die Veranstaltungen an den Abenden waren immer gut besucht und zwar nicht nur von nostalgischen Zeitgenossen aus der weiteren linken Szene, sondern auch von vielen ganz jungen Menschen.
Das Gespräch mit Reinhard Pitsch fand ganz besonders starkes Interesse, da ja Pitsch einer der bekannten drei Österreicher war, die damals im Rahmen der Palmers-Entführung in Erscheinung getreten sind. Thomas Gratt hatte im letzten Jahr Selbstmord verübt und Otmar Keplinger hat mit seiner politischen Vergangenheit vollkommen gebrochen.
Heide Schmidt war da, einige JournalistInnen, ganze Schulklassen, ZeitgenossInnen, der Schauspieler Otwald John ... Pitsch wusste die Spannung des Wartens auf sein Erscheinen noch zu steigern und kam fast eine halbe Stunde zu spät. Das Gespräch fand in der Form statt, dass Huemer vorsichtig fragte und sehr im Hintergrund blieb und Pitsch die ganze Geschichte von Anfang an in Ruhe erzählen ließ. Huemer begnügte sich lediglich damit, allzu große Abschweifungen zu verhindern und immer wieder die Dinge auf den Punkt zu bringen. Er vermied jede Wertung und beließ es dabei, lediglich krasse Missverständnisse zu verhindern.
Eine Rehabilitation der Beteiligten, ein Wiederaufrollen des Falles ist wohl nicht mehr möglich, aber hier wurde versucht, der anderen Sprache und dem anderen Konzept zu folgen. Pitsch versuchte, seine Anliegen herauszuarbeiten und ein großes interessiertes Publikum folgte ihm lange Zeit mit gebannter Aufmerksamkeit.
Im Deutschland und Österreich der 70er Jahre hatten Hysterie und Angst rechtsstaatliche Normen – zumindest für einige - außer Kraft gesetzt und Kritik unmöglich gemacht. Es gab Berufsverbote, Publikationsverbote, hemmungslose Überwachung, - Hexenjagd, die in keinem Verhältnis zu Ausmaß und Inhalt der tatsächlichen Ereignisse stand.
In diesem Klima hatte sich das Selbstverständnis der R.A.F. und assoziierter Bewegungen als sich im Krieg gegen einem imperialistisch agierenden Gegner befindende Gruppe verfestigt. Mit Blick auf die Ereignisse in Deutschland entstand in Österreich die kleine Gruppe APG – Arbeitsgruppe Politische Gefangene, die die Situation von Waltraut Boock und deren Prozess- und Haftbedingungen in Österreich öffentlich anzuprangern versuchte, Besuche im Gefängnis organisierte und ihre Sympathie und ihr Verständnis für die Anliegen der R.A.F. zeigte.
Reinhard Pitsch, Mitbegründer dieser Gruppe, nahm Kontakt mit dem RAF Anwalt Klaus Croissant in Stuttgart auf und stellte im folgenden die Kontakte zwischen den deutschen Vereinigungen und den Mitgliedern der APG in Österreich her.
Das „Tribunal gegen Repression“ prangerte Berufsverbote und die spezielle Behandlung von RAF Mitgliedern durch die Justiz an. Pitsch versuchte, auch hier in Österreich in der weiten linken Szene, die vor allem an den Universitäten und aus weitgehend theoretisch arbeitenden Gruppen bestand, Sensibilität für die Vorgänge zu schaffen.
Die Stadtguerilla verstand sich ursprünglich in der reinen Theorie als bewaffneten Gegner (sich vage an den Schriften Che Guevaras, Frantz Fanons oder Regis Debray orientierend) eines imperialistisch agierenden Angreifers, den USA, die als Krieg führende Macht in Deutschland als Verbündeten Stützpunkte in Frankfurt, Heidelberg, usw. hatte, verkam aber zusehends zu einer Befreit-die-Guerilla Guerilla.
Die Idee einer Stadtguerilla mitten in den Hochburgen des Kapitalismus klingt heute – zumindest für Nicht-IslamistInnen - befremdlich, war aber damals nicht so aus der Welt. Es gab die Roten Brigaden in Italien und Gruppen in Frankreich, die sich auch als bewaffnete KämpferInnen verstanden und anderen Entwicklungen folgten.
