Offener Brief an alle Bundesrats-Abgeordneten |
Geschrieben von Werkstatt Frieden & Solidarität | |
Mittwoch, 23. April 2008 | |
Angesichts der für den 24. April vorgesehenen Abstimmung über den EU-Reformvertrag im Bundesrat wendet sich die Werkstatt Frieden&Solidarität an dessen Mitglieder. Am 9. April hat der Nationalrat den EU-Reformvertrag beschlossen. Die Mehrheit der NR-Abgeordneten hat sich damit über die von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragene Forderung nach eine Volksabstimmung hinweggesetzt – und die österreichische Verfassung gebeugt, die bei derart weitreichenden Eingriffen zwingend eine Volksabstimmung vorsieht. Jetzt liegt es am BUNDESRAT, also der Länderkammer, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Denn auch bei der Bundesrats-Sitzung am 24. April reicht ein Drittel der Bundesrats-Abgeordneten aus, um noch eine Volksabstimmung durchzusetzen. Der EU-Reformvertrag umfasst eine Aufrüstungsverpflichtung, die Teilnahme an einer EU-Rüstungsagentur, eine militärische Beistandsverpflichtung, die Selbstermächtigung bei Militärinterventionen auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates, die Einrichtung eines militärischen Kerneuropas und die Privilegierung der Atomindustrie. Der EU-Reformvertrag steht im diametralen Gegensatz zur Neutralität. Festgeschrieben wird das Prinzip einer offenen Marktwirtschaft mit ungezügeltem Wettbewerb und somit der Druck zur Privatisierung öffentlicher Dienste und die Europäische Zentralbank als demokratiefreier Raum. Jüngste EuGH-Urteile, die sich auf dieses neoliberale Grundlagenrecht berufen, stellen bereits jetzt grundlegende Rechte von ArbeitnehmerInnen (Recht auf Einhaltung von Kollektivverträgen, Streikrecht) in Frage. Mit dem EU-Reformvertrag wird diese unsoziale Entwicklung weiter verschärft (z.B. Entmachtung der nationalen Parlamente bei internationalen Handelsverträgen in den Bereichen Soziales, Bildung und Gesundheit; neue Möglichkeiten der Kommission zur Liberalisierung/Privatisierung öffentlicher Dienste, Privilegierung von Rüstungsausgaben gegenüber Sozial- und anderen öffentlichen Ausgaben). Dem österreichischen Nationalrat werden weitgehende Kompetenzen entzogen und Gremien (EU-Rat und Ministerrat) übertragen, die demokratisch nicht mehr kontrolliert werden können. Diese Regelungen bedeuten einen grundlegenden Bruch im Verfassungsrecht und in der Rechtstradition der II. Republik. Sie sind deshalb zwingend einer Volksabstimmung zu unterwerfen. Sollte sich auch der Bundesrat der rechtswidrigen Vorgehensweise des Nationalrates anschließen, so übermittle ich Ihnen die klare Botschaft: EU-Reformvertrag ohne Volksabstimmung – NICHT IN MEINEM NAMEN! Dieser Offene Brief kann ONLINE unterstützt werden über www.werkstatt.or.at Nachhilfeunterricht für die BR-Abgeordneten Aufrüstungspflicht gilt für ALLE EU-Staaten Einige Bundesrats-Abgeordnete haben bereits auf den Offenen Brief der Werkstatt geantwortet, so z.b. die beiden Grünen BR-Abgeordneten Eva Konrad und Elisabeth Kerschbaum. Was in den Antwortschreiben der beiden besonders auffällt: sie bestreiten, dass der EU-Reformvertrag eine Aufrüstungspflicht für ALLE EU-Mitgliedsstaaten beinhaltet. Sie behaupten, diese Aufrüstungspflicht gelte nur für die Teilnehmer am – ebenfalls durch den EU-Vertrag begründeten – militärischen Kerneuropa. Einmal abgesehen davon, dass alleine die Tatsache, dass ein innerer EU-Führungszirkel gebildet wird, für den die militärische Potenz als Einlasskritierum definiert wird, für jede/n, der/die sich einen Rest an Verbundenheit mit der Friedensbewegung bewahrt hat, Grund genug sein müsste, diesen Vertrag abzulehnen, ist die Behauptung von Konrad und Kerschbaum schlicht und einfach falsch. Wir unterstellen nicht von vornherein Lüge, sondern zunächst nur, dass die beiden zu jener großen Mehrheit der Abgeordneten gehört, die – am Gängelband ihrer Klubchefs und Parteisekretariate hängend – diesen EU-Vertrag absegnen, ohne ihn wirklich gelesen zu haben, weil sich Widerspruch karrierehemmend auswirken würde. Als Teil der Bevölkerung, der eine Abstimmung verweigert wird, weil wir für zu uninformiert gehalten wird, geben wir daher jenen Entscheidungsträgern, die uns dieser Uninformiertheit bezichtigen aber selbst das Vertragswerk offensichtlich nicht einmal gelesen haben, einen kleinen unentgeltlich Nachhilfeunterricht: der Artikel 42, Abs. 3, VEU im Originalwortlaut – langsam zum Nachlesen: Die Mitgliedstaaten verpflichten, sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Die Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (im Folgenden „Europäische Verteidigungsagentur“) ermittelt den operativen Bedarf und fördert Maßnahmen zur Bedarfsdeckung, trägt zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors bei und führt diese Maßnahmen gegebenenfalls durch, beteiligt sich an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich Fähigkeiten und Rüstung und unterstützt den Rat bei der Beurteilung der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten. Es gibt also keine wie immer geartete Einschränkung der Aufrüstungsverpflichtung, sie gilt für ALLE EU-Mitgliedstaaten. Es gilt keine Ausrede: wer diesem Vertrag zustimmt, tritt dafür ein, Aufrüstung in Verfassungsrang zu erheben - und damit auf Generationen festzuzurren. Denn was einmal in EU-Primärrecht steht, ist in härtesten politischen Beton gegossen. Während nationales Verfassungsrecht durch eine 2/3-Mehrheit im Nationalrat bzw. durch eine Volksabstimmung geändert werden kann, kann dieses EU-Recht nur mehr dann geändert werden, wenn 27 Regierungen und 27 Parlamente mit Verfassungsmehrheit GLEICHZEITIG das wollen. Das ist faktisch unmöglich. Wenn die Grünen nun auch im Bundesrat dem EU-Reformvertrag ohne Volksabstimmung zustimmen, haben sie ihre Mutation zur oliv-grünen Partei abgeschlossen. |
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