Pitsch liegt daran, die RAF nicht als isolierte Spinnerei von einigen wenigen Leuten mit vorwiegend psychischem Defizit zu präsentieren, wie das zur Genüge von Justiz, Medien und zuletzt auch TherapeutInnen gemacht wird, sondern bestehende historische Zusammenhänge, angefangen von Sklavenaufständen im alten Rom und Griechenland bis herauf zu den Befreiungskämpfen der kolonisierten Bevölkerungen in der 3. Welt, deutlich zu machen.
Allerdings hört der geschichtliche Rückblick vor den Zusammenhängen und der Bewertung der Vorgänge im arabischen Raum, Persien, Libanon, Irak, Afghanistan der Gegenwart auf. Die Linke in der ganzen Welt spaltet sich ja momentan beim Versuch einiger, Solidarität mit offensichtlich sich als Guerilla verstehenden Befreiungskämpfern herzustellen.
Pitsch erregt mit seinem eigenartigen Militär-Humor immer wieder Heiterkeit beim Publikum und schockiert auch durch unerwartete Blickwinkel – der Schock und die Befremdung lösen sich meist in Lachen: Er bedient ein wenig das Bedürfnis nach einem einsamen Robin Hood – artigen Helden, die Gruppe damals leistete aber eigentlich lediglich Hilfsdienste. Er war kein Mitglied der RAF oder einer der anderen Gruppen und lehnte Aufforderungen zum Beitritt ab – Huemer nannte ihn einen „Hardcore-Fan“ Es war die eigenartige Situation eingetreten, dass in Wien, in der Redaktion des „Neuen Forum“ (damals mit Chefred. Günter Nenning) Texte gedruckt wurden und durch Kuriere nach Deutschland zur Verbreitung gebracht wurden, da es dort wegen der Verbote und der engen Überwachung unmöglich war, Texte zu publizieren, die die Dinge von einer anderen Seite aus sahen.
Allerdings blieben die Österreicher für die Deutschen immer nur unwesentliche Helfer und Vermittler, in ihrem eigenen Selbstverständnis spielten sie praktisch keine Rolle – das erklärt, warum die Palmers-Entführung für sie eine reine Geldbeschaffungs-Aktion ohne jeden politischen Inhalt war, warum die Organisation der Aktion so fehlerhaft und sparsam betrieben zum Eklat führen musste und warum es den Mitgliedern der Gruppe 2. Juni und allen anderen wirklich vollkommen egal war, was mit den Österreichern anschließend geschah. Die Aktion war geglückt – und einige müssen halt im Krieg dran glauben, in dem Fall waren es gutwillige Helfer, deren Ideale man ausgenutzt hatte und die dann ihrem Schicksal überlassen worden waren.
Kein Versuch, in Deutschland Öffentlichkeit zu schaffen für die verheerenden Prozess- und Haftbedingungen der Österreicher, für den Geist von Fememord und Lynchjustiz, die in Österreich den Umgang mit den drei jungen Männern, zwei von ihnen gerade einmal 21, der andere 24 Jahre alt, prägten. Hätten rechtsstaatliche Normen Geltung bekommen, wäre die Jugend, der soziale Hintergrund und die psychische Verfassung der Männer in Betracht gezogen worden, wäre abgewogen worden, welcher Schaden tatsächlich für Leib und Leben von Menschen entstanden worden war und was einfach nur zugeschrieben, vermutet und beabsichtigt worden war.
Die Urteile für die drei waren unangemessen und keiner von ihnen hat die Chance bekommen, sich zu rehabilitieren und zurückzukehren in ein normales Leben. In Deutschland hat eine, wenn auch langsame Entwicklung stattgefunden und die Ereignisse von damals werden zögernd und unter großen Emotionen langsam aufgearbeitet und es werden Stimmen hörbar, die eine sachliche Beurteilung fordern und die Einhaltung ethischer Grundsätze im Sinn der Bürgerrechte.
Nichts davon in Österreich: Pitsch und die anderen gelten als exotische Ex-Terroristen und rufen im besten Fall Terroristen-Philie hervor. Vom Versuch, den eigenen Umgang mit Gesellschaftskritik, mit Kritik im allgemeinen, sowie abweichenden Sehweisen und Meinungen zu betrachten, ist man hier noch immer weit entfernt. |